Dass ein 24 Jahre alter spanischer Profi-Fußballer, der in der Primera Division lediglich zehn Minuten für Sporting Gijon zum Einsatz kam, seine Karriere beendet, ist hierzulande eigentlich nicht mal eine Randnotiz wert. Spannend wurde die Geschichte von Javier Poves allein durch seine Beweggründe.
"Je besser man den Fußball kennenlernt, desto klarer sieht man, dass sich alles nur ums Geld dreht", ließ Poves in der vergangenen Woche angewidert verlauten und machte deutlich, was er von geheuchelter Moral und Anstand im Fußball-Geschäft hält: "Das raubt dir alle Illusionen."
Er wolle nicht mehr länger einem System angehören, "in dem die Leute so viel Geld verdienen, während in Südamerika, Afrika und Asien die Menschen sterben". Sein Auto, das sein Verein ihm kostenlos in die Auffahrt gestellt hatte, hatte er da bereits zurückgegeben. Kapitalistisches Fußball-System: nein, danke. Poves, so sagt man, schreibt sich nun lieber an der Universität für ein Geschichtsstudium ein.
Rummenigge kritisiert FIFA und UEFA scharf
Karl-Heinz Rummenigge steht als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München und als Vorsitzender der Interessenvertretung der europäischen Fußball-Vereine, der "European Club Association" (ECA), natürlich nicht in Verdacht, die Brocken ähnlich wie Poves hinzuwerfen. Rummenigge verkörpert vielmehr wie kaum ein anderer all das, was den Spanier seine Schuhe an den Nagel hängen ließ. Er ist Kapitalist in Reinform.
Unter den Kapitalisten in der ECA, der Nachfolge-Organisation der G-14, wäre Rummenigge aber gerne der weiße Ritter, der in punkto Demokratie, Mitsprache und Transparenz das Schwert gegenüber den Noch-Mächtigeren und Noch-Ungerechteren der Fußball-Welt erhebt - allen voran der FIFA. Für den FC Bayern und alle Klubs in Europa fordert der 55-Jährige vehement mehr Mitspracherecht ein, wenn es um Entscheidungen geht, die die Vereine und deren Spieler direkt betreffen.
Darüber hinaus ist dem Bayern-Boss die Korruption ein Dorn im Auge. "Ich werde es nicht länger akzeptieren, dass uns Menschen führen, die nicht ernsthaft und sauber arbeiten", sagte Rummenigge der englischen Tageszeitung "The Guardian". Und: "Ich bin bereit für eine Revolution, wenn das der einzige Weg ist, eine Lösung zu finden." Unter dem Mantel der Moral geht es dem 55-Jährigen aber natürlich auch: um Geld, na klar.
"...dann werden sich die Klubs verselbstständigen"
Als Ausgangspunkt seiner Revoluzzer-Gedanken in Sachen Demokratie nimmt Rummenigge stets die Abstellungspflicht für Nationalspieler. Die FIFA gibt den Vereinen durch ihren Kontinentalverband UEFA quasi vor, wie viele Länderspieltermine die Vereine zu akzeptieren haben - ohne großes Mitspracherecht. Das gefällt Rummenigge und den anderen Klubbossen in der ECA gar nicht.
Das Paradebeispiel ist der Ausfall von Arjen Robben für die komplette Hinrunde 2010/11. Er verletzte sich beim WM-Einsatz für die Niederlande, die Bayern standen ohne Entschädigungsanspruch da. Das ist in etwa so, wie wenn sich der Chef das Auto eines Angestellten ausleiht, kaputt fährt und sich dann nicht mal entschuldigt. Im Gegenteil: Nachher will er sich immer öfter Dinge ausleihen.
"Die Verbände sind nicht im Ansatz bereit, darüber zu diskutieren. (...) Die Verbände sagen, wir brauchen diese Termine, Ende. Es geht nur um die Kohle", sagte Rummenigge unlängst. Von ECA-Seite her sei man nicht mehr gewillt, dies hinzunehmen. "Falls sich bei diesen Verbänden (UEFA und FIFA, Anm. d. Red.) kein demokratischer Prozess einstellt, werden sich die Klubs verselbstständigen", drohte Rummenigge via "Kicker"-Interview.
"Superliga" statt Champions League?
Nun ist nicht bekannt, ob UEFA-Präsident Michel Platini bei der Lektüre des Interviews das Frühstück im Halse stecken blieb. Aufgehorcht haben wird er allemal. "Wenn die Klubszene in Europa nicht zufriedengestellt wird, wird es zu einer Revolution kommen", rumpelte Rummenigge fröhlich weiter. "Der Fußball wurde von Leuten wie Blatter und Konsorten zu lange missbraucht."
Vor allem die Drohung, die Klubs könnten sich verselbstständigen, setzte in den Medien alsbald einen kreativen Prozess in Gang, der darin mündete, öffentlich die Möglichkeit einer Alternative zu den UEFA-Wettbewerben - sprich: der Champions League und der Europa League - zu diskutieren. Einer Art "Superliga", die die großen europäischen Klubs womöglich autark organisieren könnten.
