Mohamadou Idrissou hat über ein Jahrzehnt in den deutschen Bundesligen gespielt und gilt vielen als Skandalprofi. Seit Januar schnürt der mittlerweile 38-Jährige die Kickstiefel für den österreichischen Viertligisten Union Hallein.
In Teil eins des Interviews spricht Idrissou über die Anfänge seiner Fußballkarriere in Kamerun, die ersten Schritte in Deutschland, den Tod von Marc-Vivien Foe und sein Problem mit dem ehemaligen Gladbach-Trainer Lucien Favre.
Hier geht's zum zweiten Teil des Interviews.
SPOX: Herr Idrissou, lassen Sie uns über Ihre Fußballkarriere sprechen. Sie sind 1980 in Kamerun geboren. Welche Rolle spielte der Sport in Ihrer Kindheit?
Mohamadou Idrissou: Mit acht Jahren hat es bei mir angefangen, dass ich nur noch mit dem Ball gespielt habe. Ich weiß noch, wie ich ganze Tage auf der Straße gekickt habe. Wenn ich mir das Knie aufgeschlagen habe, bin ich zu meiner Oma gelaufen und habe dort übernachtet, damit das meine Mutter nicht mitkriegt. Die anderen Jungs sind Fahrrad gefahren, aber mit mir Fußball spielen wollte keiner. Ich habe auch nie in einer Jugendmannschaft gespielt, immer nur in Schulteams.
SPOX: Was heißt das genau?
Idrissou: Ich war bis 14 Uhr auf einer katholischen Schule und hatte anschließend von 15 bis 18 Uhr noch Unterricht in der arabischen Schule nebenan. Irgendwann gab es Schulturniere, die von Claude Le Roy, der bei zahlreichen afrikanischen Ländern und auch in Kamerun Nationaltrainer war, organisiert wurden. Er hatte zuvor schon an Schulen ein paar Trainingseinheiten für Kinder geleitet. Er sah mich mit 13 bei einem dieser Turniere. Ich schoss in vier Spielen 21 Tore und war sehr schnell. Meine Mitschüler nannten mich später nur noch Gazelle. Bei den Turnieren schnitt ich immer gut ab und bekam Pokale, so dass plötzlich doch jeder mit mir Fußball spielen wollte.
SPOX: Ein Jahr später holte Sie Le Roy nach Europa in die Nachwuchsakademie von Racing Strasbourg. Dort blieben Sie bis zur Ihrem 19. Lebensjahr. Wie wurde dieses Angebot es in Ihrer Familie damals diskutiert?
Idrissou: Ich habe meinen Vater durch einen Autounfall verloren, als ich drei war. Ich hatte also nur meine Mutter. Manche Entscheidungen hat aber auch ihr Bruder getroffen, das ist in solchen Fällen in Kamerun nicht unüblich. Meine Mutter war natürlich dagegen. Sie wollte nicht, dass auch ich sie verlasse und dann auch noch alleine in Europa bin. Ich war aber so sehr darauf fixiert, eine richtige Fußballkarriere zu beginnen und wollte einfach nur weg. So sehr, dass ich dabei fast vergessen habe, dafür meine Familie zurücklassen zu müssen. Mein Onkel hat dann den Vertrag für mich unterschrieben. Meine Mutter hat ihren Bruder schon ihr Leben lang gehasst, aber dadurch ist es nicht unbedingt besser geworden. (lacht)
spoxSPOX: Wie schwer fiel Ihnen die Gewöhnung an die neue Umgebung in diesem jungen Alter?
Idrissou: Auch das empfand ich nicht als problematisch. Die erste Reise dorthin blieb mir eher im Gedächtnis, denn ich saß zum allerersten Mal in einem Flugzeug. Das war für mich schon der Wahnsinn. Als kleines Kind habe ich immer zum Himmel hochgeschaut und die Flugzeuge beobachtet. Ich dachte aber, dass ich selbst niemals in einem solchen Ding da oben sitzen werde. Anschließend bin ich alle sechs Monate nach Hause geflogen. Natürlich wurde dann auch viel geweint, wenn wir uns gesehen und verabschiedet haben.
Idrissou über seinen verstorbenen Vater und den Wechsel nach Deutschland
SPOX: Hat Ihnen Ihr Vater damals gefehlt?
