Hannover, Hamburg, Bremen, Istanbul und Nationalmannschaft - Fabian Ernst hat in seiner Karriere viel erlebt. 2015 hat Ernst seine Karriere beendet, dem Fußball bleibt er aber dennoch erhalten. An seinem 37. Geburtstag spricht er über Nordderbys, fliegende Feuerzeuge und Steinwürfe in der Türkei, unverschämte Forderungen eines Präsidenten und Ernsts Zukunftsplanungen.
SPOX: Herr Ernst, Sie spielen noch für die Ü32 von Hannover. Wie ernst nehmen Sie das noch?
Fabian Ernst: Da geht es nur noch um Spaß und darum, nicht komplett vom Fußball weg zu sein, weil ganz ohne geht es für mich einfach nicht. Meine Frau und ich kommen aus Hannover und wir haben uns früh festgelegt, dass Hannover nach meiner Karriere wieder unser Lebensmittelpunkt wird. Deshalb war die Vereinswahl auch keine schwierige Entscheidung. Für mich schließt sich ein Kreis - immerhin habe ich dort meine Karriere 1983 in der Jugend begonnen.
SPOX: Nach insgesamt 15 Jahren im 96-Trikot sind Sie 1998 zum Hamburger SV gewechselt. Dort wurden Sie sogar als nächster Franz Beckenbauer angepriesen. Wie haben Sie diese Erwartungshaltung an Ihre Person wahrgenommen?
Ernst: Zu diesem Zeitpunkt war ich erst 18 Jahre alt und dementsprechend war klar, dass dieser Vergleich hinkt. Aber ich war damals schon so geerdet, dass ich mit dieser Erwartungshaltung gut umgehen konnte. Da ich Beckenbauer selbst nie habe aktiv spielen sehen, wollte ich auch nie der neue Beckenbauer werden. Außerdem wurde die Position des Liberos kurz darauf abgeschafft und so hatten sich diese Vergleiche schnell erledigt.
SPOX: Wie geht man als Youngster mit solchen Vergleichen um?
Ernst: Die Auswirkungen sind von Charakter zu Charakter unterschiedlich. Aber es macht einem das Leben schwer. Nehmen wir das Beispiel "Der nächste Messi": Da wird ein Teenager mit einem der besten Spieler der Welt verglichen und wenn er eine schlechtere Phase hat, gerät er sofort in die Kritik. Der Druck ist da immens groß und die Einschätzung ist dem Spieler gegenüber nicht fair. Jeder Spieler muss eine eigene Marke kreieren und nicht die schlechte Kopie eines Weltstars werden.
SPOX: Sie selbst sind nach Ihrer Zeit beim HSV zu Werder Bremen gewechselt. Wie kann das denn passieren?
Ernst: Aus Bremen wurde schon längere Zeit Interesse signalisiert und da ich im Norden bleiben wollte, war das für mich der logische Schritt. Der Wechsel lief still ab und als junger Spieler war diese Rivalität für mich zweitrangig. Aber auch von den Fans habe ich keinen Hass zu spüren bekommen. Im Laufe der Jahre habe ich dann aber durchaus gelernt, welche Bedeutung so ein Nordderby für alle Beteiligten hat. (lacht)
SPOX: Bei Werder feierten Sie mit der Deutschen Meisterschaft und dem DFB-Pokal in Deutschland Ihre größten Erfolge.
Ernst: Das war sicherlich eine der besten Phasen in meiner Karriere, weil ich mich in Bremen in Ruhe entwickeln konnte. Es gab in all den fünf Jahren nur eine Richtung: bergauf. Erst habe ich von den erfahrenen Kollegen profitiert und zum Schluss habe ich deren Position eingenommen.
SPOX: Sie wurden für die Nationalmannschaft eingeladen und haben insgesamt 24 Spiele im DFB-Dress absolviert. 2007 haben Sie aber öffentlich verkündet, dass Sie Joachim Löw freiwillig absagen würden. Warum?