Der englische "Guardian" tat sich dabei besonders hervor, zitierte das Blatt doch ein nicht näher genanntes Mitglied der ECA wie folgt: "Man sollte nicht so naiv sein zu denken, es könne keinen alternativen Wettbewerb geben." Finanziell gäbe es so für die Top-Klubs schließlich noch viel mehr herauszuholen, als die UEFA derzeit zu geben bereit ist - Stichwort: Sponsoring und TV-Einnahmen. Als Paradebeispiel hierfür gilt die Geburt der Premier League 1993, die sich damals vom englischen Verband FA lossagte.
Unterstützung vom Premier-League-Chef
Wie einst die FA verwehren sich dieser Tage auch die Dachverbände einem Dialog. "Das Verständnis der FIFA und UEFA ist, dass die Klubs die Klappe halten und die Entscheidungen exklusiv sie selbst fällen", stößt Rummenigge extrem sauer auf.
Auf die Kernpunkte bezogen, erhielt er auch Zuspruch vom Premier-League-Chef Richard Scudamore. "Ich denke zwar nicht, dass Rummenigges Ton sehr hilfreich war, aber wenn man die emotionale Komponente außen vor lässt, stimme ich seinen Aussagen zu", sagte Scudamore.
Das Problem liege vor allem im Selbstverständnis der Verbände. Scudamore nannte ein Beispiel: "Der Weltverband sagt, dass er 15 internationale Spieltermine haben will. Das Problem ist, dass er dann einfach sagt, hey, wir sind ja der Dachverband, also sind es 15."
Zudem sei es ein Unding, dass die UEFA einfach im Vorbeigehen beschlossen habe, die Champions-League-Achtelfinalspiele aufgeteilt auf vier Wochen zu bestreiten oder Europa-League-Spieltage von der Champions League unabhängig auszutragen.
Der ECA wäre in solchen Fällen ein Mitspracherecht wichtig und, natürlich, höhere Ausgleichszahlungen für Länderspielabstellungen, sollten die Zahl weiter ansteigen. Die UEFA hatte sich bereits vor Monaten prinzipiell zu Gesprächen bereit erklärt, über eine Versicherung für Nationalspieler zu verhandeln - nichts ist passiert.
In der "BILD" schob Rummenigge nach seinem "Kicker"-Interview noch nach: "Ich bin kein Freund davon, jemandem zu drohen. Ich weiß nur eines: Alle Klubs in Europa sind extrem unzufrieden mit dem Status quo."
Bis 2014 an UEFA-Reglement gebunden
Ob Rummenigge dabei auf eine "Superliga" als ultimo ratio abgezielt hat, darf indes stark bezweifelt werden. Nein, derart progressiv hatte er seine Aussagen bestimmt nicht gemeint - auch wenn ihm die Drohkulisse natürlich zum Vorteil gereicht.
Bis 31. Juli 2014 sind die Vereine des ECA sowieso an ein Abkommen aus dem Januar 2008 gebunden, das die europäischen Klubs dazu verpflichtet, sich an die Regeln des Dachverbandes UEFA zu halten - das legt das gemeinsam ausgearbeitete "Memorandum of Understanding" unmissverständlich fest.
Außerdem sind Rummenigge und Uli Hoeneß dem UEFA-Boss Platini allgemein wohl gesonnen, den sie gerne eines Tages auf dem FIFA-Chefsessel sehen würden, weil der Ex-Profi mit Stallgeruch beispielsweise in Falle des "Financial Fairplay" als Hardliner gilt und somit im deutschen Interesse handelt. Eine "Superliga", in der Vereine wie ManCity oder Chelsea womöglich weiter fröhlich Gelder potenter Investoren verblasen könnten, liegt nach derzeitiger Lage nicht im Interesse der Münchner.
"Ich bin bereit - wer noch?"
Und genau darin liegt die Crux in Rummenigges Revoluzzer-Gedanken: Es gibt innerhalb der ECA bislang zu viele verschiedene Interessen, die es nahezu unmöglich machen, einen Aufstand gegen die großen Verbände strukturiert zu organisieren.
Rummenigges Stellvertreter bei der ECA, Umberto Gandino vom AC Milan, pflichtete ihm zwar einen Tag nach dessen Aussagen im "Guardian" bei, indem er sagte: "Wir werden weiter dafür kämpfen, die richtige Balance zwischen Klub-Fußball und dem Länderspiel-Fußball zu finden."
Es wisse zwar nicht, was genau passieren wird, wenn nicht, "aber sicher könnte es in letzter Instanz daraus hinauslaufen, dass man weitere Kooperationsbereitschaft verweigert und die Bedingungen nicht akzeptiert". Sonst kam in den großen Ligen aber keiner der Vereinsbosse auf die Idee, Rummenigge nach seinem Vorpreschen öffentlich Rückendeckung zu geben.
Sollte der 55-Jährige seine Aussagen einfach mal als Testballon in die Welt hinaus posaunt haben - nach dem Motto "Ich bin bereit - wer noch?" - könnte man sogar von einem Fehlschlag sprechen. "Die Sache sollte wieder herunterkühlen", wird ein anonymer Vertreter eines der erfolgreichsten europäischen Klubs gar in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zitiert.
Rummenigge selbst ist derweil schon wieder vom Ross gestiegen und lehnt seither Interviewanfragen zum Thema ab. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Lage zwischen den Verbänden und der ECA mehr als angespannt bleibt. Das letzte Meeting zwischen der FIFA und der ECA endete im März ergebnislos.
Die Champions League 2011/2012