Die Stimmung im Ipurua ist am Siedepunkt angekommen. Nach dem 1:1-Ausgleich gegen Racing Ferrol am letzten Spieltag der Saison scheint für die Fans der SD Eibar der erstmalige Aufstieg in die Primera Division doch noch möglich, zumal Konkurrent CD Alaves gegen Gijon mit 0:1 zurückliegt. Ein Tor reicht den Basken, um am ehemaligen UEFA-Cup-Finalisten vorbeizuziehen.
Und tatsächlich: Ein schmächtiger und pfeilschneller Flügelstürmer von den kanarischen Inseln schnappt sich im Mittelfeld den Ball, zieht an allen Gegenspielern vorbei und läuft alleine auf das Tor von Racing Ferrol zu. Doch plötzlich stoppt der 19-jährige David Silva seinen Solo-Lauf, weil ein Racing-Akteur verletzt am Boden liegt. In Eibar spricht man noch heute von "dem Tor, das uns in die erste Liga gebracht hätte".
Mittlerweile ist diese an Dramaturgie kaum zu überbietenden Szene neun Jahre her, David Silva Welt- und Europameister und die SD Eibar zurück in der Segunda Division. Denn nach fünf Jahren in der drittklassigen "Segunda B" kehrten Los Armeros, wie die Spieler aufgrund der großen Waffenindustrie in der Kleinstadt genannt werden, zurück in die Zweitklassigkeit - und könnten nun den direkten Durchmarsch in die Primera Division schaffen.
Denn vier Spieltage vor Schluss steht das Team aus dem 27.000-Einwohner-Ort mit 63 Punkten auf Tabellenplatz zwei, der zum direkten Aufstieg berechtigt.
Dass der Klub, der mit 18 Jahren Zweitligazugehörigkeit einen Rekord hält, überhaupt in solch hohe Gefilde vordringen konnte, gleicht einer Sensation. Schließlich gelingt der Erfolg mit einem Mini-Etat und dem kleinsten Stadion der Liga, dass die Armeros aber zu ihrer eigenen Festung gemacht haben.
Zwischen Hügeln und Wohnblocks
Das Ipurua, in dem rund 5.200 Fans Platz finden, versprüht dabei eher den Charme eines Regionalliga-Stadions. Der Eingang zur Arena befindet sich am Ende eines verwinkelten Straßenlabyrinths, die Haupttribüne überragen zwei Wohnhäuser, deren Bewohner sich über ein Gratis-Ticket für alle Heimspiele erfreuen. "Hier sprechen alle nur von einem Fußballplatz und keinem Stadion", meint etwa "ESPN"-Kolumnist Sid Lowe.
Rund 3.000 Zuschauer tummeln sich hier jedes Wochenende im Schnitt. Während die meisten in den blau-rot-gestreiften Trikots ihrer Heimmannschaft auftauchen, finden sich auf der Haupttribüne auch Anhänger in schottischen Kilts und mit Dudelsack. Der Fan-Klub "Escocia la Brava", der 2001 bei dem Besuch eines Rugby-Turniers in Schottland gegründet wurde, ist auch der Grund für einen weiteren Spitznamen Eibars: The Bravehearts.
Angepeitscht von der kuriosen Fan-Gruppe, der auch regelmäßig echte Schotten beiwohnen, ließ Eibar zuhause bisher nur zwölf Gegentore zu. Der Etat beträgt läppische 3,5 Millionen Euro, sämtliche Teams aus der 2. deutschen Bundesliga geben mehr Geld aus.
Das Team ist der Star
Um mit solch geringem finanziellen Spielraum erfolgreich zu sein, bedarf es eines strikten Konzepts, das Gaizka Garitano wie kein Zweiter vorlebt. Einst selbst Spieler der Fast-Aufstiegsmannschaft von 2005 fungiert der 39-Jährige seit 2012 als Trainer in Eibar und zeichnet verantwortlich für die aktuell beste Saison der Klubgeschichte. Sein Mantra: "Mir ist wichtig, dass wir hier als Einheit agieren und uns mit dem Verein identifizieren. Jeder, der sich selber profilieren will, hat hier nichts verloren."
