Vor knapp 20 Jahren war Nick Littlehales Marketingchef einer großen Möbelhaus-Kette. Heute ist er einer der bekanntesten Schlaftrainer der Welt. Einer, dem die ganz Großen des Sports vertrauen. Denn Littlehales revolutionierte mit seiner Lehre vom "richtigen Schlaf" den Leistungssport und sagt mittlerweile sogar Cristiano Ronaldo, wann er ins Bett gehen soll.
England gegen Ende der 1990er Jahre, irgendwo in Oldham: Nick Littlehales ist Marketingchef von Slumberland's, einem namhaften Fachgeschäft für Schlafzimmereinrichtungen. Weil sein Unternehmen zu dieser Zeit Sponsor des damaligen Premier-League-Klubs Oldham Athletic ist, wird er zu einer Filmpremiere eingeladen.
Dort trifft er 1998 auf einen Trainer, der den Ruf genießt, einen autoritären und konsequenten Führungsstil zu pflegen, für den Erfolg von Manchester United aber auch bereit ist, unkonventionelle und neue Wege zu gehen. Nicht nur für Littlehales und Sir Alex Ferguson hat das Treffen an diesem Tag etwas Schicksalhaftes an sich.
Denn 20 Jahre später sind Sir Alex und die "Class of 92" Legenden des europäischen Vereinsfußballs, Cristiano Ronaldo ist der amtierende Weltfußballer und Bradley Wiggins wurde nach seinem Sieg bei der Tour de France 2012 von Queen Elizabeth II zum Ritter geschlagen. All diese Größen des Sports haben in Littlehales ihren gemeinsamen Nenner.
Sie alle gingen bei ihm in die Lehre. Nicht wegen der Perfektionierung einer Direktabnahme in den Winkel oder dem idealen Tritt in die Pedale, um auch noch die letzte Zehntelsekunde Vorsprung herauszuholen. Das interessiert den Schlaftrainer nicht. Littlehales erweiterte das Streben nach Leistungsoptimierung im Sport um einen Faktor, den zum damaligen Zeitpunkt noch niemand so wirklich auf der Rechnung hatte.
Littlehales: "Schlaf kann alles beeinflussen"
"Viele Klubs investieren Millionen in ihre Spieler, beziehen dabei aber nicht ihre Schlafgewohnheiten mit ein", sagt Littlehales. Fußballer seien oftmals junge Männer, die ihr Zuhause verließen, ohne zu wissen, wie sie mit ihren Alltagsroutinen und den physischen und mentalen Anforderungen ihres Sports umgehen könnten: "Schlaf kann alles beeinflussen. Die Leistung, die Energie, den mentalen Fokus und die Konzentration."
Littlehales ist ein Verfechter der Theorie des Polyphasischen Schlafs. Ein Schlafmuster, bei dem der Schlafbedarf durch mindestens drei Phasen am Tag gedeckt werden soll. Littlehales ordnet für seine Klienten - zu denen heute unter anderem die Radprofis vom Team Sky und die Stars von Manchester City zählen - gar fünf Schlaf-Einheiten zu je 90 Minuten an.
Der Grund dafür klingt logisch: Für den 56-Jährigen geht es darum, seinen Sportstars dabei zu helfen, durch Schlaf zum richtigen Zeitpunkt auf dem Zenit ihrer Leistungsfähigkeit zu stehen und sich anschließend am besten erholen zu können. Folgt man der Theorie des Schlaftrainers, ist das durch den weit verbreiteten Mythos des durchgängigen Acht-Stunden-Schlafs schier unmöglich.
Denn dieser führe beispielsweise dazu, dass Menschen, die im Büro arbeiten, zwischen 13 und 15 Uhr die geringste Produktivität aufwiesen. 13 und 15 Uhr, das sind mit Blick auf die Anstoßzeiten nicht gerade die unwichtigsten Termine für einen Profifußballer in der Premier League.
Und genau dort begann für Littlehales eine Traumreise, die ihn unter anderem über Manchester und London bis in die Schlafgemächer von Cristiano Ronaldo führte. Denn seine Arbeit besteht zu großen Teilen aus persönlichen Hausbesuchen, der Analyse vor Ort und der Beratung.
Die Akte Pallister und die "Class of 92"
Rückblickend betrachtet verdankt Littlehales seine Karriere als "Elite Sports Sleep Coach" besonders Sir Alex Ferguson und der Offenheit der damaligen Führungsspieler von Manchester United wie Ryan Giggs, Paul Scholes und David Beckham: "Jeder andere Klub, jeder andere Trainer, jede andere Gruppe von Spielern hätte das vermutlich nicht mitgemacht. Aber die 'Class of 92' wollte alles tun, um ihr Spiel zu verbessern."
Der Dank sollte speziell aber auch an Gary Pallister gelten - oder vielmehr dessen Rücken. Der Innenverteidiger haderte 1998 mit chronischen Rückenproblemen. Eine OP schien unausweichlich, bis Littlehales Sir Alex in einem Brief eine andere Lösung vorschlug.
"Er schlief auf einer steinharten Matratze. Das habe ich geändert und obwohl das nicht alle Beschwerden kuriert hat, half es enorm", analysiert Littlehales die Situation von damals. Die Krankenakte Pallisters war seine Eintrittskarte ins Profigeschäft.
Die Red Devils hielten an Littlehales fest und revolutionierten auch mit seiner Mithilfe die Trainingsmethoden im englischen Profifußball. Während die Mannschaft zweimal am Tag trainierte, kümmerte sich Littlehales um die Erholungsphasen der Spieler zwischen den Einheiten in einem extra eingerichteten Raum. Der Erfolg gab ihm und United Recht: Manchester holte 1998/1999 das Triple und "Fergie's Fledglings", Fergies Grünschnäbel, trugen sich in die Geschichtsbücher ein.
