Thomas Doll im Interview: "Gerede von Matchplänen ist nur für die Galerie"

Nino Duit
05. Dezember 201716:57
Thomas Doll ist seit Dezember 2013 Trainer von Ferencvaros Budapestgetty
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Als Trainer von Borussia Dortmund lachte sich Thomas Doll einst den Arsch ab, als Spieler des BFC Dynamo musste er sich bespucken lassen. Seit mittlerweile drei Jahren geht es in Dolls Leben geruhsamer zu - er ist Trainer von Ferencvaros Budapest. Im Interview spricht er über die Lage bei seinem Ex-Klub HSV, deutsche Konzepttrainer, angetäuschte Fluchtversuche, sein Marionetten-Dasein in Ankara und über das Gefühl des großen Fußballs in Budapest.

SPOX: Herr Doll, Sie sind seit knapp drei Jahren Trainer von Ferencvaros Budapest. Wie gefällt es Ihnen in Ungarn?

Thomas Doll: Großartig! Ich fühle mich richtig wohl, habe bereits fünf Titel gewinnen können und im Sommer meinen Vertrag bis 2019 verlängert.

SPOX: Hätten Sie bei Ihrer Ankunft gedacht, dass Sie so lange bleiben werden?

Doll: Nein, das war auf keinen Fall abzusehen. Ich fand das Angebot aus Budapest sehr interessant und ich habe mich zum Glück dafür entschieden, es anzunehmen. Es konnte jedoch keiner damit rechnen, dass ich nach drei Jahren immer noch hier bin. Aber es ist ja auch nicht so, dass man sich denkt: "Ich gehe jetzt mal nach Budapest, nächste Woche nach Barcelona und dann wartet schon der nächste." Solche Pläne darf man sich als Trainer nicht erlauben.

SPOX: Gab es Startschwierigkeiten?

Doll: Zu Beginn war es kompliziert, weil wir viele Spieler hatten, die ihr eigenes Ding gemacht haben. Dann habe ich aber begonnen, das Gesicht des Teams zu verändern und gleichzeitig wurde durch das neue Stadion eine Euphorie entfacht. Vielleicht bin ich genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.

SPOX: Was hat das neue Stadion bewirkt?

Doll: Es gibt einem das Gefühl, alle zwei Wochen beim großen Fußball mitzumachen. Das Stadion ist topmodern und auch das Trainingsgelände wird immer weiter professionalisiert. Wir haben jetzt zum Beispiel ein eigenes Restaurant, in dem die Mannschaft täglich zusammen isst.

SPOX: Was haben Sie persönlich als Trainer von Ferencvaros bewirkt?

Doll: Ich habe Spieler entwickelt, die den Sprung in große Ligen geschafft haben. Muhamed Besic ging zum FC Everton, Adam Nagy zum FC Bologna und bald schaffen es sicher die nächsten.

SPOX: Einige Ihrer Spieler sind auch im ungarischen Nationalteam aktiv. Welchen Einfluss hat Ihre Arbeit auf dessen Erfolge?

SPOX-Redakteur Nino Duit traf Thomas Doll in Budapest zum Interviewspox

Doll: Wir haben eine überragende Saison gespielt und unsere ungarischen Spieler hatten entscheidenden Anteil an der EM-Qualifikation des Nationalteams.

SPOX: Welche Auswirkungen haben die Erfolge des Nationalteams auf den Klubfußball?

Doll: Das spürt man leider gar nicht und das hat mich schon überrascht. Im Endeffekt ist es aber in allen osteuropäischen Ländern so, dass sich Erfolge der Nationalmannschaft nicht auf die nationalen Ligen auswirken.

SPOX: Wie professionell wird bei Ferencvaros gearbeitet?

Doll: Wir arbeiten genauso wie in Deutschland mit Dingen wie GPS-Westen und ich bekomme von meinen Physiotherapeuten jeden Tag per Mail die wichtigsten Leistungsdaten der Spieler gesendet. Hinsichtlich der Professionalität und Komplexität unterscheidet sich die Arbeit bei Ferencvaros nicht von der in der Bundesliga. Wir können hier auch in Ruhe trainieren, weil vor dem Training die Schranken runter gehen und keiner zuschauen kann. Wobei mehr als ein paar Rentner wohl ohnehin nicht kommen würden.

SPOX: Und wie sieht es sportlich aus?

Doll: Das ist schwer zu sagen, aber wenn alles passt und alle fit sind, könnten wir gegen einen Bundesliga-Abstiegskandidaten in einem Spiel dagegenhalten.

