SPOX: Herr Karembeu, Sie sind der Philanthrop des Weltfußballs: Mit einer erstaunlichen Vehemenz engagieren Sie sich wie nur wenige ehemalige Profis für die unterschiedlichsten Charity-Projekte rund um den Globus. Woher kommt Ihre Hingabe?
Christian Karembeu: Ich bin in Neukaledonien mit 17 Geschwistern aufgewachsen. So lernt man von früh an, was es bedeutet, zu teilen und andere zu respektieren.
SPOX: Im Gegensatz zu den Jugendlichen in der westlichen Welt, in der soziale Kälte herrscht?
Karembeu: Nein, das wollte ich nicht implizieren. In Frankreich oder Deutschland gibt es zahlreiche Menschen, die sich ehrenamtlich aufopfern oder spenden, um die vielen Wohltätigkeitsorganisationen zu unterstützen. Die Mentalität, helfen zu wollen, ist vorhanden. Ich finde es nur bedauerlich, dass kaum über eine der zentralen Fragen in unserer Gesellschaft nachgedacht wird: Warum benötigen wir überhaupt Wohltätigkeitsorganisationen?
SPOX: Wie meinen Sie das?
Karembeu: Alleine die Existenz von Wohltätigkeitsorganisationen beweist, dass unsere Gesellschaft nicht ausbalanciert ist. Dass offenbar nicht auf natürlichem Wege dafür gesorgt wird, dass Kindern, Behinderten oder anderen Unterprivilegierten geholfen wird. Wir sprechen immer davon, welch Segen die Zivilisation bedeutet. Aber für mich hatte die Zivilisation die Folge, dass wir über die Jahrhunderte vergessen haben, wie man sich um den anderen sorgt. Das eigene Ich steht durch die Zivilisation immer im Mittelpunkt. Dabei ist jeder Mensch nur ein gleichberechtigtes Teil der Natur, des Planeten. Niemand sollte so an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden, dass eine Wohltätigkeitsorganisation vonnöten ist.
SPOX: Wie sehr haben die Erlebnisse von Ihren zwei Urgroßvätern das Verständnis von der Welt geprägt? Ihre Vorfahren verließen 1931 mit über 100 weiteren Bewohnern Neukaledonien und folgten einer Einladung nach Paris - ohne zu wissen, dass Sie dort verkleidet in einem Zoo als Kannibalen leben, um von den Stadtbewohnern begafft zu werden.
Karembeu: Es ist ein Teil meiner Geschichte und Teil meines Lebens. Mit der Ausstellung in Paris endete es ja auch nicht: Einige wurden im Tausch für Krokodile nach Deutschland gebracht, wo sie wie Tiere im Käfig gehalten wurden und die Menge als angebliche Menschenfresser zu belustigen hatten. Daher könnte man aus heutiger Warte klagen, wie erbärmlich und schockierend das Verhalten der französischen Kolonialmacht war. Das würde jedoch zu kurz greifen: Ich glaube, dass es am gesamten System krankt. Schauen Sie sich an, was danach kam: der Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg, der Krieg im Nahen Osten. Das kann alles kein Zufall sein.
SPOX: Spricht aus Ihnen der Fatalist? Warum beteiligen Sie sich überhaupt an Charity-Projekten?
Karembeu: Wir können das System nicht stoppen, aber ich glaube daran, dass wir mit Hilfe des Fußballs schaffen, etwas mehr Solidarität in die Welt zu bringen.
SPOX: Mit Verlaub: Es klingt etwas naiv.
Karembeu: Der Fußball ist das Extrakt des Lebens. Schauen Sie sich an, mit wie viel Liebe der Amateursport in allen erdenklichen Ländern betrieben wird. Dort nutzen Menschen Ihre Freizeit, um gemeinsam Regeln des Miteinanders aufzustellen, gemeinsam diese Regeln zu respektieren und gemeinsam zu lachen. So etwas kann in der Breite nur der Fußball bewirken.
SPOX: Andererseits ist der Fußball das Sinnbild für die Kommerzialisierung.
Karembeu: Für den Profibereich stimmt es. TV-Rechte, Werbeplätze, VIP-Packages - der Fußball der Elite verströmt aus allen Poren den Duft des Geldes.
SPOX: Vor allem trifft es auf die skandalumwitterte FIFA zu, für die Sie als Kommissionsmitglied in Amt und Würden stehen. Wie passen Ihre Gedanken zu den zahlreichen Korruptionsvorwürfen?
Karembeu: Wegen den Vorwürfen sollte man nicht die gesamte FIFA verdammen. Wie in jeder großen Institution wird es dort Leute geben, die nur vom Gedanken beseelt sind, sich selbst zu bereichern und eine Schneise der Verwüstung zu hinterlassen. Ich selbst habe keinen Einblick darin, was an den Vorwürfen genau dran ist. Was ich jedoch weiß: Die FIFA investiert sehr viel Geld und sehr viele Ressourcen in verschiedenste Projekte, um Schulen zu bauen oder Bedürftigen zu helfen. Ich habe mir selbst ein Bild gemacht und halte meine Hand ins Feuer.
SPOX: Sie sprechen über die Kraft des Fußballs. Wie war das 1998, als Sie mit Frankreich bei der Heim-WM den Titel gewannen?
Karembeu: Das ist das perfekte Beispiel: Nach unserem Erfolg lag sich die gesamte Nation in den Armen, es flossen Tränen der Freude und es wurde laut und im Chor gesungen. Durch Frankreich ging ein Ruck. Vergleichbar vielleicht nur mit der Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg.
SPOX: Die aktuelle Generation der französischen Nationalspieler disqualifizierte sich bei der WM 2010 in Südafrika - sportlich und charakterlich.
Karembeu: Wir zeigten unser hässlichstes Gesicht. Dennoch bringt es nichts, jetzt zu verzagen. Ich glaube, dass durch die Erlebnisse in Südafrika die Notwendigkeit erkannt wurde, dass ein neuer Geist einkehren und die Mannschaft bereinigt werden muss.
SPOX: Was halten Sie von Franck Ribery?
Karembeu: Ein nach wie vor hochtalentierter Junge, der alles mitbringt und aus den Fehlern hoffentlich gelernt hat. Frankreich braucht ihn. Ihm muss diese Verantwortung bewusst sein und er muss wissen, dass jeder nur auf ihn schaut. Wenn er das beherzigt, wird er bei der EM den Unterschied ausmachen.
SPOX: Sahen Sie für sich zu Ihrer aktiven Zeit die Gefahr, ähnlich wie Ribery vom Ruhm verführt zu werden?
Karembeu: Nein. Ich wusste immer, wer ich bin und wie ich meine innere Mitte halte. Auch wenn mir nicht jeder glauben wird: Ich war immer ehrlich, egal ob zu Beratern, Managern oder Trainern. Ich habe meine Karriere so gelebt, wie ich mir das bei anderen wünsche.
SPOX: Aber nach dem WM-Sieg oder den beiden Erfolgen in der Champions League konnten Sie mal lockerlassen?
Karembeu: Ach, wissen Sie: Ich gewann viele Titel und verdiente viel Geld. Wenn ich zurückblicke, bekomme ich vor allem ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich mich an die Gespräche mit interessanten Personen aus aller Welt erinnere, die ich führen durfte. Das ist das wahre Privileg eines Fußball-Profis.
Christian Karembeu im Steckbrief