Alexander Zorniger führte RB Leipzig mit zwei Aufstiegen in Folge in die 2. Bundesliga. Danach übernahm er den VfB Stuttgart, musste nach nur 13 Spielen in der Bundesliga aber wieder gehen. Derzeit arbeitet Zorniger bei Bröndby IF in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Im ersten Teil des Interviews spricht Zorniger über das Wort "alternativlos", seine Fehler beim VfB, ein entscheidendes Abendessen und die Rückkehr des Genießens.Hier geht's zum zweiten Teil des Interviews mit Alexander Zorniger
SPOX: Herr Zorniger, Sie wurden am 24. November 2015 beim VfB Stuttgart beurlaubt. Was haben Sie nach der Verkündung getan?
Alexander Zorniger: Ich habe zunächst meine Familie am Morgen vor der offiziellen Pressemitteilung informiert, damit sie es nicht aus den Medien erfährt. Als ich zu Hause war, habe ich in den kommenden Tagen erst einmal mein Schlafdefizit begradigt.
SPOX: Es war zwar schon zuvor der Fall, doch gerade nach der Zeit in Stuttgart gab es viele kritische Berichte über Sie zu lesen. Sie dagegen verschwanden aus der Öffentlichkeit.
Zorniger: Das stimmt. Mir war nicht klar, was der Grund für manche Reaktionen war, denn der konnte oft nicht nur sportlich sein. Da lag einem dann natürlich auch selbst etwas auf der Zunge. Jede Reaktion hätte jedoch nur eine entsprechende mediale Gegenreaktion provoziert. Daher stand auch in Absprache mit meinem Umfeld fest, dass ich mich erst einmal zurückziehen werde.
spoxSPOX: Zwischen dem Aus beim VfB und Ihrem Einstieg bei Bröndby IF in Dänemark lagen sechs Monate. Wie haben Sie diese Zeit verbracht, haben Sie beispielsweise irgendwo hospitiert?
Zorniger: Nein, davon halte ich in der Zwischenzeit nicht mehr ganz so viel. Im Sinne von: Jetzt lerne ich noch einmal unheimlich viel dazu. Ich denke vielmehr, dass Trainer auf dieser Ebene ziemlich genau wissen, in welche Richtung es grundsätzlich gehen soll. Man holt sich schon noch Input, aber eher über den Bereich der Kontaktpflege. Mir war vor allem wichtig, das nachzuholen, was einem in der Zeit als Trainer total abgeht: Nämlich mich um mein Privatleben zu kümmern und mich zu erholen.
SPOX: Gab es in dieser Zeit ohne Job auch einmal eine Phase des Zweifelns?
Zorniger: Ja. Es war letztlich auch einer der Gründe für den Wechsel ins Ausland, dass ich abseits der Erfahrung in Stuttgart herausfinden wollte, ob ich den Spaß an meinem Job überhaupt aufrechterhalten kann. Oder ob ich eben ein derart provokativer Typ bin, dass ich niemals sportliche Ruhe haben kann. Beim VfB war ich für die Art, wie ich bin, einfach zu wenig erfolgreich. Das muss man klar so sagen. Ich werde aber in meinem ganzen Leben nie daran zweifeln, was ich fußballerisch mit einer Mannschaft machen kann. Das wird wieder ein paar Leuten nicht passen, aber dabei bleibe ich.
SPOX: Ist Ihnen in dieser letzten Phase in Stuttgart die persönliche Lockerheit verloren gegangen?
Zorniger: Definitiv.
SPOX: Wie schnell klingelte dann wieder das Telefon mit ersten Interessenten?
Zorniger: Nach meiner Station in Leipzig gab es innerhalb von zwei Tagen drei Anfragen, ob ich zu Gesprächen bereit wäre. Nach Stuttgart gab es relativ schnell ebenfalls eine. Das hat mir gezeigt, dass sich der eine oder andere Verein gedacht haben muss: Den Zorniger tue ich mir jetzt nicht an.
