Ihm wurde vieles zugetraut. Erst der Durchbruch in England, dann in Deutschland, Italien, im restlichen Europa und womöglich sogar auf der ganzen Welt. Doch sein Triumphzug wurde jäh von einer Gruppe älterer Herrschaften gestoppt, die unter dem Namen "International Football Association Board" (IFAB) firmieren und deren Allmacht sich nicht nur über den Fußball erstreckt, sondern offenbar bis zur Modewelt reicht.
Der Leidtragende jener Willkür im Frühling letzten Jahres hört auf den Namen "Snood". Eine Schal-Kapuzen-Kombination, die vor allem bei Profi-Spielern überaus populär war, weil es im Winter den Halsbereich wärmte und gleichzeitig einem stilistischen Bekenntnis gleichkam.
Blog Regeldiskussionen: Ich stehe ja auf Mathematik
Nuri Sahin, Zvjezdan Misimovic und insbesondere Gianluigi Buffon waren die Begründer des Trends, der sich derart schnell verbreitete, dass "Die Zeit" diesem Phänomen eine eigene Kolumne widmete - wohlgemerkt im Ressort "Mode".
Aber: Noch rasanter, als der "Snood" in Erscheinung getreten war, verschwand er wieder in der Nische. Denn das IFAB, die einzige Instanz im Weltfußball, die über Regeln befinden darf, verbot bei der Sitzung im März 2011 auf Vorschlag des walisischen Verbands das Tragen des Accessoires. Zwar nicht wie von Manchester-United-Coach Alex Ferguson angeregt aus Gründen der Maskulinität ("Echte Männer tragen keine Snoods!") sondern aufgrund des Verletzungsrisikos bei Zweikämpfen. Dennoch sorgte die Entscheidung für Verwunderung ob der Priorisierung des IFAB.
Die Farbe der Strumpfhosen
Während über das kontrovers diskutierte Thema "Torkamera" erneut nicht befunden und damit die ohnehin erboste Mehrheit im Profi-Fußball weiterhin hingehalten wurde, zeigte sich das Gremium bei den profanen Dingen wesentlich beschlussfreudiger.
So wurde neben dem Tagespunkt "Snood" unter anderem auch darüber abgestimmt, welche Farbe die Strumpfhosen der Spieler haben dürfen, wo Werbeflächen platziert werden oder wie sich ein Schiedsrichter zu verhalten hat, wenn ein Polizeihund oder ein anderes Tier auf den Platz läuft.
Ein halbes Jahr ist seit der Jahreshauptversammlung, die im Celtic Manor Resort in Newport (Wales) stattgefunden hat, vergangen. Und der Widerstand gegen das IFAB nahm seitdem angesichts fehlender, schwammig formulierter oder sogar gänzlich sinnfreier Regeländerungen vor allem in Deutschland massiv zu.
Die für kaum jemanden nachvollziehbare Unterscheidung zwischen passivem und aktivem Abseits, die Dreifach-Bestrafung bei einer Notbremse im eigenen Strafraum (Rote Karte, Elfmeter, Sperre) oder die vom DFB und von der DFL geforderte Einführung einer Torkamera: Selbst die deutschen Schiedsrichter kritisieren offen das Gebaren des IFAB.
Zwanziger: "Methoden wie im Kaiserreich"
Der Vorwurf: Das von den britischen Verbänden dominierte Board lebe in einer längst vergangenen Zeit, als der Fußball dort seine erste Blüte erlebt hatte, entsprechend borniert und antiquiert wäre er. "Das sind Methoden wie im Kaiserreich. Das finde ich nicht sonderlich transparent und demokratisch", klagt DFB-Präsident Theo Zwanziger.
Das IFAB hingegen beruft sich auf seine hervorgehobene Rolle als die Bewahrer der Tradition und der wahren Essenz des Sports, weswegen vor allem technische Neuerungen mit großer Gründlichkeit abgewägt werden würden.