Littlehales beim FC Arsenal: Das Lachen der Gunners
Die Mundpropaganda der United-Spieler, die auf Länderspielreisen eine ähnliche Behandlung vermissten, rief andere Premier-League-Klubs auf den Plan, doch längst nicht überall stieß Littlehales mit seinen Ratschlägen gleich auf offene Ohren. Beim FC Arsenal lachten die Spieler über den Schlaftrainer, als dieser ihnen sein Programm vorstellte.
Vielleicht lachten die Spieler, weil seine Ratschläge, gerade was das Zwischengeschlechtliche betraf, so obskur klangen. Denn von gemeinsamen Nächten mit dem Partner in einem Bett hält Littlehales schon rein aus evolutionären Gründen nichts: Dafür seien Mann und Frau nicht geschaffen.
Beim Thema Sex zitiert Littlehales gerne Clemens Westerhoff, der die nigerianische Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1994 in den USA betreute: "Es ist nicht der Sex, der junge Spieler müde macht. Es ist die nächtelange Suche danach."
Vielleicht lachten sie aber auch, weil seine Lehre vom "richtigen Schlaf", der penible Planung und strikte Disziplin erfordert, ihnen so lächerlich konträr zu dem vorkam, was sie bis dato über Schlaf zu wissen glaubten. Schließlich ist Schlaf doch Erholung und keine Arbeit.
Das Lachen der Gunners wurde für Littlehales zum Wendepunkt. Es war ein Moment, der sich in Littlehales' Gedächtnis eingebrannt hat: "Das war das erste Mal, dass ich mich wie ein Schlaf-Coach gefühlt habe."
CR7 und das Streben nach Mehr
Beim FC Arsenal verstummte das Gelächter, als Thierry Henry intervenierte und seine Teamkollegen maßregelte. Kein Zufall, schließlich ist es dem Gefühl von Littlehales nach zu urteilen oftmals so, dass sich ausgerechnet die besten Spieler für das interessieren, was er zu sagen hat.
Früher oder später musste also auch Cristiano Ronaldo auf den Schlaftrainer aufmerksam werden. Er, der sich schon in Kindheitstagen während des Trainings zu seinen Mitspielern umdrehte und sagte: "Eines Tages werde ich der Allerbeste sein," und der das Wort Erholung als "Schlüsselwort" in seinem Alltag bezeichnet hatte.
2013 wurde Littlehales von Real Madrid konsultiert, um seine Ratschläge bei den Königlichen einzubringen. In Auftrag gegeben hatte das Carlo Ancelotti, der bereits zwei Jahre zuvor beim FC Chelsea mit Littlehales gearbeitet hatte.
Noch heute erinnert sich der 56-Jährige an das erste Treffen mit seinem Klienten: "Er fand meine Arbeit spannend, weil er als Athlet immer weiter an sich arbeiten wollte." Ronaldo sei nicht an Diäten interessiert gewesen oder daran, was andere Sportler machen. "Das Einzige, woran er interessiert ist, ist die Frage: Bringt es mich weiter?"
Mit Blick auf die vergangenen vier Jahre und insbesondere die vergangenen zwei Spielzeiten lässt sich nicht von der Hand weisen, dass sich CR7 aktuell in der besten Form seines Lebens befindet. Vielleicht hat das auch etwas mit seinem Schlafprogramm zu tun, das sich für Normalos mehr nach Arbeit, als nach Erholung anhört.
Bradley Wiggins: Mit 18 Grad und Schaumstoff zum Tour-Sieg
Die Klienten von Littlehales sollen beispielsweise darauf achten, dass die Zimmertemperatur des Schlafgemachs zwischen 16 und 18 Grad Celsius liegt und man selbst in der Fötusstellung einschläft, also zusammengekrümmt in Seitenlage. Außerdem herrscht 90 Minuten vor den jeweiligen Schlafphasen striktes Smartphone-, Tablet- und Fernsehverbot.
Besonders der Schlaf-Untergrund spielt nach Aussage von Littlehales eine entscheidende Rolle: "Ich arbeite seit Jahren mit Team Sky zusammen und bei jeder Tour de France, jedem Giro d'Italia und jeder Vuelta a Espana sorgen wir dafür, dass die Fahrer auf der exakt gleichen Matratze wie in der Nacht zuvor schlafen."
Bei seinem historischen Triumph auf der Tour de France 2012 soll Bradley Wiggins ausschließlich auf den von Littlehales ausgesuchten Schaumstoff-Matratzen geschlafen haben, die nicht dicker waren als zehn Zentimeter. Mehr dürfe es auch gar nicht sein, darauf besteht der Experte.
Littlehales: Profisport ist nur der Anfang
All das lassen Ronaldo und Co. über sich ergehen. Zum Wohle des Erfolgs versteht sich, und um sich später nicht vorwerfen zu müssen, nicht wirklich alles Erdenkliche getan zu haben, um sich weiter zu verbessern.
Littlehales will mit seiner Arbeit ein Umdenken vorantreiben - und das nicht nur im Bereich des Profisports, sondern auch in der Gesellschaft: "Wir müssen alle aufhören, uns Schlaf als diese kuschelige Sache vorstellen, die wir in unseren Pyjamas machen, wenn wir gerade mal nichts Besseres zu tun haben."
In jedem einzelnen 24-Stunden-Zyklus müsse man sich die Zeit nehmen, um sich mental und körperlich zu erholen. "Nur das kann wirklich einen Unterschied machen."