Garitano setzt auf ein engmaschiges Defensivkonzept im 4-2-3-1-System. Die Abwehrreihe um Raul Navas, Jugend-Nationalspieler Lillo und Yuri Berchiche, der einst in Tottenham bei einem Jugend-Turnier seinem Gegenspieler ein Bein brach, schweißen den eigenen Sechzehner regelmäßig zu und stellen mit 26 Gegentreffern die beste Abwehr der Segunda Division.
Dass die baskischen Bravehearts auch vorne gefährlich sein können, musste unter anderem Real Madrid Castilla schmerzlich feststellen. Mit 6:0 wurden die Nachwuchskicker der Königlichen im Ipurua abgefrühstückt. Hauptverantwortlich für den Angriff der Basken: Die Stürmer Jota (acht Saisontore) und Mikel Arruabarrena (sieben) sowie Jose Luis Morales, der meist glänzend für seine Mitspieler auflegt.
In Sachen Personalakquise geht der Verein wie folgt vor: Meist werden junge Spieler von den baskischen Top-Klubs Real Sociedad und Athletic Bilbao ausgeliehen, so landete auch Xabi Alonso 2000 eine Saison bei Eibar. Aktuell befinden sich nur zwei Nicht-Spanier im Team von Garitano. "Unser Star ist das Team. Unsere Geschlossenheit ist der Schlüssel zum Erfolg", erklärt der Ex-Profi, der seine Fußballschuhe 2009 an den Nagel hängte.
Der Krux mit der Kohle
Trotz der großen Chance auf den Aufstieg bleibt man nüchtern in der baskischen Provinz. "Uns fehlen noch zwei Siege zum Klassenerhalt", sagte Garitano nach dem 25. Spieltag, als die Armeros die Tabellenführung übernommen hatten.
Die Zurückhaltung hat aber einen einfachen Grund: Ausgerechnet Eibars Provinz-Status könnte dem Verein zum Verhängnis werden. Grund dafür ist eine Regel in den Statuten des spanischen Ligaverbands LFP: Vereine der ersten und zweiten Liga müssen nach Saisonende bis August mindestens 25 Prozent des Durchschnittskapitals der 22 Ligavereine in bar aufweisen können.
Eibar, einer der wenigen nicht verschuldeten spanischen Klubs, verfügt aktuell jedoch nur über ein Vermögen von rund 470.000 Euro. Nötig sind etwas mehr als 2,1 Millionen, sonst droht der Zwangsabstieg in die dritte Liga. Bereits die Hälfte der Zweitliga-Vereine befinden sich entweder in einem Konkursverfahren oder haben dieses gerade hinter sich gebracht.
Eibar würde für seine Finanzpolitik bestraft
"Eibar ist ein absoluter Vorzeige-Klub", erklärte unlängst Liga-Präsident Javier Tebas. Um dem Zwangsabstieg zu entgehen, können sich Vereinsmitglieder jetzt für 50 Euro Vereinsaktien sichern. Ob bis August die fehlenden 1,7 Millionen zusammenkommen, bleibt aber fraglich. Der Witz an der Sache: Eibar würde letztlich für seine sorgsame Finanzpolitik bestraft.
Sollte es der Klub trotz aller finanziellen Hürden in die Primera Division schaffen, dürfen sich die Fans auf Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und Co. freuen, die dann zwischen den Häuserblocks im Ipurua kicken müssten. Für Garitano gäbe es auch ein Wiedersehen mit den Königlichen.
Im Achtelfinale der Copa del Rey war Real vor zehn Jahren im Ipurua zu Gast - und bekamen einen bösen Schuss vor den Bug. Nur mehrere Glanzparaden von Iker Casillas retteten ein 1:1, das am Ende zum Weiterkommen reichte.
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