SPOX: Herr Degen, Sie haben Anfang April nach einer erneuten Schulter-OP Ihr Karriereende verkündet. Am vergangenen Mittwoch wurden Sie im letzten Saisonspiel des FC Basel gegen Grasshopper Zürich in der 90. Minute noch einmal eingewechselt. Wie fühlen Sie sich?
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Philipp Degen: Es geht mir richtig gut, ich bin total happy. Die Operation ist jetzt einige Wochen her. Ich musste Tag und Nacht eine Schlinge um den Hals tragen, um die Schulter zu stützen. Das war sehr anstrengend. Ich bin jetzt aber wieder beweglicher und kann den Alltag immer besser gestalten. Ich habe dafür gearbeitet, im letzten Spiel der Saison noch wenigstens ein paar Minuten spielen zu können. Ich kann natürlich keinen Zweikampf führen, aber ich wollte mich mit Anstand verabschieden. Das habe ich mit dem Klub vereinbart und das war mein Ziel.
SPOX: Man hätte eine andere Gefühlslage erwartet. Sie wirken trotz des absehbaren Abtritts sehr gut gestimmt.
Degen: Das stimmt. Ich habe mich nie damit befasst, meine Karriere zu beenden, obwohl ich ja erst 33 bin. Doch dann kam diese Verletzung und ich habe mich mit vielen Menschen um mich herum, aber auch welchen, zu denen ich eine gewisse Distanz habe, über meine Zukunft unterhalten. Freunde und Familie können auch kontraproduktiv sein, da sie womöglich das sagen, was man hören will. Bekannte schmieren einem eher Honig um den Mund. Man sollte im Leben immer ehrlich zu sich selbst sein. Deshalb höre ich jetzt auf.
SPOX: Aber etwas Traurigkeit wird schon aufkommen, oder?
Degen: Natürlich. Ich bin dennoch von Grund auf ein Mensch voller Energie und gehe positiv durchs Leben. Gesundheit und Spaß sind sehr wichtig für mich. Ich kann die 16 Jahre als Profi aber nicht einfach verdrängen. Mit der Zeit kommt Rat. Mein Bruder David und ich waren immer klar im Kopf. Ich werde das Geschäft aber sicherlich vermissen.
SPOX: Wie sah Ihr ursprünglicher Plan aus, wie lange wollten Sie aktiv spielen?
Degen: Da gab es keinen. Ich hatte unglaublich viele Verletzungen in meiner Karriere. Der Kampf dagegen hat mich viel Kraft gekostet. Alleine die Leidenszeit mit meiner Schulter war unfassbar. Ich musste mich erst einmal acht Wochen mit Schmerzmittel versorgen lassen. Dann kam es zur unumgänglichen Operation, anschließend habe ich mich vier Monate zurückgekämpft. Beim Comeback fiel ich direkt wieder auf die Schulter.
SPOX: War dies das finale Zeichen des Körpers, dass es nun genug ist?
Degen: Ich musste mir eingestehen, dass das Leben kein Märchenbuch ist. Mein Körper hat mir signalisiert, dass es so nicht weitergeht. Ich musste mich immer quälen und wollte um jeden Preis wieder fit werden. Ich hatte teils Angstzustände, dass ich mich bloß nicht mehr verletze. Man bewegt sich als Fußballer in einem Schaufenster. Das ist nicht jeden Tag leicht.
SPOX: Wie sind Sie mit der Zeit mit Ihrem großen Verletzungspech umgegangen?
Degen: Es war nicht immer nur Pech. Die Verletzungen kamen zwar oft durch Fremdeinwirkung zustande, aber auch andere Komponenten haben dazu beigetragen. Man muss den Spiegel sich selbst vorhalten und hart mit sich ins Gericht gehen. Die eigenen Fehler werden gerne ausgeblendet. Der Drang, schnell wieder auf dem Feld zu stehen, ist immens. Man hält sich an die falschen Leute wie beispielsweise Berater, die nur das Geld sehen. Es kommt vieles zusammen, vor lauter Bäumen siehst du den Wald nicht mehr. Diese Spirale ist nur schwer aufzuhalten.
