Finnland hat knapp 5,5 Millionen Einwohner, 187.888 Seen und seit dem 23.10.2016 27 verschiedene Fußball-Meister. An diesem Tag wurden 4.335 Zuschauer in der Wiklöf-Holding-Arena Zeuge eines Stücks Geschichte. Der IFK Mariehamn sicherte sich mit einem 2:1-Sieg gegen Ilves Tampere die erste Meisterschaft in seiner 97-jährigen Vereinsgeschichte.
Die Ausgangslage vor dem letzten Saisonspiel war dabei unfassbar spannend: Gleich vier Teams hatten die Möglichkeit, sich die Krone aufzusetzen. Doch der Zwerg von den Aland Inseln verteidigte nach großem Kampf seinen Vorsprung gegenüber HJK Helsinki. Diego Assis hieß der umjubelte Held, der das entscheidende Tor erzielte.
"Ich kann meine Gefühle nicht in Worte fassen. Als Diego den Siegtreffer schoss, war ich den Tränen nahe. Die Champions-League-Hymne wird nächste Saison in unserem Stadion gespielt. Das ist unglaublich", rang Kapitän Jani Lyyski nach dem Abpfiff um Fassung. Nachdem die Meisterschaft in trockenen Tüchern war, gab es im Stadion kein Halten mehr: Die Ersatzspieler rannten auf den Platz und überall bildeten sich grün-weiße Jubeltrauben.
"Etwas, über das die ganze Welt redet"
Wie unglaublich dieser Erfolg tatsächlich ist, zeigt ein Blick auf die Fakten. Mit 11.500 Einwohnern ist Mariehamn die kleinste Stadt in der Veikkausliiga und dementsprechend fällt auch der Etat des IFK aus: Jährlich stehen rund 1,2 Millionen Euro zur Verfügung. Zum Vergleich: Konkurrent HJK Helsinki hat etwa dreimal so viel Geld auf der hohen Kante.
65 Prozent der Einnahmen kommen von regionalen Sponsoren wie dem Tourismusverband oder der ortsansässigen Fährengesellschaft. Statt Geld waren es Tugenden wie harte Arbeit, Teamgeist und eine gehörige Portion Glaube an sich selbst, die den Titel möglich machten. Diese Faktoren mündeten in einem echten Bollwerk: in 33 Spielen musste man nur 25 Gegentore hinnehmen.
"Wenn man zurückschaut, spielte Mariehamn viele Jahre in niedrigeren Ligen. Jedem Inselbewohner bedeutet es eine Menge. Das ist etwas, auf das wir alle stolz sein können. Etwas, über das die ganze Welt nun redet. Es hat uns auf die Karte gesetzt", sagte Präsident Robert Söderdahl gegenüber Omnisport. Nun ist man Wer.
Noch vor der Saison setzte kein Experte den ominösen Pfifferling auf das Team aus der Kleinstadt. Grund dafür war der Abschied von Pekka Lyyski, der 13 Jahre Trainer war und den IFK 2004 in die Erstklassigkeit geführt hatte. Lyyski sah den Pokalgewinn in der Vorsaison - und damit den ersten Titel Mariehamns überhaupt - als perfektes Abschiedsgeschenk an und übergab das Amt in die Hände der gleichberechtigten Peter Lundberg und Kari Vitanen.
Eher Schweden als Finnland
Nach dem Ausscheiden des langjährigen Coaches wurde Mariehamn die Konkurrenzfähigkeit abgesprochen. Das Magazin Urheilulehti prophezeite sogar den Abstieg als Tabellenletzter. Dem Modell des geteilten Traineramtes trat man mit Skepsis gegenüber, obwohl es im benachbarten Schweden populär ist und auch am Beispiel Islands bei der EM in Frankreich zum Erfolg führte.
Unabhängig vom Sportlichen ist die Stadt in vielerlei Hinsicht eher Schweden als Finnland verbunden. So auch die Geschichte der Aland Inseln. "Als Finnland 1917 seine Unabhängigkeit deklarierte, wollte sich der Großteil der Aländer Schweden anschließen. Mindestens 95 Prozent der Menschen stimmten dafür sogar in einer inoffiziellen Umfrage ab, aber Finnland verweigerte das", erklärt der finnische Journalist Juhavaltteri Salminen. Die Mehrzahl der dort lebenden Menschen kann sogar mit dem schwedischen "fotboll" mehr anfangen als mit "jalkapallo", der finnischen Übersetzung. Seit 1991 genießt die Inselgruppe eine Autonomie mit eigener Regierung, Flagge und Polizei.
