So geht Hoffenheim auf Polnisch

Von Benno Seelhöfer
Die Jungs von Bruk-Bet Termalica Nieciecza sind derzeit Fünfter in der polnischen Ekstraklasa
© imago

Ein Dorf mit 750 Einwohnern mischt derzeit die polnische Ekstraklasa auf und vielleicht auch bald Europa? Dass sich Bruk-Bet Termalica Nieciecza binnen kürzester Zeit aus den Tiefen der Amateurligen auf die große Fußballbühne schwang, verdankt er vor allem seinem namensgebenden Gönner. Und besonders dessen Frau.

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Wer kennt sie nicht, diese Dorfvereine, bei denen sich die Auswärtsfahrt wie eine Reise in die Vergangenheit anfühlt? In eine Zeit, in der Begriffe wie Urbanisierung und Zivilisation noch futuristische Absurditäten darstellten. Die Anfahrt an den Fußballplatz, der seine Blütezeit in den Gründungsjahren des Deutschen Kaiserreiches erlebte, gestaltet sich über die Schotterpisten nebst belebten Kuhweiden mehr als beschwerlich und auch im "Stadion" wartet schon die regendurchtränkte Asche darauf, kein einziges Knie von Schürfwunden zu verschonen.

Genau so ein Ort ist das polnische 750-Seelen-Dorf Nieciecza. Mit lediglich zwei Ausnahmen: Der Dorfverein Bruk-Bet Termalica Nieciecza ist mittlerweile in der ersten Liga angekommen und trägt seine Heimspiele im 2015 komplett renovierten Stadion aus. Auf Rasen.

Doch auch sonst erinnert lediglich die äußere Erscheinung des Dorfes mit dem für deutsche Zungen schwer auszusprechenden Namen an einen Provinzklub aus der Kreisklasse. Wirft der gemeine Fußball-Kenner nur einen flüchtigen Blick auf das Stadion von Nieciecza, stellt dieser rasch fest, dass Geld auch im südpolnischen Fußball-Business eine große Rolle spielt.

Das Pendant zu Dietmar Hopp

Der Vergleich zur TSG Hoffenheim, den der Guardian ins Spiel bringt, ist schlichtweg nicht von der Hand zu weisen. Krzysztof Witkowski heißt der polnische Dietmar Hopp, der ebenso wie sein deutsches Pendant aus dem kleinen Dorf stammt und nun mit Bruk-Bet ein führendes Unternehmen auf dem polnischen Pflasterstein-Markt leitet. Dass der Klub den Namen des Sponsors und eines seiner Tochterunternehmen trägt, ist nur selbstverständlich, schließlich machte dieser den kometenhaften Aufstieg des kleinen Vereins erst möglich.

Anfang der 2000er Jahre marschierte Bruk-Bet Termalica Nieciecza durch Polens Amateurligen und benötigte nur sieben Spielzeiten, um den Aufstieg aus der achten bis in die zweitklassige 1. Liga zu schaffen. Doch damit nicht genug. 2015 folgte dann der große Coup: Nach fünf Spielzeiten in der Zweitklassigkeit gelang der Aufstieg in die Ekstraklasa - zum ersten Mal in der Geschichte des Klubs. Damit ist Nieciecza der kleinste Ort, der jemals einen Klub in einer höchsten europäischen Spielklasse hatte.

Wer aber glaubt, dass sich die Verantwortlichen auf diesem Erfolg ausruhen, um sich selbstgefällig auf die Schulter zu klopfen, soll sich noch nie so getäuscht haben. Krzysztof Witkowskis Ambitionen, die bereits Bruk-Bet in eine führende Position brachten, machen auch vor seinem Verein keinen Halt.

Der polnische Mourinho

So führte Aufstiegscoach Piotr Mandrysz seine Jungs im Premierenjahr in der Erstklassigkeit auf einen respektablen 13. Platz und sicherte folglich den Klassenerhalt - doch für die ambitionierten Ziele von Nieciecza reichte das nicht. Mandrysz musste nach der Saison seine Koffer packen und Czeslaw Michniewicz übernahm. Sein Spitzname: der polnische Mourinho.

Allerdings resultiert diese Umschreibung weniger aus einer launigen, temperamentvollen, bisweilen exzentrischen Art, sondern vielmehr aus taktischem Know-how und seiner Leidenschaft für perfekt organisierte Defensivreihen. Um wöchentlich eine top ausgerichtete Mannschaft aufs Feld zu führen, bedient sich Michniewicz sogar fortschrittlichster Technik.

