Bruno ist wieder in seinem Element. An 365 Tagen im Jahr klappert der hoch aufgeschossene, etwas unterernährte Teenager die Strände von Rio de Janiero ab, um seine Fußball-Trikots an den Mann zu bringen. Bruno ist erfinderisch; er hat sich eine Art Kleiderständer aus mehreren Holzlatten gebaut, um seine Hemden besser schleppen zu können.
Bruno gehört einer Hundertschaft junger Brasilianer an, die an der Copacabana und am nordöstlich gelegenen edleren Ipanema-Beach den Touristen alles Mögliche andrehen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Während andere Getränke, Sonnen- und sogar Klobrillen am Strand spazieren tragen, hat sich Bruno auf Fußball-Artikel spezialisiert. Für jeden ist etwas dabei: Trikots von Corinthians Sao Paulo, Palmeiras, Gremio Porto Alegre und vor allem Flamengo Rio de Janeiro, Brunos Lieblingsklub.
"Flameeeengo, Flameeeengo", schreit Bruno und klopft sich aufs Herz. Wie Bruno denken 35 Millionen Brasilianer. Nur Vasco da Gama, wie Flamengo in Rio beheimatet und einst als Ruder-Klub gegründet, hat eine ähnlich große Fan-Basis.
Fehlende Nestwärme bei Milan
Am 12. Januar feierte Flamengo einen klaren Sieg über Vasco. Es ging nicht um Punkte, sondern um die Verpflichtung eines Heiligen: Ronaldinho. 25.000 Flamengo-Anhänger pilgerten ins Stadion im Stadtteil Gavea (Verkehrschaos inklusive), um dem verlorenen Sohn einen unvergesslichen Empfang zu bereiten.
Ronaldinho war zu Tränen gerührt: "Danke, Flamengo, danke rotschwarze Nation. Ich muss nicht mehr sagen, ich kann euch nur danken. Das Fest beginnt. Mit euch: Ronaldinho Gaucho." Gauchos werden die Süd-Brasilianer genannt.
Für den europäischen Spitzenfußball ist Ronaldinho nicht mehr gut genug. Nach einer überzeugenden Saison 2009/10 beim AC Milan fehlte dem 31-Jährigen die Nestwärme von Ex-Trainer Leonardo. Der neue Coach, Massimiliano Allegri setzte in der Offensive auf andere, allen voran Neuzugang Zlatan Ibrahimovic.
Wirtschaftsboom in Brasilien
Ronaldinho ging den gleichen Weg wie viele (ehemalige) brasilianische Superstars vor ihm. Er kehrte in die Heimat zurück. Wochenlang feilschten Flamengo und Gremio mit Ronaldinhos Bruder und Berater Roberto De Assis um das Gehalt.
Flamengo bekam letztlich den Zuschlag. Nicht unbedingt, weil der Verein in Südamerika ein glamouröses Ansehen genießt wie Real Madrid in Europa, sondern eher, weil Gehalt und Prämien noch einen Tick höher waren als bei Gremio. 6,5 Millionen Euro verdient Ronaldinho pro Jahr, Boni für Trikotverkäufe kommen noch hinzu.
Flamengos Präsidentin Patricia Amorim, eine ehemalige Leistungsschwimmerin, holte zwei Großunternehmen ins Boot, um den Deal zu finanzieren.
Flamengo nutzte den wirtschaftlichen Boom aus, den die bevorstehenden Großveranstaltungen (Fußball-WM 2014 und Olympia 2016 in Rio) in Brasilien ausgelöst haben. Das Geschäft mit Öl und Immobilien ist in den letzten Jahren explodiert und der Rial entwickelt sich im Vergleich zu den harten Währungen Dollar und Euro prächtig. In Chinas Windschatten hat sich Brasilien klammheimlich zu einem Wirtschaftsriesen gemausert.
