Morgens schreibe ich eine News für SPOX: Oscar wechselt nach China, die Ablöse liegt wohl über 60 Millionen Euro. Abends radle ich zwei Kilometer zum Gelände meines Amateurvereins. Die Leibchen stinken, der Verlierer der Sprintübungen muss sie mitnehmen zum Waschen. Gemeinsam mit den Trikots waschen lassen dürfen wir sie nicht. Zu teuer.
Es ist surreal zu sehen, wie groß der Graben inzwischen im Markt Fußball ist. Oder den Märkten Fußball? Mit China entwickelt sich eine Parallelwelt zum europäischen Pendant, die in so vielen Dingen anders ist. Eine Gefahr für den Fußball, fluchte kürzlich etwa Juventus' Sportdirektor Giuseppe Marotta.
Wenige Tage zuvor bestritt seine Mannschaft im Jassim-Bin-Hamad-Stadion in Doha die Suppercoppa Italiens gegen den AC Milan. Ob Doha oder China, es ist ein bisschen wie bei Frankenstein: Das Monster wurde von Menschen geschaffen und wächst diesen nun über den Kopf. Dabei war die Botschaft damals eigentlich deutlich genug.
Das System läuft
Die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs ist Urheber der unglaublichen Wochengehälter in China. Wenn der FC Bayern München und Borussia Dortmund durch die Welt touren, wenn der FC Barcelona Freundschaftsspiele in China austrägt und wenn die zweite Sprache der Homepage von Manchester United inzwischen Mandarin ist - worüber wundern wir uns dann?
Auch in China wollen sie Fußball sehen, auch dort sollen Stars für Aufsehen sorgen und nicht der 25-jährige Chan Siu Ming aus dem östlichen Peking. Europa hat es vorgemacht mit seinem stetigen Wandel über die letzten Jahre, die Chinesen wollen nur nachziehen. Warum also nicht vor der eigenen Tür kehren?
Damit sind nicht die Klubs gemeint. Die versuchen nur, für sich das Beste herauszuschlagen und im Wettlauf aller Kollegen nicht zu weit zurückzufallen. Das gilt auch für die Spieler, Berater und Funktionäre: Jeder versucht nur, aus dem laufenden Geschäft möglichst viel für sich zu sichern.
Ich, Du, Wir
Die Frage muss sich eher nach dem Ursprung des Geldes richten. Wer das ist? Na wir! Du, der sich gestern ein Trikot für 120 Euro gekauft hat. Du, der die Weltmeisterschaft mit 48 Teilnehmern ebenso verfolgen wird wie die in Katar 2022. Ich, der bald wieder Spielberichte zu den Testspielen der Bundesligisten in den USA schreiben wird.
Wir müssten uns alle selbst an der Nase packen. Doch das ist bekanntlich nicht unsere größte Stärke. Ich bin sehr stolz darauf, mir seit dem Wechsel von Unicef zur Qatar Foundation kein Trikot des FC Barcelona mehr gekauft zu haben. Kurz vor Weihnachten habe ich doch eines geschenkt bekommen.
Irgendwann werde ich es vermutlich im Training tragen und damit vor der Maschinerie buckeln. Die Frage ist nur, wie viele es dann überhaupt sehen werden. Den Sprintübungen sowie dem Leibchenwaschen entgehen zahlreiche meiner Spieler. Sie schauen lieber Champions League.