"Das Board wird nicht ohne Grund als Hüter des Spiels bezeichnet. Es hat er in seiner Geschichte immer wieder für Stabilität gesorgt und die Aufnahme von obskuren Ideen in das Regelwerk verhindert, die dem Fußball großen Schaden zugefügt hätten", sagt Geoff Thompson, aktueller Vizepräsident der FIFA und der UEFA und als ehemaliger Präsident des englischen Verbands neunmaliger Teilnehmer an der IFAB-Jahreshauptversammlung.
Thompsons Fazit: "Was Änderungen der Spielregeln angeht, ist es besser, konservativ zu sein." Wohlgemerkt: Konservatismus ist in den Kreisen des IFAB keine Beschimpfung als vielmehr ein Lob.
Britische Dominanz
Am 2. Juni 1886 trafen sich vier Männer in London zu einer konstituierenden Sitzung. Die Präsidenten der Verbände aus England, Schottland, Wales und damals Gesamt-Irland (heute Nordirland) gründeten das IFAB als eigenständige Institution, um eine einheitliche Regelauslegung für internationale Partien zu gewährleisten. Bis dahin galt immer das Regelbuch der gastgebenden Mannschaft.
Um der Globalisierung des Fußballs zu genügen, wurde 1913 die FIFA in den Kreis mit aufgenommen, dafür bestätigte der Weltverband dem Board die Hoheit ein: "Das IFAB wacht über die Spielregeln und ist verantwortlich für Änderungen an diesen Regeln."
Dabei war die FIFA anfangs extrem unterproportional vertreten. Jeder der vier britischen Verbände verfügte über eine Stimme, die FIFA als Repräsentant aller Fußball-Nationen nur über zwei.
Erst 1958 wurde das Missverhältnis etwas ausgeglichen, indem die FIFA statt zwei vier Stimmen zugesprochen bekam. Dennoch ist sie weiterhin auf das Gutdünken der Briten angewiesen: Für eine Entscheidung bedarf es nach wie vor einer Dreiviertel-Mehrheit von sechs Stimmen. Sprich: Wenn die FIFA eine Regeländerung befürwortet, braucht sie die Unterstützung von mindestens zwei der vier britischen Verbände.
Nur ein Termin pro Jahr
Die vier britischen Verbände werden von ihren Präsidenten vertreten, für die FIFA geben der Präsident (derzeit Sepp Blatter), der Generalsekretär (Jerome Valcke), der Vorsitzende der Schiedsrichterkommission (Angel Maria Villar Llona) sowie ein weiteres Mitglied des Exekutivkomitees ihr Votum ab.
Das IFAB trifft sich im Frühling (Februar/März) zur erwähnten Jahreshauptversammlung, im Herbst (September/Oktober) steht außerdem die Jahresgeschäftssitzung an, bei der jedoch nur organisatorische und finanzielle Fragen erörtert werden. Über die Vorschläge für Regeländerungen, die die einzelnen Verbände beim FIFA-Generalsekretär Valcke einreichen, können jedoch nur bei der Jahreshauptversammlung befunden werden.
FIFA gibt "geheimnisvolle Aura" zu
Sehr viel mehr ist nicht bekannt über das IFAB, obwohl dieses einen gewaltigen Einfluss auf die wichtigste und beliebteste Sportart der Welt ausübt. Selbst in einem FIFA-Dokument von 2007 heißt es: "Das Board ist keineswegs eine mysteriöse Institution, auch wenn es eine etwas geheimnisvolle Aura umgibt."
Das IFAB rühmt sich damit, dass es zum Wohle aller auch unpopuläre Entscheidung treffen müsse, auch wenn es sich dem Zeitgeist verschließt. "Warum gab es im Laufe der Jahre so wenige Änderungen an den Regeln? Warum gilt das IFAB als konservativ?", heißt es auf der FIFA-Website. "Die Antwort darauf ist ebenso simpel wie direkt: Die Attraktivität des Fußballs liegt in seiner Einfachheit. Und als Hüter der Regeln versucht das IFAB so gut wie möglich die Wurzeln zu bewahren, aus denen der Sport so spektakulär aufgeblüht ist."
