"Beschissenste Idee des Jahrhunderts"

Oliver BirknerOliver WittenburgAndreas Lehner
15. Februar 201617:15
"Ja, Lothar. Ich du bleibst Rekordnationalspieler. Nördlich der Alpen" getty
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Junge, Junge, Junge. Was war denn an diesem Wochenende in Europa los? In Italien gibt's das absolute Spitzenspiel, aber keiner schaut es an. Für Aufsehen sorgt auf der Insel Joleon Lescott, aber nicht wegen seiner Leistung auf dem Platz. Und die Spanier? Dort gibt's Nachhilfe im Geschichtsunterricht - ganz ohne CR7.

Serie A

von Oliver Birkner

Beschissenste Idee des Spieltags: Was schauen wir denn nun bloß? Eine Debatte, die am Samstag zu reichlich Familiengezeter in Italiens Haushalten führte. Einerseits suchte das älteste Musikfestival Europas, Sanremo, seinen 66. Sieger. Parallel trafen sich allerdings Juventus und Napoli. Festival-MC Carlo Conti tüftelte seine ideale Lösung aus: "Schaut alle Sanremo live und nehmt das Spiel für nachher auf." Das klang dann doch sehr nach dem gemeinhin gefürchteten Einwurf der Partnerin: "Also ehrlich Schatz, live oder aufgezeichnet, ist doch dasselbe Spiel." Weltmeister Fabio Cannavaro machte dem Nonsens ein Ende und twitterte: "Conti, das ist die mit Abstand beschissenste Idee des Jahrhunderts!"

Live durfte man dann eine interessante Partie hoher Taktikschule bestaunen zwischen dem waschechten Toskaner Max Allegri und dem Wahl-Toskaner Maurizio Sarri. Beide trafen sich übrigens erstmals in der Saison 2003/04 in der vierten Liga beim Kick zwischen Sangiovannese und Aglianese. Hinspiel 0:0 vor 1400 Zuschauern, Rückspiel 0:0 vor 434 Besuchern. Einer davon schrie damals gen Trainerbänke: "Ihr beiden Hampelmänner versteht doch einen Scheiß von Fußball! Da kann ich ja besser trainieren." Gerüchte sind bis heute nicht bestätigt, dass es sich dabei um Louis van Gaal handelte. Wie dem auch sei, gewann Juve durch einen abgefälschten Schuss von Edelreservist Simone Zaza zwei Minuten vor dem Ende. Die allein schon bittere Niederlage schmerzte Neapel noch höllischer, als das Juventus Stadium höhnisch "O surdato 'nnamurato" anstimmte, denn damit besingen eigentlich die Neapolitaner traditionell ihre Erfolge. Und manch einer dachte sich, Sanremo zu schauen wäre vielleicht doch keine so beschissene Idee gewesen.

Busfahrer des Spieltags: Es gab viel zu erleben rund um die Partie in Turin. Belohnend wie immer verlief die gefühlt 200 Stunden lange Berichterstattung in Funk und Fernsehen. Man hatte die 90 Minuten schließlich zum Duell um die Meisterschaft hochposaunt, und die ist jetzt entschieden. Einen Punkt Rückstand kann Neapel in 13 verbleibenden Spielen unmöglich aufholen. 60 Minuten vor Anstoß erhielt der Zuschauer die brandheiße Eil-Meldung, Napoli würde mit der besten Elf antreten. SPOX

Das verwunderte. Sarri griff bei Juve tatsächlich nicht zur Rotation? Es folgte das Tribünen-Mysterium. "Da sitzen übrigens die verletzten Mandzukic und Chiellini", erklärte der Sky-Kommentator, darauf sein Co: "Und den daneben kennst du nicht?" - "Sag du's mir..." Minutenlangem nervösen Nägelbeißen folgte die landesweit ersehnte Aufklärung: "Wir haben das Geheimnis gelüftet: Es ist der Busfahrer von Juventus." Dann wurde endlich gespielt.

Und sonst? Unglaubliches ereignete sich im San Siro. Dort siegte Milan gegen Genoa und ist nach sieben ungeschlagenen Partien wirklich in die Nähe der Europapokal-Ränge gekraxelt. Hätte man kaum für möglich gehalten. Aber mit stabilen Geographie-Granaten wie Giacomo Bonaventura, Rufname Jack, im Kader dann irgendwie doch kein Wunder. Der legte kürzlich im TV unbeirrt Zeugnis seiner zweiten Leidenschaft ab. "Giacomo, wie heißt die Hauptstadt von Finnland?" - "Reykjavik?" - "Nein, das ist die von Island. Von China?" - "Shanghai." - "Nein, Peking. Von der Schweiz?" - "Hmmm, Genf." Zur Ehrenrettung muss freilich angeführt werden, dass der AC seit zwei Jahren nicht im Europapokal antritt. Hit the Road, Jack!