Zusammen mit seinem Analysten Kamil Potrykus nutzt der Coach Drohnen, um Positionsmuster im Training perfekt dokumentieren zu können. Die aufgezeichneten Videos nehmen sich die Spieler dann als Hausaufgabe zum Analysieren mit nach Hause.

"Wir trainieren es, unseren Kopf zu benutzen, genauso wie unsere Füße", erklärte Michniewicz im Interview mit der polnischen Gazeta Wyborcza: "Dronen können keine Tore schießen, aber sie können uns dabei helfen, ein paar Spiele zu gewinnen. Ich habe vor kurzem ein Analyse-Programm gekauft, LongoMatch, das speziell auf uns zugeschnitten in Spanien angefertigt wurde. Derzeit sind wir die Vorreiter, aber in fünf Jahren wird das jeder benutzen. Allerdings hoffe ich, dass wir dann etwas anderes haben."

Niecieczas Coach wäre nach der Scholl'schen Theorie wohl ein Laptop-Trainer, wie er im Buche steht.

Einer wie Romelu Lukaku

Doch im Moment macht sich Michniewicz mit seiner Technikverliebtheit keineswegs zum Narren. Derzeit rangiert sein Team auf dem sechsten Platz der Ekstraklasa, auch die Qualifikation zur Europa League ist nicht komplett ausgeschlossen. Einzig das Torverhältnis von minus fünf fällt bei den Südpolen aus der Reihe.

Wer also die beschwerliche Reise hinaus aufs Land wagt, darf kein Spektakel erwarten: Von ihren derzeit zehn Saisonsiegen fuhr Nieciecza gleich sechs mit nur einem Tor Vorsprung ein. Auch deshalb verirren sich bei Heimspielen oft nur 2000 Menschen in das 4595 Zuschauer fassende Stadion. Bei einer Einwohnerzahl von nur 750 dennoch respektabel.

Gleichzeitig versprühen sogar einige Spieler ein wenig internationalen Glanz in der, rein geografisch betrachtet, schnöden Einöde. Vladislavs Gutkovskis zum Beispiel. Der Lette ist derzeit Niecieczas Top-Torschütze und wurde von seinem Coach schon mit keinem geringerem als Romelu Lukaku vergleichen. Hinten halten dann Guilherme, der obligatorische Brasilianer, der in keinem Fußballteam fehlen darf, sowie Artem Putivcev, der überraschend eine Einladung zur ukrainischen Nationalmannschaft erhielt, den Laden mehr oder weniger sauber.

Doch wie lockt ein Klub wie Bruk-Bet Termalica Nieciecza internationale Spieler in einen Ort, der noch weniger Glanz als die Stadt Wolfsburg versprüht? Ganz klar! Mit Frauenpower.

"Mit der Fürsorge einer Mutter"

Krzysztof Witkowski, der das eigentlich zu kleine Stadion seines Herzensvereins mittels einer Renovierung in nur sechs Monaten an die Anforderungen der Liga anpassen ließ, mag zwar in seiner Firma federführend sein und auch im Verein ein ernstes Wörtchen mitsprechen, doch die eigentliche Klubführung obliegt seiner Frau Danuta Witkowska.

Die Präsidentin des Klubs hat sich in der Männer-Domäne Fußball behauptet und bespricht nicht nur mit dem Trainerstab, welche Spieler den Klub voranbringen könnten, sondern führt auch sämtliche Vertrags- und Transferverhandlungen selbst. Witkowska ist der Pluspunkt des Vereins. Sie ist der Grund, warum Spielerberater ihren Schützlingen diesen Provinzklub nahelegen. Die als sehr zuverlässig geltende Chefin bringt Seriosität in eine Liga, in der sich Gerüchte um Korruption und nicht gezahlte Gehälter sehr hartnäckig halten.

Darüber hinaus besticht der Klub, vielleicht auch aufgrund seiner Größe und der des Ortes Niecieczas, durch eine familiäre Atmosphäre. Michniewicz lobt die Arbeit seiner Präsidentin, die sich einmal in der Woche mit ihrem Team trifft. "Sie sorgt sich um das Wohlergehen aller Spieler mit der Fürsorge einer Mutter", lobte er und betonte gleichzeitig den engen Kontakt mit der Führungsetage, der in dieser Form nicht in jedem Klub selbstverständlich sei.

Bruk-Bet Termalica Nieciecza scheint unaufhörlich zu wachsen - langsam aber sicher wandert der Blick Richtung Internationales Geschäft. Vorbei sind die Zeiten aus den Anfängen des Vereins. Während der 20er und 30er Jahre reisten die Spieler mit Pferdekutschen zu sämtlichen Auswärtsspielen. Aber das ist selbst in der Kreisklasse heutzutage nicht mehr üblich.

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