Die Schnelllebigkeit des Fußballgeschäfts ist eine von vielen Protagonisten häufig bemühte Beschreibung. Man versucht damit auszudrücken, dass in dieser unnachgiebig boomenden Branche eins und eins nicht immer zwangsläufig zwei ergeben muss. Nicht selten erscheint es dem außenstehenden Konsumenten widersinnig, mit welchem Ergebnis manche Rechnungen enden.
Der FC Porto gibt dieser Tage ein gutes Beispiel dafür ab. Der Gegner von Borussia Dortmund im Europa-League-Sechzehntelfinale hat vergangenen Freitag seinen Trainer Julen Lopetegui vor die Tür gesetzt.
Der spanische Coach hatte zu diesem Zeitpunkt eine Niederlage in der Liga NOS zu verantworten, die sechs Tage vor seiner Entlassung passierte. Es war die erste nach zuvor 341 Tagen ohne Pleite - doch es setzte sie gegen Sporting, dem Erzrivalen aus Lissabon und einem der Hauptkonkurrenten um die Meisterschaft.
Fußballerische Frischzellenkur
Nach der Niederlage am 2. Januar in der Hauptstadt verlor Porto die Tabellenführung, ein nach 26 Torschüssen, 18 Eckbällen und 68 Prozent Ballbesitz überraschendes in 1:1 gegen Rio Ave vier Tage später besiegelte schließlich Lopeteguis Aus. Die Drachen wiesen wie auch aktuell vier Punkte Rückstand auf Platz eins auf, doch es ist erst die Hälfte aller Spiele gespielt. Wie kann es also zu einer solchen Entscheidung kommen?
Wenn auch die Maßnahme der Vereinsverantwortlichen wie eine Kurzschlussreaktion anmutet, liegen die Gründe für Lopeteguis Rauswurf tiefer. Die Inthronisierung des Spaniers, der als Profi zwischen 1989 und 1991 bei Real Madrid und von 1994 bis 1997 beim FC Barcelona ein Dasein als Ersatztorwart fristete, war im Sommer 2014 Portos Antwort auf die erste titellose Saison seit neun Jahren.
Mit Hilfe zahlreicher Spielertransfers - Lopetegui konnte einige Landsmänner zu einem Engagement im Nachbarland überreden - verpasste der neue Übungsleiter den Blau-Weißen eine fußballerische Frischzellenkur. Lopetegui, 2012 mit der spanischen U19-Nationalmannschaft und ein Jahr später mit der U21 EM-Sieger, ging weg vom von viel Dynamik getragenen Umschaltspiel und verordnete seiner Truppe ein Ballbesitzspiel a la Pep Guardiola.
"Lopetegui wird zum Giganten"
Als Porto im April vergangenen Jahres den FC Bayern im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinals mit 3:1 aus dem Estadio do Dragao spielte und dabei nicht nur defensive Kompaktheit, sondern auch ein hohes Pressing zum Erfolg führten, erschien auf Seite eins der spanischen Sportzeitung As die Schlagzeile: "Lopetegui wird zum Giganten".
Doch der Wind begann sich allmählich zu drehen, als sechs Tage später nach einem 1:6 in der Allianz Arena die herbste Schlappe des FC Porto in der Königsklasse stand. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Rückstand zu Tabellenführer Benfica in der Liga drei Zähler. Einen Monat später war die Saison vorbei - und die Drachen standen erneut ohne Silberware da.
Für viele Beobachter war bereits dies ein Unding, hatte Porto doch mit Abstand die individuell stärkste Truppe des Landes beisammen. Diese dünnte sich im Sommer bedenklich aus. Sieben Stammspieler, darunter Leistungsträger wie Jackson Martinez, Oliver Torres, Danilo oder Alex Sandro, verließen den Klub.
Nur zwei Siege gegen Benfica und Sporting
Lopetegui durfte aber prompt reinvestieren und gab beispielsweise für Marseilles Giannelli Imbula so viel Geld aus wie noch nie zuvor in der Geschichte des portugiesischen Fußballs (20 Millionen Euro). Zudem verstärkten Iker Casillas, Maxi Pereira, Andre Andre und Miguel Layun die Mannschaft. Doch der spanische Coach ging unter einer Prämisse in die aktuelle Spielzeit: ohne Titel dürfe er nicht nach Hause kommen.
Beim FC Porto ist es zur Tradition geworden, dass ein trophäenloses Jahr schlicht einer Katastrophe gleichkommt. Das mit einer Pleite gegen das von Ex-Porto-Coach Jose Mourinho trainierte Chelsea am letzten Spieltag der Gruppenphase besiegelte Ausscheiden aus der Champions League vor rund einem Monat setzte Lopetegui gehörig unter Druck. Schließlich stand man im Vorjahr noch im Viertelfinale.
