SPOX: Herr Hamann, wie gefährlich kann Borussia Dortmund dem FC Bayern München in dieser Saison werden?
Dietmar Hamann: Der BVB hat in dieser Saison jede Position mit zwei qualitativ guten Spielern besetzt. In der Breite sind sie wesentlich besser aufgestellt als im Vorjahr. Ich hoffe und glaube auch, dass sie die Liga dieses Jahr spannender halten können.
SPOX: Das Vorhaben, auf allen Positionen über mindestens zwei Alternativen zu verfügen, wird aktuell noch durch die große Verletztenmisere durchkreuzt.
Hamann: Das stimmt. Viel wird natürlich davon abhängen, wie schnell diese Spieler wieder bei der Mannschaft sind. Dabei denke ich vor allem an Ilkay Gündogan, der ein wichtiger Faktor im BVB-Mittelfeld ist. Dass Sven Bender inzwischen zurück ist, entspannt die Situation etwas.
SPOX: Besonders schwer wiegt dagegen der Abgang Robert Lewandowskis.
Hamann: Lewandowski ist der beste Stürmer Europas und natürlich ein Verlust für Borussia Dortmund. Aber man hat mit Adrian Ramos und Ciro Immobile zwei Stürmer geholt, die seinen Platz einnehmen können. Jürgen Klopp hat schon viele Spieler enorm verbessert und dazu gebracht, über ihre Leistungsgrenzen zu gehen. Warum soll das nicht auch mit den beiden Neuzugängen klappen?
SPOX: Mario Götze hat den Wechsel von Dortmund nach München bereits vor einem Jahr vollzogen. Woran liegt es, dass er noch nicht richtig angekommen ist?
Hamann: Mario ist das Ausnahmetalent Europas. Er hat im WM-Finale gezeigt, wozu er in der Lage ist, ruft das in der Bundesliga aber zu selten ab. Er muss viel mehr machen und den Anspruch haben, jeden Samstag oder Mittwoch von Beginn an auf dem Platz zu stehen und nicht nur von der Bank zu kommen. Beim FC Bayern reicht es einfach nicht aus, jedes zweite oder dritte Spiel gut zu machen. Was fehlt, ist die Konstanz.
SPOX: Ruht sich Götze zu sehr auf seinem Talent aus?
Hamann: Das kann ich nicht bewerten, dafür kenne ich ihn und seine Lebensweise nicht gut genug. Sehr talentierte Spieler können es sich manchmal erlauben, ein bisschen weniger zu machen als andere. Wenn diese Einstellung die Überhand gewinnt, kann das allerdings auch zu einer großen Gefahr werden. Mario ist jetzt 22 Jahre alt und von der Qualität einer der besten Bundesligaspieler. Wenn er in den Kreis der Topspieler aufsteigen will, dann muss er es bald machen. Wir sollten uns längst nicht mehr darüber unterhalten, ob er spielt, sondern wo!
SPOX: Im "Sky90"-Talk sagten Sie, dass Cristiano Ronaldos Einstellung für einen so talentierten Spieler vorbildlich ist, er als erster zum Training kommt und als letzter geht. Bei Wayne Rooney vermissen Sie diese Professionalität hingegen.
Hamann: Wenn du der Beste sein willst, musst du auch so leben - das gilt auf und neben dem Platz. Wenn man hingegen am Wochenende gerne unterwegs ist und auch mal ein Bier oder einen Wein zu viel trinkt, wirkt sich das auf die Leistung aus. Das ist der große Unterschied. Rooney hat immer an der Tür zur Weltklasse geklopft, ist aber nie durchgegangen. Ronaldo hat sie niedergestoßen, weil er besessen ist und sich seine Fähigkeiten hart erarbeitet hat.
SPOX: Der "faule" Rooney und Neu-Manchester-Trainer Louis van Gaal. Kann das überhaupt zusammenpassen?
Hamann: Nein, das kann er sich unter van Gaal nicht erlauben. Vielleicht wäre es Rooneys Laufbahn gut gewesen, wenn van Gaal ihn schon früher trainiert hätte. Selbst Alex Ferguson hatte ab und zu Probleme, ihn zu zähmen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass van Gaal in der Lage ist, das Beste aus Spielern herauszuholen. Er hat Rooney zum Kapitän gemacht und ihm gezeigt, dass er auf ihn setzt. Rooney hat noch drei bis vier Jahre, in denen er auf Topniveau spielen kann, beziehungsweise nochmal einen Schritt nach vorne machen kann - das weiß er auch selber. Ich erwarte große Dinge von ihm in dieser Saison.
SPOX: Ist Manchester United mit Louis van Gaal ein ernstzunehmender Titelkandidat?
Hamann: Ich dachte schon. Aber sie brauchen noch zwei, drei Spieler. Das hat der schwache Auftakt mit der verdienten Niederlage gegen Swansea City gezeigt. Wenn die Mannschaft nicht weiter verstärkt wird, wird es schwer, unter die ersten Vier zu kommen.
SPOX: Wer ist Ihr Topfavorit in der Premier League?
Hamann: Das Team, das es zu schlagen gilt, ist Manchester City. Aber auch Arsenal hat eine sehr gute Mannschaft. Man muss abwarten, ob Arsene Wenger nochmal auf dem Transfermarkt zuschlägt. Der Name Sami Khedira fällt immer wieder. Falls es gelingt, ihn nach London zu holen, traue ich Arsenal einiges zu.
SPOX: Lukas Podolski wurde hingegen öfter als möglicher Abgang diskutiert.
Hamann: Es gibt mit Sicherheit Interessenten für ihn, in Deutschland und in England. Wenger hat gesagt, dass er sich einen Wechsel Podolskis vorstellen könnte. Sie haben unheimlich viele Optionen im Offensivverband und Podolski hat, auch wegen seiner Verletzung, schon in der letzten Saison nicht regelmäßig gespielt. Das wird sich nicht bessern - im Gegenteil sogar. Ich kann mir gut vorstellen, dass er Arsenal verlassen wird.
Dietmar Hamann im Steckbrief