Premier League

von Oliver Wittenburg

Zauberei des Spieltags: Menschen sind zu verrücktesten Sachen in der Lage. Ein Däne namens Karsten Maas hat einen über vier Meter langen Golfschläger gebaut. Klasse Sache. Und bei "Wetten, dass...?" hat mal einer den Reifen an seinem Auto gewechselt - während der Fahrt. In eine ähnliche Kategorie von Ausnahmetalenten gehört Joleon Lescott. Der Abwehrspieler von Aston Villa hat auf der Heimfahrt vom Spiel gegen Liverpool am Sonntagabend ein Bild bei Twitter gepostet. Und jetzt kommt das Irre: Er hat den Tweet per Telekinese abgesetzt. Da staunt man nicht schlecht. Per Telekinese. Wie Sissy Spacek in "Carrie". Wobei Twitter gab's noch nicht, als Carrie rauskam. Sissy Spacek lässt halt Leute vom Rad fallen oder verwandelt die Turnhalle der High School in ein flammendes Inferno. Solche Sachen. Und Joleon Lescott hat das Bild eines Autos gepostet. Er hat dabei allerdings ein paar Fehler begangen.

Erstens: Es handelt sich um ein sehr teures Auto. 150.000 Euro plus x. Das erregt Neid. Zweitens: Er hat den Post unmittelbar nach Villas 0:6-Debakel gegen Liverpool abgesetzt. Das erregt Zorn. Drittens: Er hat dem Bild einen riesigen Haufen verbaler Scheiße hinterhergeschickt. Das erregt Blutrausch. "Ich bin keiner, der gleich nach dem Spiel twittert. Ganz egal, ob das Ergebnis gut (wovon sprechen Sie? Anm. d. Red.), schlecht (so viel Zeit hätten Sie gar nicht) oder irgendwo dazwischen ist. Für die heutige Leistung möchte ich mich aber entschuldigen, persönlich und im Namen der Mannschaft (haben die anderen keine eigenen Accounts?). Liverpool ist und war besser, das ist aber keine Entschuldigung für mein fehlendes Engagement und das der ganzen Mannschaft.[...] Komm zum Punkt, Mann! Ich möchte noch hinzufügen, dass der Tweet auf meinem Account mit dem Bild eines Autos aus Versehen (totally accidental) rausging. Es passierte während der Fahrt, als sich das Handy in meiner Hosentasche befand." Keine Frage, ein Genie.

Welbeck des Spieltags: Der Award geht natürlich an Danny Welbeck. Wenn man sich ein Comeback malen könnte, dann würde es vermutlich so aussehen: Du bist zehn Monate raus, mental (und vom Kopf her) total am Ende. Dann bist du wieder fit, aber dein Trainer zögert noch, dich wieder in den Kader zu nehmen, weil eben so ein verdammt wichtiges Match ansteht. Am Tag vor dem Spiel gibt sich der Coach einen Ruck und nominiert dich auf den letzten Drücker. Dann sitzt du draußen und hoffst und bangst. Deine Jungs liegen hinten. Verdient. Der Gegner ist verdammt gut. Dann der Ausgleich. SPOX

Aber ein 1:1 ist einen Dreck wert. Dann die letzte Minute. Der Trainer zeigt auf dich. Deine Zeit ist gekommen. Ein letzter Freistoß, fast fünf Minuten über die Zeit. Der Ball kommt tatsächlich in deine Richtung. Du steigst hoch, höher als alle anderen... und die Welt explodiert. Danach ist auch Twitter explodiert vor lauter Welbeck-Gutfindung. Aber mal im Ernst: Ist das nicht unendlich profan?

Anything else? Aber hallo! Bei aller Liebe für Geschichten wie der von Danny Welbeck muss man auch mal sagen: Es wäre schon geil, wenn Leicester das Ding durchziehen und Meister werden würde. Mit einer am Grabbeltisch zusammengelogenen Truppe den Pfeffersäcken aus London und Manchester mal schön die lange Nase drehen... priceless! Und als wären die Jungs nicht schon cool genug, machen die jetzt mal eine Woche Urlaub. "Sie haben sich das verdient. Sie haben fantastisch gespielt", meinte Coach Claudio Ranieri nach der 1:2-Niederlage bei Arsenal. "Keine Ahnung, wo sie jetzt hinfahren. Dubai vielleicht. Sie können machen, was sie wollen. Ich bleib noch einen Tag in London, dann geht's nach Rom."