Auch die Fans, die Lopetegui letztlich nie hinter sich bringen konnte, wurden immer unruhiger. Der Coach tüftelte viel herum, ließ mal 4-3-3 und mal 3-6-1 spielen, sah sich aber häufig zwei Vorwürfen ausgesetzt: sein Team komme offensiv nicht in die Gänge und schaffe es besonders in den großen Duellen nicht, tief stehende Gegner zu knacken. In Lopeteguis Bilanz gegen die Dauerrivalen Benfica und Sporting stehen nur zwei Siege bei sieben Duellen - das ist in Porto nur schwer zu vermitteln.
Lopetegui attackiert Medien
Dennoch erklomm Porto vier Tage vor Weihnachten nach einem 3:1-Sieg gegen Academica Coimbra die Tabellenführung. Seitdem überschlugen sich die Ereignisse und gipfelten schließlich in Lopeteguis Entlassung.
Der 0:2-Niederlage bei der seit 2002 auf den Ligatitel wartenden Mannschaft von Sporting ging eine 1:3-Heimpleite im Ligapokal gegen Maritimo Funchal voraus. Porto wurde damit erstmals seit Januar 2015 wieder in der heimischen Liga bezwungen - und dennoch hatte sich angesichts der hitzigen Atmosphäre einiges in Lopetegui angesammelt.
Auf der anschließenden Pressekonferenz teilte der Coach gegen die hiesigen Medien aus. Die zumeist in Lissabon stationierten Tageszeitungen sowie Fernseh- und Radiosender würden gegenüber seinem Verein eine vollkommen verquere Messlatte anlegen und stattdessen die Rivalen aus der Hauptstadt hofieren, ärgerte sich Lopetegui und argumentierte, sein Team habe mit 36 zwei Zähler mehr als zum vergleichbaren Zeitpunkt des Vorjahres auf dem Konto.
Fans spotten: "Pray for Lopetegui"
"Ich weiß, dass mich viele von euch Journalisten in Stücke reißen möchten. Unser Rivale hat nur zwei Punkte mehr und es sieht aus, als ob er dem Himmel nahe sei. Die Medien sind mir und dem Klub gegenüber negativ eingestellt. Doch das ist etwas, was wir nicht kontrollieren können. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Meisterschaft gewinnen werden", entfuhr es dem 49-Jährigen.
Am Morgen danach warteten einige hundert Anhänger auf den Mannschaftsbus und forderten die Entlassung Lopeteguis. Auf Bannern im Stadion und in den sozialen Netzwerken widmeten die Fans dem Spanier bereits den Slogan "Pray for Lopetegui", eine geschmacklose Anspielung auf die Mitleidsbekundungen rund um die Terroranschläge in Paris vergangenen November. Die Zündschnur in Porto kann sehr kurz sein.
Das Ausscheiden aus der Königsklasse, die Pleite bei der Konkurrenz, dazu vier Tage nach dem 0:2 in Lissabon eine offensiv magere Darbietung gegen Rio Ave erhärteten bei der Vereinsführung letztlich den Eindruck, dass man reagieren müsse, um den Hattrick der Titellosigkeit zu vermeiden.
In Portugal ticken die Uhren anders
Einige der jüngeren Spieler schienen aufgrund der raschen Abfolge der Ereignisse zudem eine mentale Blockade davon getragen zu haben. Erstmals in Lopeteguis Amtszeit bekam seine Truppe deutliche Kratzer ab, die Fans gingen nach dem 1:1 gegen Rio Ave vollkommen auf die Barrikaden.
Doch muss man deshalb gleich den Trainer vor die Tür setzen? Porto lag unter Lopetegui noch in allen vier Wettbewerben gut im Rennen, vier Zähler Rückstand bei noch 18 ausstehenden Partien sind nicht die Welt.
Hört man sich bei portugiesischen Journalisten um, bekommt man unisono zu hören: in Portugal ticken die Uhren anders, dort sei das normal. Der FC Porto müsse unter allen Umständen vermeiden, nach dieser Saison wieder mit leeren Händen dazustehen.
Ob's hilft? Der für Lopetegui installierte Interimstrainer Rui Barros, der in der Spielzeit 2005/2006 bereits Co Adriaanse assistierte, gewann das Stadtderby gegen Boavista satt mit 5:0. Seitdem denkt in Porto niemand mehr an Lopetegui.
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