Lichtblick nach der Flutkatastrophe
Der Kampf um Ronaldinho hat sich für Flamengo aus mehreren Gründen gelohnt. Sponsoren stehen Schlange und Flamengo lenkt ab von der unschönen Geschichte um Ex-Torhüter Bruno Fernandes Souza, der eine Liebhaberin erst getötet und den leblosen Körper anschließend an Hunde verfüttert haben soll. Seit Juli 2010 sitzt Souza im Gefängnis.
Über den Zeitpunkt von Ronaldinhos Präsentation gab es die unterschiedlichsten Meinungen. Angesichts der historischen Flutkatastrophe, die im Bundesstaat Rio de Janeiro Anfang Januar mehr als 1.000 Tote forderte, sahen Lokalpolitiker im Tohuwabohu um einen Fußballer eine sadistische, respektlose Haltung gegenüber der Flutopfer.
Andere begrüßten den Zeitpunkt, Ronaldinho habe den Menschen in einer schweren Krise wenigstens für ein paar Stunden ein Lächeln zurückgegeben.
Ronaldinho und Co.: "Sterbende Elefanten"
Kritik gibt es vor allem in sportlicher Hinsicht. Nationaltrainer Mario Menezes merkte an, dass Altstars wie Ronaldinho, Ronaldo, Rivaldo oder Roberto Carlos in ihren Klubs "die Positionen für junge Spieler blockieren" würden. Menezes muss die Selecao auf die Heim-WM vorbereiten und hält wenig von den Plänen der Heimkehrer, sich dauerhaft im Land zu präsentieren, um 2014 im Kader zu stehen.
Auch die Medien bleiben skeptisch. Spieler wie Ronaldo wirkten "wie abgehalfterte Elefanten, die sich zum Sterben dahin zurückziehen, wo das Gras weicher ist und die Zähne nicht mehr so stark belastet werden", heißt es in der brasilianischen Presse.
Immerhin gibt es auf dem Elefanten-Friedhof genug zu futtern. Ronaldinho und Co. verdienen erstklassig und zahlen vergleichsweise niedrige Steuern. Ronaldinho musste in Italien 43 Prozent seines Einkommens versteuern, in Brasilien sind es unter 30 Prozent.
Partylife wird geduldet
Die Fans dagegen verehren ihre Helden von einst. Sie sind stolz auf ihre Weltmeister von 2002. Seit dem letzten von fünf WM-Titeln hat die Selecao schließlich zwei Mal versagt.
Ronaldo darf die 45 Minuten von Sao Paulo nach Rio im Privatjet zurücklegen und dort am "Posto 9", dem angesagtesten Strandabschnitt von Ipanema, feiern, so oft er will. Hauptsache er spielt nicht mehr im fernen Europa.
Ronaldinho durfte sich drei Wochen Zeit nehmen, seinen Körper in einen spielfitten Zustand zu bringen, ohne dass auch nur ein Flamengo-Fan gemault hätte.
Mittwochabend war es dann so weit. In der Taca Guanabara, einem Regionalturnier im Bundesstaat Rio, traf Flamengo auf den FC Nova Iguacu. Ronaldinho spielte 90 Minuten durch und war stets bemüht, ein wenig von der alten Magie zu versprühen. Es gelang nicht alles, aber was an diesem Abend zählte, war die Emotion.
"Natürlich hätte ich gerne mehr gezeigt. Aber es war ein perfektes Debüt. Das ist der emotionalste Moment meines Lebens. Ich verspüre gar keine Lust, vom Platz zu gehen", sagte Ronaldinho nach Flamengos 1:0-Sieg vor 42.000 Zuschauern. Sein Premieren-Trikot kommt ins klubeigene Museum, dass 2011 eröffnet werden soll.
Die Blütezeit von Ronaldinho und Co. mag vorbei sein. In der Heimat sind sie lebende Legenden. Und die meisten haben nichts verlernt. Der Beweis: hier!