Dieser Artikel ist erstmals im Juni 2017 erschienen.
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Das schottische Städtchen Baile an t-Salainn heißt in Englisch Saltcoats und liegt etwa 30 Meilen von Glasgow entfernt, malerisch an der schottischen Westküste eingebuchtet. Einst verdienten die Menschen hier ihr Geld mit der Fischerei und dem Schiffsbau, später mit dem Tourismus und mittlerweile weiß man das nicht mehr so genau. Um sein Geld aber mit Fußball zu verdienen, muss man Baile an t-Salainn verlassen, damals wie heute. 1961 brach Bobby Lennox hoffnungsvoll auf.
18-Jährig machte er sich auf die knapp einstündige Reise nach Glasgow und landete im Paradies. Im östlichen Stadtteil Parkhead liegt der Friedhof Eastern Necropolis. Ein trauriger, aber auch andächtiger Ort, mit einem umso schöneren daneben. "It's like leaving a graveyard to enter paradise", heißt es in Glasgow. Gemeint ist der Moment des Eintritts in den angrenzenden Celtic Park. Paradise.
Hier spielte Lennox also fortan und er war ein Ausländer. Nicht aber, weil Celtic eigentlich ein irischer Klub ist - einst gegründet vom irischer Mönch Brother Walfrid und einst wie heute behisst mit irischen Flaggen -, sondern weil für Lennox' neue Kollegen einfach jeder, der außerhalb des Großraums Glasgow geboren wurde, eigentlich ein Ausländer war. Die meisten Celtic-Spieler dieser Zeit waren Jugendfreunde, sie allen kamen höchstens zehn Meilen vom Celtic Park entfernt auf die Welt.
Und von dort zogen sie los, um die Fußball-Welt zu erobern. "A Million Miles for Celtic" nannte Lennox seine Autobiographie später und für all die abgespulten Meilen bekamen er und seine Kollegen einen kleinen Anteil am Paradise. "Lisbon Lions Stand" heißt die Osttribüne des Celtic Park, benannt nach diesen Spielern, die 1967 durch Europa siegten, letztlich in Lissabon den Europapokal der Landesmeister gewannen und so zu Löwen wurden. Die den größten Erfolg der Vereinsgeschichte feierten. Die als erste britische Mannschaft überhaupt die wichtigste Trophäe des europäischen Vereinsfußballs gewannen.
Ein Lebensweg von Burnbank bis Glasgow
In den schalbehangenen Pubs um den Celtic Park, wo Tennent's gekippt und Scotch Whisky genossen wird, erinnern verstaubte schwarz-weiße Bilder an diese legendäre Mannschaft und ihr Mythos wird von Generation zu Generation weitergegeben und weitergesungen.
Sixty-seven,
In the heat of Lisbon,
The fans came in their thousands,
To see the Bhoys become Champions!
Es war am 25. Mai 1967, Celtic traf in Lissabon auf Inter Mailand, den Glamour-Verein seiner Zeit und somit das exakte Gegenstück zu Celtic. In zwei der drei vorangegangenen Jahre hatte Inter den Europapokal der Landesmeister gewonnen, Celtic absolvierte dagegen seine Premieren-Saison im Wettbewerb.
Trainiert wurde Inter von Helenio Herrera, einem Mann von Welt. Geboren in Argentinien als Sohn spanischer Eltern, aufgewachsen in Marokko, gespielt in Frankreich. Dann als Trainer gearbeitet in Paris, Madrid, Sevilla, Lissabon, Barcelona und schließlich in Mailand. Der Lebensweg von Celtics Trainer Jock Steins reichte dagegen von Burnbank (Geburt), Hamilton (Schule), Lanarkshire (Kohlemienen als Arbeitsplatz) über Coatbridge, Llanelli und Glasgow (Stationen als Aktiver) bis Dunfermline, Edinburgh und Glasgow (Stationen als Trainer).
Stein war ein einfacher Mann, der Sätze sagte wie: "Football without the fans is nothing." Stein war aber auch Protestant und Rangers-Fan und seine Bestellung zum Trainer des katholischen Vereins Celtic somit ein Wagnis. Ein Wagnis jedoch, das sich lohnen sollte. In seiner ersten Saison als Celtic-Trainer holte Stein 1966 die erste Meisterschaft seit zwölf Jahren ins Paradise. Dadurch qualifizierte sich Celtic erstmals für den Europapokal der Landesmeister.
Ein Erfolgslauf von Zürich bis Lissabon
"Für uns ist der Europacup ein Abenteuer", sagte Stein und das Abenteuer begann. Es führte Celtic zum FC Zürich und FC Nantes, zu Vojvodina Novi Sad und Dukla Prag, es führte Celtic von Sieg zu Sieg und dann eben nach Lissabon. Knapp 15.000 Celtic-Fans sangen auf den Tribünen des Estadio Nacional und machten es so zur Außenstelle des Paradise.
