Die Saison ist vorbei und während in der Bundesliga die Bayern erwartungsgemäß den Titel eingetütet haben, passierten im Rest Europas reichlich Kuriositäten. Während Atalanta Bergamo mit der Jugend die reiche Konkurrenz aussticht, brilliert Gattusos Team in der Defensive, versagt aber beim Versuch, selbst Tore zu schießen. In Spanien erkauft sich ein Geschäftsmann den Trainerstuhl und bei SPAL Ferrera sind Bankrotts da, um überwunden zu werden.
Atalanta Bergamo: Jugend schlägt Kohle
Nicht einmal 50 Kilometer ist Bergamo vom Stadtzentrum Mailands entfernt - für die Bewohner der Modemetropole ist es kaum mehr als ein Vorort. Trotzdem werden hier in der nächsten Saison Teams wie Liverpool oder Sevilla zu Gast sein, während im altehrwürdigen Guiseppe-Meazza-Stadion der Rasen gepflegt werden kann. Denn Atalanta Bergamo qualifizierte sich nicht nur zum ersten Mal für die Europa League, sondern ließ zudem die großen Nachbarn Inter und Milan hinter sich!
Dabei griffen die Mailänder Platzhirsche zu allen Mitteln um den Emporkömmling zu stoppen: Noch im Januar verpflichtete Inter mit Roberto Gagliardini das vielleicht größte Bergamo-Eigengewächs. Schlappe 20 Millionen Ablöse machten die Nerazzurri locker, um das Machtverhältnis wieder gerade zu rücken. Gleichzeitig kündigten die neuen chinesischen Besitzer des AC Mailand Investitionen über 350 Millionen an.
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Geholfen hat es nichts. Die Kirsche auf Atalantas Eisbecher-Saison war der 36. Spieltag, an dem sie ausgerechnet gegen Milan den Europa-League-Einzug perfekt machten. Bergamos Erfolgsrezept: Eine Jugendabteilung, die der kicker mit Barcas La Masia oder der Ajax-Akademie vergleicht. In Bergamos Startelf gegen Milan standen gleich drei Spieler aus der eigenen Talentschmiede - darunter Conti, der Schütze zum entscheidenden Tor. Merke: Manchmal lohnt sich eine ordentliche Jugendarbeit eben mehr als ein Haufen Kohle aus China.
Gattuso bei Pisa: Verteidigung ist nur die halbe Miete
Gennaro Gattuso ist eine Legende. Unter seiner Führung errang die italienische Nationalmannschaft 2006 mit eisenharter Defensivarbeit die Weltmeisterschaft und so mancher Gegner wird nach den Spielen noch Albträume von Gattuso, Cannavaro und Co gehabt haben. Auch der AC Milan verdankt dem Mittelfeldmann zwei Meisterschaften.
Als Gattuso 2014 seine Karriere beim FC Sion beendete und sich für eine Laufbahn als Trainer entschied, war vermutlich jedem Profi sofort klar: "Wer spielen will, muss verteidigen!" Bestes Beispiel dafür ist der AC Pisa, bei dem der Italiener zurzeit die Fäden in der Hand hält. In der abgelaufen Saison war Pisa in der Serie B eine beeindruckendes Bollwerk. Nur 36 Gegentreffer bei 42 Spielen ist Liga-Spitze - und trotzdem darf sich der AC verabschieden.
Ob Gattuso anstatt Flanken und Torschüssen nur Grätschen und Stellungspiel trainieren ließ, ist nicht überliefert. Es würde aber die mickrigen 23 Tore erklären, die sein Team erzielte! Eine Verteidigungswand reicht vielleicht für einen WM-Titel, aber nicht für den Klassenerhalt in der Serie B. Ist doch klar, Gennaro.
Arnheim: "FC Hollywood" und der holländische Wanderpokal
Am Anfang des neuen Jahrtausends herrscht Chaos bei Vitesse Arnheim: Verschuldung, mehrere Jahre Abstiegskampf sowie Skandale um Veruntreuung und den drohenden Konkurs brachten dem Verein den unrühmlichen Spitznamen "FC Hollywood am Rhein" ein.
Doch 2010 ändert sich alles: Der Georgier Merab Jordania wird Hauptinvestor. Er tilgt alle Schulden, entlässt innerhalb eines Jahres 16 Spieler, verpflichtet 14 neue und wechselt dreimal den Trainer - doch, oh Wunder, wieder spielt Vitesse gegen den Abstieg.
Drei Jahre später verkauft Jordania seine Anteile an eine ukrainische Holzpellet(!)-Firma und mit dem neuen Investor kommt der Aufschwung: Der Gewinn des KNVB-Pokals in diesem Jahr ist der bisherige Höhepunkt, der dem FC Hollywood ganz Europa (und Bergamo) als Bühne erschließt.
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Mit dem Erfolg im Pokal setzt Vitesse außerdem eine skurriles Muster fort, das beinahe abgesprochen wirkt: Jeder, also wirklich jeder, darf Mal.
Denn seit 2008 krönen die Niederländer in jedem Jahr einen anderen Pokalsieger - und so langsam gehen ihnen die Mannschaften aus! Der einzige Klub aus der oberen Tabellenhälfte, der in der letzten Dekade keinen Titel gewann ist der FC Utrecht.