SPOX: Vor Ihrem Engagement in Budapest waren Sie in Saudi Arabien für Al-Hilal und in der Türkei für Genclerbirligi Ankara tätig. Wie waren die dortigen Arbeitsbedingungen?

Doll: In der Türkei laufen die Dinge prinzipiell frei ab, aber bei meinem Verein Genclerbirligi war es etwas kompliziert, weil viele Dinge passiert sind, auf die ich als Trainer keinen Einfluss hatte. Auf der einen Seite wurde Erfolg verlangt, auf der anderen Transfers abgewickelt, auf die ich als Trainer keinen Einfluss hatte. Das fand ich merkwürdig. Da hat man das Gefühl, man ist eine Marionette des Vereins. In Saudi-Arabien spielen Kultur und Religion schon eine übergeordnete Rolle im alltäglichen Leben.

SPOX: Hatten Sie Gewissenskonflikte, in einem Land zu leben, in dem Menschenrechte womöglich nicht ganz einwandfrei eingehalten werden?

Doll: Ich habe mich schon intensiv mit den dortigen Strukturen befasst, aber dann für mich entschieden, dass mich das eigentlich nichts angeht. Ich habe auf der Straße jedenfalls nicht gesehen, dass Leute massakriert worden wären.

SPOX: Mit Ihren Wechseln haben Sie schon als Spieler selten den leichten Weg gewählt. Einst sind Sie von ihrem Heimatklub Hansa Rostock zum verhassten Stasi-Verein BFC Dynamo gegangen.

Doll: Ich habe mich dazu entscheiden dorthin zu gehen, weil es zum Zeitpunkt des Wechsels geographisch der nächste Oberligaklub zu meiner Heimat war.

SPOX: Wie war die erste Rückkehr nach Rostock?

Doll: Ich war 20 und das ganze Stadion hat "Doll du Schwein" geschrien. Das war schon hart, weil Hansa mein absoluter Lieblingsklub war und ich ihm emotional sehr verbunden war. Meine Mutter musste mir immer die kleinen Koggen auf die Trainingsjacken bügeln - und nun saß sie heulend im Stadion. In der 19. Minute hatte ich dann genug und habe den Ball in die lange Ecke gebombt. Dann hat keiner mehr einen Mucks gemacht.

SPOX: Ein Stahlbad.

Doll: Ich hätte daran zerbrechen können, aber ich habe einen anderen Weg gewählt. Ich wollte den Leuten ihre Mäuler stopfen.

SPOX: Wie beurteilen Sie Ihre Zeit beim BFC im Rückblick?

Doll: Es war auf jeden Fall sehr lehrreich und ich habe Dinge erlebt, die mich für mein weiteres Leben gestärkt haben. Es ist nicht einfach, wenn du dich von einem Achtjährigen durch den Zaun bespucken lassen musst.

SPOX: Haben Sie mal überlegt, sich bei einem internationalen Auswärtsspiel abzusetzen?

Doll: Nein, dieses Gefühl hatte ich nie. Ich war sehr früh verheiratet, hatte ein Kind und hätte mich nie wohl gefühlt, wenn ich gewusst hätte, dass meine Familie auf der anderen Seite ist. Ich habe mich nach Auswärtsreisen immer gefreut, wieder nach Hause zu kommen.

SPOX: War das bei allen im Team so?

Doll: Für die Jungs, mit denen ich zu tun hatte, war eine Flucht nie ein Thema. Eine Gaudi haben wir uns aus dem Thema aber schon gemacht.

SPOX: Erzählen Sie!

Doll: Bei Auswärtsspielen saßen in der Nacht im Hotelkorridor immer Aufpasser, die wir gerne auf die Schippe genommen haben. Ich war mit Andreas Thom im Zimmer und wir haben unsere Tür immer wieder ein bisschen aufgemacht und so getan, als würden wir rausgehen wollen, woraufhin die Aufpasser hektisch aufgestanden sind und jedes Zimmer gecheckt haben.

SPOX: Wie intensiv haben Sie sich mit der politischen Lage befasst?

Doll: Mein Vater hat in der Politik zwar eine hohe Position bekleidet, zuhause aber selten über Politik geredet. Ich kannte natürlich nur die eine Seite, also konnte ich mir keine Meinung bilden. Wir sind groß geworden mit dem Bild, dass im Ausland alles schlechter ist.

SPOX: Bei Ihrem Wechsel zum Hamburger SV durften Sie gemerkt haben, dass das nicht der Realität entspricht.