Eben dieser Selbst-Anspruch, anders sein zu wollen, macht den IFK so einzigartig. "Der Klub hat eine Gemeinschaft, die mit ihm fühlt und ihn braucht, um zu überleben", sagt der ehemalige Spieler Glen Wilkie zu ESPN FC. Er weiß die Vorzüge der Stadt immer noch zu schätzen und besucht sie mindestens zwei Mal im Jahr.
"Hier liegt uns die Welt zu Füßen"
Und tatsächlich stehen die 29.000 Bewohner der Region hinter der Mannschaft. Lokale Geschäftsleute wie Anders Wiklöf, der Namensgeber der Arena, ermöglichen beispielsweise Fortbildungen für Trainer. So kommt es auch vor, dass ehemalige Spieler beim Ticketing helfen. "Unsere Gemeinschaft kennt keine Grenzen. Hier in Aland fühlen wir uns wichtig. Hier liegt uns die Welt zu Füßen", beschreibt der finnische Redakteur Victor Sundqvist die vorherrschende Mentalität auf der Inselgruppe.
Dieser Zusammenhalt der Region überträgt sich auch auf die Mannschaft. Verstärkt wird er durch die Reisen zu Auswärtsspielen, die das Team mit der Fähre antritt. Eine Fahrt nach Turku dauert bis zu sechs Stunden und nach Helsinki hängt man sogar neun Stunden aufeinander. "Wenn man so viel mit der Fähre reisen muss und in den Kajüten und Bussen so viel Zeit miteinander verbringt, entsteht diese Atmosphäre und der Geist innerhalb des Teams. Ich würde behaupten, dass wir den besten Teamgeist im finnischen Fußball haben", ist sich Söderdahl sicher.
Auch auf dem Feld ist die Mannschaft ein verschworener Haufen, der sich bestens kennt. Nur drei Spieler sind erst seit Anfang des Jahres beim IFK. Für den Rest war die vergangene Saison mindestens die zweite Spielzeit in Mariehamn.
"Es gibt viele Unterschiede zwischen uns und Leicester"
Dever Orgill, der Star der Aländer, sieht in der mannschaftlichen Geschlossenheit den Schlüssel zum Erfolg. Allerdings war Mariehamn auf die Dienste und die individuelle Klasse des Stürmers angewiesen: zwölf Treffer - rund ein Drittel aller IFK-Tore - und acht Vorlagen steuerte der Jamaikaner, der zur kommenden Saison zum Wolfsberger AC wechseln wird, zum Titelgewinn bei.
Nach der Meisterschaft stellte Rekordnationalspieler Jari Litmanen Vergleiche zum englischen Pendant her: Mariehamn sei für ihn "das finnische Leicester".
"Wir können über diese Bezeichnung glücklich sein, aber man muss sagen, dass es viele große Unterschiede zwischen uns und Leicester gibt. Sie sind immer noch ein großer Klub mit viel Geld, aber wenn man auf den Überraschungsfaktor schaut - ja, in dieser Hinsicht sind wir sehr ähnlich", sieht Präsident Söderdahl Parallelen.
Da man auch wirtschaftlich auf ein Level mit den Foxes kommen will, freut man sich beim IFK über einen Startplatz in der zweiten Qualifikationsrunde für die Champions League. Söderdahl rechnet vor, dass pro Spiel auf dem Weg zur Teilnahme an der Königsklasse rund 300.000 Euro abfallen. Besonders im Hinblick auf die Planung und Entwicklung des Klubs in der Zukunft sei das hilfreich.
Mentalität bleibt unverändert
Das Klub-Oberhaupt gibt auch die Marschrichtung für die Quali-Spiele vor, denn an der Mentalität auf dem Platz und in der Vorbereitung auf den Gegner werde sich nichts ändern: "Wir gehen die Champions League genau so an, wie wir das in der Liga im letzten Jahr gemacht haben. Wir denken von Spiel zu Spiel und konzentrieren uns auf den nächsten Gegner."
Und das ist gut so! Bis April macht die Veikkausliiga zwar noch Winterpause, aber danach will man alles dafür tun, dass man auch beim 100-jährigen Vereinsjubiläum noch oben mitmischen und den Platz auf der fußballerischen Landkarte behaupten kann.
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