Ernst: Nach der WM 2006, zu der ich nicht eingeladen wurde, hatte ich keinen Kontakt mehr zu irgendeinem Verantwortlichen der Nationalmannschaft. Aber ich wurde ständig gefragt, wie es bei mir und dem DFB-Team aussieht. Wenn man dann tausend Mal gesagt hat: 'Ich weiß von nichts, scheinbar ist kein Interesse mehr da', aber trotzdem wieder darauf angesprochen wird, ist man irgendwann so genervt, dass man das Kapitel für alle Zeiten schließt. Außerdem weiß man in einem gewissen Alter auch, dass andere Spieler einfach besser sind - da muss man auf dem Boden bleiben.
SPOX: Im Verein ging es auf Schalke weiter. Warum haben Sie den Verein verlassen, bei dem es für Sie durchwegs bergauf ging?
Ernst: Ich wollte aus meiner Wohlfühlzone heraus. Bleibt man zu lange bei einem Verein, wird man zu selbstzufrieden. Nach fünf Jahren bei Werder habe ich neue Reize gebraucht. Sei es vom Trainer, von neuen Mitspielern oder von einem neuen Umfeld. Die Gefahr wäre sonst zu groß gewesen, dass sich das Gefühl der Sättigung einschleicht.
SPOX: Ähnlich ging es Ihnen dann nach vier Jahren bei Königsblau. Nach jahrelangen Stationen in der Bundesliga wechselten Sie zu Besiktas. Hatten Sie nicht mehr das Gefühl, die nötigen Reizpunkte in der Bundesliga zu finden?
Ernst: Bei dem Wechsel gingen einige Faktoren Hand in Hand. Auf Schalke habe ich weniger Spielminuten zugesprochen bekommen und gleichzeitig kam das Angebot aus Istanbul, das finanziell sehr attraktiv war. Deshalb fiel mir die Entscheidung nicht schwer.
SPOX: Sie haben insgesamt vier Jahre in der Süper Lig gespielt. Wie haben Sie den türkischen Fußball erlebt?
Ernst: Auf der einen Seite sind die Derbys in Istanbul herausragend: Die Stadien sind ausverkauft, die Fans machen tolle Stimmung und die sportliche Qualität ist gut. Auf der anderen Seite habe ich auch im türkischen Hinterland vor 5.000 Zuschauern gespielt. Schaut man sich da die Stadien, die Straßen und die Stadt generell an, ist das wirklich ein Kulturschock. Je weiter man Richtung Anatolien kommt, desto deutlicher wird der Unterschied. Dabei hält sich das sportliche Gefälle sogar in Grenzen, als großer Istanbul-Klub wirst du auswärts immer angefeindet und deshalb wird dir kein einziger Punkt geschenkt.
SPOX: Besonders bezüglich der türkischen Fanszene liest man die wildesten Geschichten. In welcher Form haben Sie diese Anfeindungen erlebt?
Ernst: Fliegende Feuerzeuge sind in der Türkei normal. Wenn man vor der gegnerischen Kurve eine Ecke ausführt, muss man teilweise in Deckung gehen. Außerdem werden direkt vor dem Stadion Bengalos verkauft als wären es Trikots. Bei Auswärtsfahrten haben wir im Bus immer das Licht ausgemacht und die Gardinen geschlossen, weil gegnerische Anhänger regelmäßig Steine auf den Bus geworfen haben. Da bringt es auch nichts, dass man von einer Polizeieskorte begleitet wird und die Straßen extra abgesperrt werden. An diese Umstände gewöhnt man sich mit der Zeit. Mir ist zum Glück auch nie irgendetwas Schlimmeres passiert. Und das Temperament der Fans kann sich auch positiv ausschlagen.
SPOX: Inwiefern?
Ernst: Ich war bei meinem Wechsel 28 Jahre alt und wurde bereits in Dortmund und Schalke ausgepfiffen, aber die Türkei ist wirklich eine andere Welt. Die Fans peitschen einen im wahrsten Sinne des Wortes 90 Minuten nach vorne. Du verstehst zwar dein eigenes Wort nicht mehr, aber du rennst bis zur totalen Erschöpfung. Allgemein hat man als Spieler - wenn man denn seine Leistung bringt - in der Türkei einen höheren Stellenwert. Fußballspieler sind dort Popstars. Die Paparazzi stehen da wirklich überall und wenn man essen oder ins Einkaufszentrum geht, steht das am nächsten Tag in der Zeitung. Das hat zur Folge, dass man in guten Zeiten von seinen Fans angehimmelt wird, in schlechten eher weniger. (lacht)
SPOX: Ihre Zeit bei Besiktas nahm ein unrühmliches Ende. Stimmt es, dass Ihr Trainer ohne Sie plante, es Ihnen aber nicht persönlich mitteilte?