SPOX: In Stuttgart prägten Sie unfreiwillig den Ausdruck "alternativlos", den Sie bezogen auf Ihre Spielweise verwendeten. Kam es für Sie überraschend, wie lange sich die anschließende Debatte gehalten hat?
Zorniger: Auf dieses Wort müsste ich eigentlich ein Copyright haben. (lacht) Es wurde in meinen Augen falsch interpretiert. Alternativlos bedeutete in dem Zusammenhang: Ich kann nicht sagen, heute spiele ich gegen den Ball und morgen möchte ich auf Ballbesitz spielen. Das geht nicht. Es braucht für die Spieler Leitlinien, an denen sie sich orientieren können. Denn dann kann ich einfordern, heute 15 Meter tiefer gegen den Ball zu spielen und morgen 30 Meter höher. spox
SPOX: Wie selbstkritisch reflektieren Sie mittlerweile die Zeit in Stuttgart?
Zorniger: Ich habe beim VfB Fehler gemacht, auf dem Platz hatten wir auch etwas Pech. Philipp Lahm hat vor einiger Zeit einmal gesagt: Der Faktor Glück darf im Hochleistungssport nicht unterschätzt werden. Die Art und Weise Fußball zu spielen hat längere Zeit jedem gefallen. Irgendwann war dies auch aufgrund einiger unnötig aufgemachten Baustellen überhaupt kein Thema mehr. Ich habe versucht, Dinge zu erklären, obwohl es schon seit Wochen gar nicht mehr um Erklärungen ging.
SPOX: Wie kamen denn schließlich die ersten Kontakte zu Bröndby IF zustande? Der Verein hatte Sie ja schon etwas länger auf dem Schirm.
Zorniger: Es hat sich über mehrere Monate hingezogen. Man hatte mich zunächst gefragt, ob ich mir das grundsätzlich vorstellen könne und mir nicht einmal vor Ort einen Eindruck verschaffen möchte.
SPOX: Wie haben Sie anfangs auf diese Offerte reagiert?
Zorniger: Eigentlich wollte ich auf dem deutschen Markt bleiben. Vor allem aufgrund der Sprache. Ich lege sehr viel Wert auf Kommunikation und erkläre gerne im Detail, weshalb ich welche Dinge wie tue.
SPOX: Eine Stelle im Ausland kristallisierte sich also immer mehr als mögliche Option heraus?
Zorniger: Ja. Ich habe Gespräche mit Menschen geführt, die wenige Berührungspunkte mit dem Fußballbereich haben, aber teilweise schon im Ausland arbeiteten und mir von ihren Erfahrungen berichteten. Anschließend hatte ich den Eindruck, dass das passen könnte. Ich wollte mich wieder darauf konzentrieren, einer Mannschaft Inhalte zu vermitteln. Bröndby IF ist ein Verein, den ich zwar in den letzten sieben, acht Jahren nicht mehr auf der Rechnung hatte, der mir durch die Erfolge in den 1980er und 1990er Jahren aber natürlich geläufig ist und innerhalb Dänemarks eine enorme Strahlkraft besitzt.
SPOX: Sie haben sich dann ein Spiel vor Ort angeschaut und sich zunächst dagegen entschieden. Wieso?
Zorniger: Die Bedingungen waren denen in Stuttgart ähnlich: Es sollte ein Strategiewechsel hin zu den ursprünglichen Bröndby-Wurzeln stattfinden. So etwas muss man jedoch vor allem verbal begleiten können und daran hatte ich mich beim VfB aufgerieben. Diese Befürchtung hatte ich hier auch, diesen Prozess nicht perfekt in der inhaltlichen Tiefe begleiten zu können.
SPOX: Sie können sich doch aber sehr ordentlich auf Englisch verständigen.
