SPOX: Es verdichten sich die Anzeichen, dass Ezequiel Garay zu den Bayern wechselt. Dabei wurde lange über David Luiz spekuliert. Sind Sie überrascht?
Rodolfo Cardoso: Davon, dass nie von Garay die Rede war, wenn es um die Bayern ging, bin ich auf jeden Fall überrascht. Von den Qualitäten aber ergibt ein Transfer absolut Sinn. Manchester United war nicht zufällig schon letztes Jahr an ihm interessiert und ist es offenbar immer noch. Garay wäre eine gute Entscheidung der Bayern.
SPOX: Warum?
Cardoso: Mit seinen 27 Jahren ist er genau im richtigen Alter: Er hat bereits einiges erlebt, ist gleichzeitig jung genug, um den nächsten Schritt zu gehen. Er zog mit Benfica zweimal hintereinander in das Europa-League-Finale ein, wurde portugiesischer Meister und steht bei der WM in der Stammelf von Argentinien. Jetzt wäre der Zeitpunkt perfekt, um den Durchbruch bei einem richtig großen Verein zu schaffen. Er hätte es sich verdient.
SPOX: Was zeichnet Garay aus?
Cardoso: Pep Guardiola ist definitiv nicht blind und er wird schon in Spanien verfolgt haben, welche Qualitäten Garay mitbringt. Er ist zweikampfstark, sehr physisch, sehr schnell, sehr konzentriert. Bei seiner ersten Station in Europa bei Racing Santander zeigte er teilweise überragende Spiele, dann litt er unter Knieproblemen und es reichte nicht ganz bei Real Madrid, wobei er sich jetzt bei Benfica und der argentinischen Nationalmannschaft seit zwei, drei Jahren auf einem sehr hohen Niveau stabilisiert hat. So eine Konstanz gibt es nicht so häufig.
SPOX: Dazu kommen seine Qualitäten als Freistoßschütze: In seinem Premierenjahr bei Santander hatte er neun Tore alleine in der Primera Divison erzielt, in der abgelaufenen Saison für Benfica waren es wettbewerbsübergreifend immerhin derer acht.
Cardoso: Seine Freistöße mit seinem starken rechten Fuß sind eine richtige Waffe - wobei er kein Feintechniker ist, der den Ball schlenzt, sondern es eher mit Gewalt versucht. Viele seine Tore verdankt er allerdings seinem extrem guten Kopfballspiel.
SPOX: Trotzdem kennen ihn vor allem nur die Experten.
Cardoso: Zu Unrecht! Als ich für den Hambuger SV als Scout in Argentinien tätig war, wurde ich in den Norden des Landes eingeladen. In Rosario fand das Stadt-Derby der Jugendteams zwischen Rosario Central und den Newell's Old Boys statt und mir fiel sofort Garay auf. Er muss damals 17 Jahre alt gewesen sein, aber man sah ihm an, warum er schon bei den Profis von Newell's mittrainieren durfte. Er war damals schon eine Bombe: groß, athletisch, kopfballstark. Ich erinnere mich noch, dass ich zwei, drei Monate später davon hörte, dass er kurze Zeit später richtig zur Profi-Mannschaft hochgezogen wurde und es direkt in die Stammelf geschafft hatte, mit der er die argentinische Hinrunden-Meisterschaft gewann.
SPOX: Warum ist er selbst in Argentinien eher unbekannt, obwohl er zum festen Kern der Nationalelf gehört?
Cardoso: Der Name ist schon geläufig, nur er ging so früh nach Europa, dass er etwas in Vergessenheit geriet. Man liest auch heute fast gar nichts über ihn in der Presse, was wohl damit zusammenhängt, dass er als Typ ruhig, bodenständig und zurückhaltend ist. Außerdem wird in Argentinien grundsätzlich den Innenverteidigern weniger Aufmerksamkeit geschenkt als den Offensivspielern. So langsam nimmt man Notiz, dass Garay im positiven Sinne solide ist. Er war in Europa kein Durchstarter, dafür ging er langsam seinen Weg und verbesserte sich stetig. Früher wurde er nicht einmal regelmäßig in die Nationalmannschaft berufen und ist jetzt seit der WM-Qualifikation unumstrittener Leistungsträger. Wir hatten in Argentinien lange Zeit ein Abwehrproblem. Jetzt wurde mit ihm und Federico Fernandez von Neapel endlich ein gutes Innenverteidiger-Duo gefunden, so dass sich die Defensive in der letzten Phase der Qualifikation stabilisiert hat.
SPOX: Lässt sich Garay mit Martin Demichelis vergleichen?
Cardoso: Sie sind zwar beide Innenverteidiger, davon abgesehen sind sie sich nicht ähnlich. Demichelis wechselte damals als großer Star in Argentinien zu den Bayern. In Europa kannte man ihn vielleicht nicht so gut, doch er hatte großen Erfolg bei River Plate und damals schon ein anderes Standing als Garay heute. Und spielerisch unterscheiden sie sich ebenfalls. Demichelis spielte mit mehr Risiko, mit häufigen Dribblings durch die Mitte. Das entspricht wohl seinem Charakter. Garay hingegen ist kompromissloser und weniger anfällig für Fehler. Ich habe in den Jahren von ihm noch nie ein Dribbling gesehen. Wenn es sein muss, schießt er den Ball eben hoch auf die Tribüne. Man darf ihn zugleich nicht unterschätzen: Er versucht keine verrückten Dinge, aber er bemüht sich um einen ordentlichen Aufbau, solange es nicht zu riskant ist. Er besitzt ein solides, vernünftiges Passspiel.
SPOX: Dante und Jerome Boateng werden bei Bayern als bewährtes Innenverteidiger-Duo in die kommende Saison gehen, zudem kehrt Holger Badstuber zurück. Wo soll Garay seinen Platz finden?
Cardoso: Wenn Guardiola den Wechsel befürwortet hat, wovon ich ausgehe, wird Garay seine Einsatzzeiten erhalten. Und warum sollte er nicht Dante und Boateng verdrängen? Er wird sich zwar erstmal an die Bundesliga gewöhnen müssen, es ist einfach eine andere Hausnummer als die portugiesische Liga. Dennoch sollte man ihn nicht unterschätzen: Garay ist ein absoluter Top-Mann , obwohl sein Name in Deutschland nicht so geläufig ist. Er verkörpert einen anderen Typ als David Luiz, er zählt jedoch genauso zur Weltklasse.
SPOX: Guardiola möchte zukünftig häufiger auf eine Dreier-Abwehrkette umstellen. Etwas für Garay?
Cardoso: Im DFB-Pokalfinale sah man ja schon, was sich Guardiola vorstellt: eine Dreierkette, die defensiv zu einer Fünferkette wird. Ein altes System, das ein bisschen neu gebaut wurde. Und da würde Garay gut reinpassen. Er verteidigt stark am Mann und in der Luft, gleichzeitig ist er schnell und antizipiert gut. Wie viele südamerikanische Innenverteidiger genoss er eine taktisch exzellente Ausbildung. Mit Garay können die Bayern nicht viel falsch machen.
Ezequiel Garay im Steckbrief