Doll: Das war schon eine wahnsinnige Umstellung. Auf einmal wurden mir die Schuhe geputzt und meine Kleidung gewaschen, was ich eigentlich gar nicht wollte. Beim Training waren Fans und die Zeitungen haben ausführlich darüber berichtet. Und der Fuhrpark der Spieler war natürlich nicht mit dem vergleichbar, was ich kannte. Fußballerisch habe ich aber gar keinen Unterschied gemerkt, das war hinsichtlich des Niveaus das Gleiche.

SPOX: Später hat Ihnen der HSV den Einstieg in den Trainerberuf ermöglicht. Wie sind Sie diese neue Tätigkeit angegangen?

Doll: Ich habe mir dutzende Videos aus allen möglichen Ländern bestellt und mir daheim am Fernseher Trainingsformen und Systeme angeschaut, während andere Ex-Profis Golfen waren. Ich habe Trainer, die unvorbereitet auf den Trainingsplatz kommen, immer gehasst. Deshalb habe ich alles penibel geplant. Die Spieler finden das toll, weil sie sehen, dass ich mir Mühe gebe. SPOXspox

SPOX: Was sind Ihre Stärken als Trainer?

Doll: Darüber möchte ich nicht reden, ich lasse Erfolge sprechen.

SPOX: Haben Sie sich seit dem Wechsel ins Ausland verändert?

Doll: Ich hoffe nicht und ich glaube, dass ich genauso kommunikativ und offen bin wie damals. Ich kann jetzt aber bestimmte Situationen besser einschätzen als früher. So etwas wie meine legendäre Rede in Dortmund würde mir heute nicht mehr passieren. Da würde ich souveräner, gelassener reagieren. Außerdem habe ich gelernt, dass Deutschland nicht das Zentrum der Welt ist und auch woanders Menschen arbeiten, die es ernst meinen.

SPOX: Derzeit stellen viele Vereine Trainer ein, die auf keine Profi-Vergangenheit zurückblicken können. Was halten Sie von diesem Trend?

Doll: Nur alten, verbitterten Trainern gefällt diese Entwicklung nicht. Ich finde sie schön. Wenn jemand die Gabe hat, eine Fußballmannschaft zu führen, dann ist es egal, ob er mal Profi war oder nicht. Als ich beim HSV Cheftrainer wurde, war ich mit meinen 37 Jahren verdammt jung und fast genauso alt wie mein Spieler Sergej Barbarez. Und jetzt kommt Julian Nagelsmann daher und ist nochmal fast zehn Jahre jünger. An seinem Beispiel sieht man aber, dass ein Trainer respektiert wird, wenn er gute Ideen hat - egal wie alt er ist.

SPOX: Nagelsmann gilt als sogenannter Konzepttrainer.

Doll: Mit dem Begriff "Konzepttrainer" kann ich nichts anfangen, weil jeder Trainer ein Konzept hat. Das Gerede von "Matchplan A" und "Matchplan B" ist nur für die Galerie. Man braucht ein Konzept im täglichen Umgang mit der Mannschaft. Alles andere sind Floskeln, die Journalisten hören wollen und viele Trainer auch von sich geben.

SPOX: Träumen Sie eigentlich noch von einem Engagement in der Bundesliga?

Doll: Ich hatte zuletzt zwar Angebote aus der Bundesliga, aber es hat sich nichts ergeben und ich bin sehr glücklich in Budapest.

SPOX: Ihr Ex-Spieler Rafael van der Vaart meinte kürzlich, dass er sich - wäre er HSV-Verantwortlicher - ins Auto setzte würde, nach Budapest fahren und Sie einfach mitnehmen würde.

Doll: So einfach ist das nicht, der müsste mich erst einmal ins Auto bekommen. (lacht)

SPOX: Könnten Sie sich ein erneutes Engagement beim HSV denn überhaupt vorstellen?

Doll: Nein, derzeit nicht.

SPOX: Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage beim HSV?

Doll: Die großen Pläne konnten nicht realisiert werden. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich die Zukunft entscheidet. Ich hoffe jedenfalls, dass der Verein, der mir am Herzen liegt, in der Bundesliga bleibt, egal wie und egal mit wem.

SPOX: Was muss bis zu Ihrem Karriereende noch passieren, damit Sie dann glücklich sind?

Doll: Als Trainer sollte man nie in die Zukunft schauen, weil du nach drei Niederlagen überall in Frage gestellt wirst. Egal wie du heißt und was du bisher geleistet hast.

Thomas Doll im Steckbrief