Daher gelte es, den Technokraten Einhalt zu gebieten. "Der Fußball soll menschlich bleiben", unterstützt beispielsweise UEFA-Präsident Michel Platini die fast schon fundamentalistisch anmutende Ablehnung des IFAB gegenüber der Torkamera oder dem Chip im Ball.
Wie anachronistisch das Board tatsächlich gewandt ist, deutet ein Artikel auf der FIFA-Website von 2008 an: "Die jüngsten Neuerungen wie das Verbot für den Torwart, nach einem Rückpass den Ball mit der Hand zu berühren, beweisen, dass das Board aufmerksam ist und auf die Bedürfnisse des modernen Fußballs eingeht." Die Rückpassregel wurde 1992 eingeführt.
Deutschland verzweifelt an der IFAB
Das IFAB setzt sich lediglich aus fünf Parteien zusammen, dennoch bleibt es ein Ausbund an Unflexibilität und Langsamkeit - was vor allem Zwanziger zur Verzweiflung treibt.
Dass der Antrag auf Zulassung der Torkamera abgelehnt wurde, dürfte den erfahrenen Funktionär frustriert, aber nicht sonderlich erstaunt haben. Dass dieses Jahr jedoch selbst über das Ansinnen des DFB, im Amateurbereich eine zehnminütige Zeitstrafe einzuführen, nicht einmal gesprochen und stattdessen auf die nächste Sitzung 2012 verwiesen wurde, macht Zwanziger wütend.
"Man bekommt auf einen sinnvollen Änderungsvorschlag oftmals nicht einmal eine anständige Antwort", klagt er in der "FAZ".
Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge pflichtet ihm im "Kicker" bei: "Es geht nicht mehr, dass vier Herrschaften aus Großbritannien und vier der FIFA entscheiden, ob in der Bundesliga eine Torkamera eingeführt wird. Wir brauchen Transparenz, da muss ein Schiedsrichter am Tisch sitzen, Vertreter der ganzen Fußballfamilie. Wieso es nur Mitglieder aus Großbritannien sind, möchte ich wissen. Weil es vor 100 Jahren so war? Das kann nicht sein."
Was bringt die Task Force?
Dass die FIFA zur Schlichtung eine prominent besetzte "Task Force Football 2014" unter Vorsitz von Franz Beckenbauer einberief, wird Zwanziger oder Rummenigge aber nur wenig besänftigen. Beckenbauer kündigte an, dass sich die Task Force dafür einsetzt, dass die Abseitsregelung klarer formuliert und die Dreifach-Bestrafung bei einer Notbremse im eigenen Strafraum abgeschwächt wird - doch es bleiben Zweifel an der Wirksamkeit.
Denn die Task Force darf dem IFAB nur Vorschläge unterbreiten und hat keinerlei eigene Entscheidungsgewalt, zumal der Jahreszusatz "2014" im offiziellen Namen ein Hinweis darauf ist, dass der Arbeitskreis nur ein Provisorium darstellt.
Ungewohnt bissig kommentierte das Magazin "World Soccer": "Beim letzten Meeting redet das Board lieber über Hunde am Spielfeldrand oder über Unterwäsche, statt sich mit den wichtigen Belange zu beschäftigen."
Weiter heißt es im sonst eher zurückhaltenden Fachblatt: "Das archaische IFAB muss ersetzt werden, da hilft auch keine vorübergehende Task Force. Wir brauchen eine Institution, die dynamisch ist, den Fußball repräsentiert, ihm nahe steht und das Beste aus der wundervollen Sportart herausholt. Das International Football Association Board ist ein Witz."