Primera Division

von Andreas Lehner

Geschichtsstunde des Spieltags: Dank Uli Hoeneß weiß jedes fußballinteressierte Kind wie der Nachthimmel von Belgrad aussieht. Außerdem weiß jedes fußballinteressierte Kind, dass jeder übers Tor gejagte Elfmeter nur eine billige Kopie des Hoeneß'schen Fehlschusses ist. Und außerdem weiß aus diesem EM-Finale 1976 auch jedes nicht-fußballinteressierte Kind, dass ein lässig in die Mitte gelupfter Elfmeter nach Antonin Panenka benannt ist. Die Videoplattformen im Netz sind voll von mehr oder weniger begabten Epigonen. Gemeinhin gilt der Panenka-Elfer als höchste Kunstform des Strafstoßes, als listigste Variante des einfachen Torschusses. Der Tscheche muss sich allerdings seit Sonntagabend mit dem Gedanken anfreunden, im Olymp des Elfmeterschießens Gesellschaft zu bekommen.

Nicht weil Lionel Messi und Luis Suarez den indirekt ausgeführten Elfmeter erfunden hätten, der seitdem die ganze Welt in Schnappatmung versetzt. Sondern weil sie diese Form des Strafstoßes erstmals auf der ganz großen Bühne der Neuzeit vorgeführt haben. Es war eine Hommage an die niederländische Legende Johan Cruyff, der gerade gegen seine Krebserkrankung kämpft und 1982 im Trikot von Ajax gegen Helmond Sport einen ähnlichen Trick vorführte. Allerdings spielte Cruyff damals mit seinem Kollegen Doppelpass - und war damit viel näher am Original, als Messi und Suarez. Denn tief in den Archiven des Schwarzweißfernsehens lässt sich der wahre Urheber dieses Elfmeters ausgegraben. Henri "Rik" Coppens erfand den Zwei-Mann-Elfmeter 1957 im WM-Qualifikationsspiel gegen Island. Das sollte zukünftig auch jedes Kind wissen.

Premiere des Spieltags: Denis Cheryshev wird seine ganze Karriere wohl für immer der Spieler bleiben, der Real Madrid das peinlichste Pokalaus seiner Geschichte bescherte. Obwohl der Russe nicht wirklich viel dafür konnte, ist Cheryshev-Gate schnell ein geflügeltes Wort geworden, als ihn sein damaliger Trainer Rafa Benitez trotz fehlender Spielberechtigung in Cadiz einsetzte. Real wurde aus dem Pokal geschmissen und Cheryshev nach Valencia abgegeben. Dort darf er jetzt unter Gary Neville trainieren.

Warum weiß eigentlich nur der singapurische Besitzer Peter Lim, der den Ex-United-Verteidiger als Coach aus dem Hut zauberte. Zehn Spiele musste Valencia bis zum ersten Sieg unter Neville warten. Gegen Espanyol gelang dann endlich ein mühevolles 2:1. Siegtorschütze: Denis Cheryshev. Der deutsche Nationalspieler Shkodran Mustafi war wegen einer Sperre übrigens nicht dabei. Er hat durch seine Rote Karte in der Copa gegen Barca das Kunststück fertiggebracht, in allen Wettbewerben (Liga, Pokal, Europa League) gleichzeitig gesperrt zu sein. Er darf also am Donnerstag gegen Rapid Wien NICHT eingesetzt werden, lieber Gary Neville.

Algo mas? Alle Jahre wieder das gleiche Spiel. Das Pokalfinale steht fest und wie immer gibt es Diskussionen, wo der Sieger ausgespielt werden soll. Denn nach wie vor hält es der spanische Verband für besser, den Finalort erst dann festzulegen, wenn die Teilnehmer feststehen. Und wie gewöhnlich stellt sich die Sache nicht ganz so einfach dar. Barca und Sevilla würden gerne in Madrid spielen, im Santiago Bernabeu. Das will aber Real Madrid nicht und auch der spanische Verband ist von den zu erwartenden Pfiffen der Katalanen gegen den König und die spanische Hymne nicht begeistert.

Als Kandidaten gelten das Vicente Calderon von Atletico und das San Mames in Bilbao. Aber auch das Camp Nou ist im Gespräch. Hier holte Barca schon im vergangenen Jahr die Copa gegen den Athletic Club. Von dieser Idee des erneuten Heimvorteils hält Sevilla-Trainer Unay Emery eher wenig: "Da würde ich lieber in China spielen."