SPOX: In Deutschland kennt man Sie von Ihrer Zeit bei Borussia Dortmund, ab 2005 spielten Sie für den BVB. In Ihrem ersten Spiel stauchte Sie Trainer Bert van Marwijk in der Halbzeit zusammen, danach waren Sie laut eigener Aussage der "Sündenbock".
Degen: Ich kam damals als junger Rechtsverteidiger zum BVB, ich war begehrt in ganz Europa. Viele Klubs warben um mich, ich hätte mir den Klub aussuchen können. Ich habe in der Schweiz von meiner offensiven Art profitiert und dachte beim FC Basel, ich könne die Spiele im Alleingang entscheiden. Das passte van Marwijk von einem 21-Jährigen nicht, er gab mir einen auf den Deckel. Ich führe das aus heutiger Sicht auf jugendlichen Leichtsinn zurück. (lacht) Ich war damals zu grün für den BVB, auch wenn mich diese Zeit geprägt hat.
SPOX: In Dortmund erinnert man sich vor allem deshalb an Sie, da Sie fast permanent ein Lächeln im Gesicht hatten.
Degen: Das habe ich auch heute noch, so gehe ich durchs Leben. Ich lächele einfach gern, denn Lachen ist gesund und es verkörpert mein Wesen. Wenn ich keinen Spaß habe und nicht lachen darf, bin ich zu nichts zu gebrauchen.
SPOX: Als Sie den BVB 2008 verließen, ging es unter Jürgen Klopp stetig bergauf. Finden Sie es schade, dass Sie diesen Weg nicht mitgehen konnten?
Degen: Sehr sogar. Der Fortschritt unter Klopp war schon immens. Er besitzt außergewöhnliche rhetorische Mittel, aber auch eine Dynamik und die Power, um die Leute mitzureißen. Authentizität und Typen, die ihrer Art treu bleiben, finde ich klasse. Ehrlichkeit, Echtheit und Transparenz fehlen mittlerweile oftmals im Profigeschäft. Klopp ist beeindruckend und in vielerlei Hinsicht ein Vorbild.
SPOX: Klopp trainiert mit dem FC Liverpool nun den Verein, für den Sie Dortmund verließen. Kam das damals überraschend, ein Angebot der Reds vorliegen zu haben?
Degen: Überhaupt nicht. Es gab einige Offerten von großen englischen Klubs, aber auch aus Italien. Für mich stand jedoch außer Frage, dass ich zu Liverpool gehen möchte. Mich haben schon immer die Klubs fasziniert, bei denen die Fans eine Institution sind und bei denen der Fußball wie eine Religion aufgefasst wird. In Dortmund und Liverpool gibt es eine wahnsinnige Tradition, dort wird der Sport mit jeder Faser des Körpers gelebt. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, in England nicht gut verdient zu haben. Aber es war das Gesamtpaket, das mich überzeugt hat.
SPOX: Thema Geld: Ihr Bruder David und Sie sind unter dem Namen "Degen Brothers" unternehmerisch tätig. Sie investieren seit einiger Zeit in Internet-Start-Ups und im Immobilienbereich. Wie sieht das konkret aus?
Degen: Das wird zunächst einmal nun noch mehr eine Beschäftigung für mich. Es ist meine zweite Leidenschaft. Mich muss niemand erkennen oder sogar noch ein Autogramm wollen. Wir beide sind Risiko-Typen! Wir investieren in Menschen und nicht in Ideen. Denn selbst die beste Idee kann von einer Person mit einer schlechten Persönlichkeit nicht umgesetzt werden.
SPOX: Wonach entscheiden Sie, in was investiert wird?
Degen: Vergessen Sie jedes Kriterium. Wir entscheiden ausschließlich durch Bauchgefühl.
SPOX: Gibt es auf diesem Gebiet schon Pläne für die Zukunft?
Degen: Ich habe eine große Freude daran, Menschen zu bewegen und sie dazu zu bringen, eine gute Sache aufzubauen. Ich denke, mein Wissen aus beiden Bereichen lässt sich gut kombinieren. Ich möchte alle Leute, die ich während meiner Karriere aus dem Sport, der Wirtschaft oder im Entertainment-Bereich kennengelernt habe, bündeln und versuchen, einige Protagonisten durch meine Hilfe auf ein anderes Level zu heben. Allerdings nicht des Geldes wegen, denn Gier frisst bekanntlich Hirn.
Philipp Degen im Steckbrief