Die optische Inkarnation des Paradise waren aber weniger die Celtic-Spieler, sondern viel eher die Stars aus Mailand. "Sie waren gebräunt und gepflegt wie Filmstars", erinnert sich Celtics Bobby Murdoch aus dem Glasgower Vorort Rutherglen. "Bei uns hingegen gab es einige, die keine Zähne mehr hatten." Keeper Ronnie Simpson und "Ausländer" Lennox etwa, die ihre künstlichen Gebisse vor Anpfiff der Legende nach sicherheitshalber hinter das eigene Tor legten.
Celtic hatte im Vergleich zu Inter also weniger Zähne und laut Experten auch weniger Titel-Chancen, Celtic war gegen Inter der klare Außenseiter. Das wussten die Spieler und das wusste Stein, aber er wollte trotzdem alles: "Wir möchten nicht einfach nur diesen Pokal gewinnen. Wir möchten den Pokal mit gutem Fußball gewinnen. Damit man sich daran erinnert, wie wir ihn gewonnen haben." Während Inter Herreras geliebten und nach eigener Angabe auch selbst erfundenen Catenaccio spielte, griff Celtic an. In Führung ging aber trotzdem Inter und Celtic griff deshalb einfach noch mehr an.
Ein Angriffs-Team von Simpson bis Chalmers
Celtic griff an mit Tormann Simpson, der nur 1,77 Meter maß aber stets weit im Feld stand und das Spiel mit ankurbelte. Mit Kapitän und Abwehrchef Billy McNeill, der in seinen 18 Jahren bei Celtic der Legende nach kein einziges Spiel verpasste. Mit Mittelfeldmotor Bobby Murdoch, den sein Nebenmann Bertie Auld als "Celtics komplettesten Spieler" adelte.
Mit dem blitzschnellen linken Flügelstürmer und "Ausländer" Lennox, den sie "Lemon" nannten, weil er seine Gegenspieler stets wie "Suckers" aussehen ließ. "Suckers", wie Sauger im wörtlichen Sinne oder Trottel im übertragenen. Mit Lennox' rechtem Gegenpart Jimmy Johnstone, der später zum besten Spieler der Vereinsgeschichte gewählt wurde.
Celtic griff an mit Linksverteidiger Tommy Gemmell, der den Ausgleich erzielte und mit Stevie Chalmers, der in der 84. Minute zum siegbringenden 2:1 traf. "In diesem Augenblick gibt es keinen stolzeren Mann auf Gottes Erde", sagte Trainer Stein nach dem Abpfiff. Er war im Fußball-Paradise angekommen, nicht aber wie alle zwei Wochen im geographischen, sondern im spielerischen. "Der Sieg war wichtig, ja, aber es ist mehr die Art und Weise, wie wir ihn errungen haben, die mich mit Genugtuung erfüllt. Wir haben ihn errungen, indem wir puren, schönen, einfallsreichen Fußball spielten."
Ein Titel von 1967 bis in die Ewigkeit
Bei diesem Finale wurden aus elf Fußballern die "Lisbon Lions". Und nach dem größten Triumph setzten die Löwen ihren Beutezug in der schottischen Heimat einfach fort. Celtic feierte neun Meistertitel in Folge und in diesem Zeitraum auch fünf Pokalsiege und ebenso viele Ligapokalsiege. 1978 verließ Stein den Verein und wurde für einige Jahre schottischer Nationaltrainer.
Bei der Qualifikation für die WM 1986 brauchte Schottland am letzten Spieltag ein Remis in Wales, um sich noch für die entscheidenden Playoffs zu qualifizieren. Steins Team geriet aber in Rückstand. Als ein Elfmetertor in der Schlussphase die Schotten doch noch rettete und in ekstatischen Jubel versetzte, erlitt Stein einen tödlichen Herzinfarkt. Wiederbelebungsversuche scheiterten, Stein verstarb im Stadion.
Doch er lebt weiter, im Paradise. Gegenüber des "Lisbon Lions Stand" ragt der "Jock Stein Stand" empor und vor dem Stadion steht eine Bronze-Statue von ihm. Stein hält mit beiden Händen den Henkelpott fest und auf dem Sockel steht sein berühmter Spruch: "Football without the fans is nothing."
Die Fans von Celtic sorgen dafür, dass meist ein grün-weißer Schal um das Handgelenk von Steins Statue gebunden ist und mit ihren Erzählungen und Gesängen auch dafür, dass die Legende von Steins "Lisbon Lions" niemals vergessen wird.
Sixty-seven,
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