Ernst: Der Sekretär von Besiktas hat mein Management informiert, dass ich eine Woche später zum Training kommen soll. Zu diesem Zeitpunkt war die Mannschaft aber schon im Trainingslager. Ich musste dann eine Woche in einer anderen Trainingsgruppe trainieren, bis ich ein Gespräch mit dem Präsidenten hatte, der sagte: 'Verzichte auf 40 Prozent deines Gehalts und du bist wieder dabei.' Währenddessen hat der Trainer aber auch Politik gemacht und gesagt, dass jüngere Spieler meine Rolle übernehmen können. Dieses Vorgehen ist in der Türkei gang und gäbe. Da ich aber auch irgendwo meinen Stolz habe, habe ich mir einen neuen Arbeitgeber gesucht.
SPOX: Trotz dieser negativen Erfahrung sind Sie aber nicht nach Deutschland gewechselt, sondern haben sich Kasimpasa, einem anderen Verein aus Istanbul, angeschlossen. Warum?
Ernst: Ich stand unter unheimlichem Zeitdruck und für mich und meine Familie war klar, dass ich in Deutschland nicht für irgendeinen Verein spielen würde, sondern wenn ich zurückkehre nur nach Hannover gehen will. Aber das hat sich nicht ergeben. So war Kasimpasa die beste Option. Da ich die Strukturen bereits kannte, hatte ich auch keine Angst, dass es ein ähnliches Ende wie bei Besiktas nehmen würde.
SPOX: Dort haben Sie eine Saison gespielt, bevor Sie das Abenteuer Türkei beendeten und zum OSV Hannover in die Landesliga in Ihre Heimat wechselten. Vor rund einem Jahr haben Sie Ihre aktive Karriere dann beendet.
Ernst: Ich bin zufrieden mit meiner Karriere und würde auch im Nachhinein nicht viel anders machen. Die Zeit in der Landesliga war auch schön, da muss man sich kein Bein ausreißen. Um Geld ging es da natürlich nicht mehr.
SPOX: Im Profifußball dagegen fließt immer mehr Geld. Wie sehen Sie die Entwicklung des Sports?
Ernst: Gehälter steigen seit mehreren Generationen, das finde ich gar nicht mehr so bemerkenswert. Schlimmer finde ich, dass die Omnipräsenz der Medien zugenommen hat. Man muss immer im Gespräch bleiben, die sportliche Qualität reicht gar nicht mehr. Früher hatte man eine Homepage und konnte auf Gästebucheinträge antworten, wenn man Bock hatte. Social Media hat das in eine andere Dimension katapultiert. Wenn du erfolgreich sein willst, musst du dich auch dementsprechend vermarkten.
SPOX: Sie wollen auch in Zukunft im Fußball erfolgreich sein. Was planen Sie?
Ernst: Ich baue derzeit eine Spielerberatungsagentur auf. Deshalb bin ich viel unterwegs und schaue mir viele Fußballspiele an. Das ist ein tolles Projekt und ich bin gespannt, wo das endet.
SPOX: Für den ghanaischen Fußball haben Sie sich immer wieder Tipps von Ihrem langjährigen Kumpel Gerald Asamoah geholt. Wäre es denkbar, ihn dauerhaft ins Boot zu holen?
Ernst: Denkbar ist viel und unsere Wege kreuzen sich immer wieder. Unsere Freundschaft ist keineswegs selbstverständlich. Von allen Spielern, mit denen ich gespielt habe, habe ich nur noch mit einer Hand voll so viel Kontakt. Es ist enorm schwierig, diese Freundschaften als Profi zu pflegen. Aber Gerald und ich kennen uns seit unserer Schulzeit und stehen seitdem immer in Kontakt.
Fabian Ernst im Steckbrief