Zorniger: Ich war vor meiner Studienzeit vier Monate in den USA. Dabei habe ich nicht nur meinen Wortschatz erheblich erweitert, sondern auch gelernt, dass ich vor allem drauf los kommunizieren muss. Ich bin weit davon entfernt, jeden Satz grammatikalisch korrekt zu formulieren. Mir fehlen hier und da auch die exakten Termini, aber es ist wichtig, trotzdem viel zu sprechen. Mittlerweile habe ich erkannt, dass man als Trainer im Ausland nicht davon ausgehen sollte, man müsse seinem Gegenüber alles bis ins letzte Detail mitgeben. Hier war es so, dass Spieler und Kollegen ohnehin ein großes Interesse mitbrachten, mich verstehen zu wollen.
SPOX: Wie kam es dann zur finalen Zusage?
Zorniger: Ich habe die Situation mehrfach mit meinem Berater Christian Nerlinger durchgesprochen. Es war abzusehen, dass es in diesem Moment schwierig werden würde, in Deutschland etwas zu finden. Ich wollte nicht ein Jahr lang beschäftigungslos abwarten und erst dann herausfinden, ob dieser Job überhaupt noch der richtige für mich ist. Den letzten Ausschlag gab dann ein Abendessen.
SPOX: Inwiefern?
Zorniger: Dort war ein Kumpel dabei, der im Laufe des Abends mitbekommen hat, dass ich in Kopenhagen war. Er fragte mich: Aber es ist ja wohl nicht Bröndby, oder? Ich dann: Doch. Er: Bist du eigentlich noch zu retten? Das ist doch eine absolute Top-Adresse! Mir ist danach aufgefallen, dass ich zunächst nur überlegt habe, welche Auswirkungen es hätte, wenn ich künftig nicht in Deutschland arbeiten würde. Ich habe mir aber keine Gedanken darüber gemacht, was außerhalb von Deutschland überhaupt interessant für mich sein könnte.
SPOX: Hätten Sie nach dem Aus in Stuttgart gedacht, sechs Monate später wieder einen neuen Verein zu übernehmen?
Zorniger: Mein Zeitplan sah schon vor, dass ich dazu nach rund einem halben Jahr wieder bereit sein möchte. Gerade auch deshalb, weil mich der Job an sich glücklich macht und dieses Empfinden nicht primär vom Niveau der Liga abhängig ist. Ich habe einst in der Verbandsliga angefangen. Ab 2009 sagte ich mir, dass ich das als Beruf machen möchte. Bröndby ist nun die Station, bei der ich für mich herausfinden will: Ist das wirklich mein Traumjob, auch in den nächsten zehn Jahren? Oder gibt es Einflussgrößen, die mich ständig derart stören, dass ich diese Frage letztlich verneinen müsste? Noch ferner in die Zukunft zu blicken möchte ich erst einmal nicht.
SPOX: Sie sind jetzt etwas mehr als ein halbes Jahr in Dänemark. Ziehen Sie doch bitte mal ein Zwischenfazit!
Zorniger: Die Balance zwischen Arbeit und Beruf ist viel ausgeglichener als in Deutschland. Ich kann noch nicht sicher sagen, ob dies für ganz Dänemark gilt, ob ich es jetzt besser manage oder ich das so empfinde, weil wir momentan erfolgreich sind. Ich habe in der letzten Länderspielpause einen Ausdauerlauf angesetzt und anschließend drei Tage freigegeben. Im Vertrauen auf meine Mitarbeiter bin ich dann für vier Tage mit meiner Freundin weggefahren, weil mir das in dem Moment besser tat. In Deutschland wäre das wohl noch undenkbar gewesen.
SPOX: Ihnen fällt das Genießen wieder leichter.
Zorniger: Genau. In Stuttgart hatte ich wie hier in Kopenhagen eine schöne Wohnung. Nur konnte ich die und das Privatleben irgendwann gar nicht mehr so richtig wertschätzen, da ich vom Trainingsgelände nach Hause kam und alle beruflichen Themen mitschleppte. Gehe ich hier jedoch nach dem Training in die Stadt, wird man zwangsläufig auf natürliche Art und Weise abgelenkt. Das tut mir und meinem gesamten Umfeld richtig gut.