Soll die Serie danach noch fortgesetzt werden, lauten die heißesten Anwärter übrigens Heracles, Willem II oder Go Ahead Eagles.
CD Tudelano: "Ökonomische Sportwette"
In John Reid Clarksons Bewerbungsmappe dürfte in etwa Folgendes stehen: Aktienanteile in diversen schottischen und internationalen Firmen, ein eigenes erfolgreiches Pflegeheim-Unternehmen - und ein Trainerjob in der dritten Spanischen Liga.
Im Januar dieses Jahres macht Clarkson den Verantwortlichen vom CD Tudelano ein eher ungewöhnliches Angebot: Der Unternehmer versprach alle Schulden des Vereins zu bezahlen, wenn er dafür zwei Jahre auf der Trainerbank sitzen dürfe. Clarkson war so überzeugt von seiner Idee, dass er versprach, 200.000 Euro aus seinem Privatvermögen aufs Spiel zu setzen - schafft er innerhalb von zwei Jahren den Aufstieg in die Segunda Division, erhält er seine Investition zurück, ansonsten ist sie jedoch futsch.
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Tudelanos Präsident Jesus Miranda nahm den seltsamen Vorschlag dankend an und beschreibt das Angebot als "ökonomische Sportwette". Dass die Zukunft seines Vereins von dieser Wette abhängen könnte, war beim Anblick der 200.000 wohl zweitrangig.
Bis jetzt zahlt sich das Risiko aber aus. Clarkson hat bereits ein Drittel des Geldes locker gemacht und auch sportlich steht der Verein nicht schlechter da. Tudelano beendete die Saison auf dem neunten Rang und ist damit seit Januar immerhin zwei Plätze nach oben geklettert - von dem Aufstieg und der Rückerstattung seines Investments ist Clarkson trotzdem noch meilenweit entfernt. Präsident Miranda wird's freuen.
Straßburg und Amiens: Doppelter Durchmarsch in die Ligue 1
"Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten." Diese Weisheit Sepp Herbergers braucht allerspätestens seit dem letzten Spieltag der Ligue 2 zumindest eine kleine Richtigstellung im Kleingedruckten:
Vor dem Anpfiff am finalen Wochenende machten sich sage und schreibe sechs französische Teams berechtigte Hoffnungen auf das Prädikat "Erstklassig". Nach dem Abpfiff jubelte man in Straßburg und Troyes über den direkten Aufstieg, Lens wähnte sich in der Relegation. Neunzig Minuten waren schließlich gespielt und dann ist das Spiel doch rum? Oder nicht?
Auftritt Emmanuel Bourgard: Während auf allen anderen Plätzen schon Schluss war, schoss der Franzose in der 6.(!) Minute der Nachspielzeit sein wahrscheinlich wichtigstes Karrieretor. Mit dem Last-Second-Treffer zum 2:1-Sieg katapultierte er nicht nur seinen Verein, den SC Amiens, vom sechsten auf den zweiten Platz, sondern brach kollektiv alle Herzen in Lens und Troyes.
Ganz nebenbei sorgte Bourgard mit seinem Tor für eine historische Besonderheit: Mit Straßburg und Amiens schaffte nicht eine, sondern gleich zwei Mannschaften den direkten Durchmarsch aus der dritten Liga ins Oberhaus. Ob der 29-Jährige dort auch zum Einsatz kommt, ist nicht einmal garantiert. Bourgard spielte eine eher durchwachsene Saison und erzielte überschaubare drei Tore. Eines davon war jedoch Gold wert und bewies, dass selbst Legenden wie Sepp Herberger mal daneben liegen können.
Ferrera: Bankrotts sind da, um überwunden zu werden
Ruin und Wiederaufbau liegen dicht beieinander. Diese Weisheit bestätigt sich beim italienischen Verein SPAL Ferrera. Denn seit dem 13.05.2017 steht es fest. Die oberitalienische Stadt, dessen historischer Stadtkern als UNESCO Weltkulturerbe anerkannt wurde, positioniert sich seit 49 Jahren wieder in der höchsten Liga Italiens.
Was daran besonders ist? SPAL durchlebte eine pure Achterbahnfahrt, quer durch die italienischen Ligen. Hinzu kommen Bankrotts und drei Neugründungen (2005, 2012, 2013). In der Saison 1967/68 war ihr letzter Auftritt im italienischen Oberhaus. Danach ging es bergab, bis in die Viertklassigkeit (C2). Der mühsame Wiederaufstieg in die C1 wurde gleich wieder zu Nichte gemacht, als SPAL wegen Unregelmäßigkeiten in der Bilanz zur Rückkehr in die C2 verurteilt wurde. Drei Jahre vergehen und SPAL schafft es sich den vierten Platz zu sichern. Zu wenig für den Wiederaufstieg. Glaubt man zumindest.
Diesmal sind einige Mannschaften der dritten Liga wegen Lizenzentzügen dran, somit Platz für Ferrera in der C1 trotz viertem Platz. 2016 dann der Vormarsch in die Serie B, jetzt gefolgt von dem Durchbruch in die Serie A.
Vielleicht folgt ja jetzt etwas Konstanz in der Vereinsgeschichte der Spallini.