Idrissou: Ich weiß, was Sie meinen und manchmal habe ich auch daran gedacht, aber andererseits kenne ich es ja nicht anders. Ich kenne ihn nur von Fotos. Meine Mutter hat die ganzen Bilder von ihm bis heute vor uns versteckt, weil sie einfach nicht damit klar kommt, wenn wir über ihn reden. Wenn wir Bilder von ihm anschauen möchten, gehen wir zu unserer Oma. Immer, wenn ich ihn auf einem Foto sehe, weiß ich, dass er ein Teil von mir ist.
SPOX: Sie haben einmal gesagt, dass der Fußball Sie gerettet habe, weil Ihr Leben in Kamerun wohl vollkommen anders verlaufen wäre.
Idrissou: Ich habe ja gar keinen Abschluss oder irgendwelche Zeugnisse. So könnte ich in Kamerun kaum eine Ausbildung oder Arbeit finden. Ich brach die Schule in Kamerun für die Fußballschule in Strasbourg ab. Dort schloss ich meine Fußballausbildung zwar mit einer Art Diplom und der Note 1 ab, aber damit hätte ich mich im Grunde nirgends bewerben können. Ich habe alles auf die Karte Fußball gesetzt. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass sich dieses Risiko, das ich ja gar nicht als solches wirklich wahrgenommen habe, gelohnt hat.
Mohamadou Idrissou: Vereine und Statistiken
Saison | Verein | Spiele (Tore) |
2001 | FSV Frankfurt | 18 (15) |
2001-2002 | SV Wehen | 31 (13) |
2001-2002 | SV Wehen II | 1 (2) |
2002-2006 | Hannover 96 | 64 (13) |
2005 | SM Caen (Leihe) | 0 (0) |
2006-2008 | MSV Duisburg | 45 (8) |
2008-2010 | SC Freiburg | 74 (25) |
2010-2011 | Borussia Mönchengladbach | 33 (5) |
2011-2012 | Eintracht Frankfurt | 26 (14) |
2012-2014 | 1. FC Kaiserslautern | 61 (30) |
2014 | Maccabi Haifa | 5 (0) |
2015 | KF Shkendija | 5 (0) |
2015-2016 | KFC Uerdingen 05 | 22 (9) |
seit 2018 | Union Hallein |
SPOX: In Strasbourg hatten Sie ein paar Einsätze in der zweiten Mannschaft, von den Profis waren Sie aber noch ein Stück entfernt. In der Winterpause 2000/01 wechselten Sie dann nach Deutschland zum damaligen Oberligisten FSV Frankfurt. In 18 Spielen gelangen Ihnen 15 Tore.
Idrissou: Es war mein Kindheitstraum, eines Tages in Deutschland zu landen. In Kamerun hat Deutschland in jeder Hinsicht einen sehr guten Ruf. Das einzige Problem, von dem ich immer hörte, war die Sprache. Ich habe alle Sprachen, die ich spreche, schnell gelernt. Deutsch war aber mit Abstand am schwierigsten. Anfangs kam es mir so vor, als sei es einfacher, ein Flugzeug zu fliegen. (lacht)
SPOX: Beim FSV blieben Sie neun Monate. Sie waren keine zwei Jahre in Deutschland, schon spielten Sie für Hannover 96 in der Bundesliga. Das war nach dem SV Wehen bereits Ihr dritter Klub in Deutschland. Wie erging es Ihnen in der Anfangszeit?
Idrissou: Ich hatte mich ja schon an Europa gewöhnt, daher bin ich in Deutschland eigentlich gleich mit allem klar gekommen. Nur mit einem nicht: Wasser mit Kohlensäure.
Idrissou über die deutsche Sprache und den ersten Besuch seiner Mutter
SPOX: Wie bitte?
Idrissou: Ich wusste nicht, dass es das gibt. In Frankreich gab es immer nur stilles Wasser. Ganz zu Beginn saß ich dann mal mit meinem Berater in einem Restaurant in Frankfurt. Er bestellte Wasser für uns und auf einmal stand dieser Sprudel vor mir. Sie hätten sehen sollen, wie es mir ging, als ich davon getrunken habe. Mein Magen hat verrückt gespielt, ich wäre fast gestorben.
SPOX: Wie haben Sie sich die deutsche Sprache letztlich beigebracht?
Idrissou: Das kam alles mit der Zeit durch meine Mitspieler. Aber nicht durch Tomas Oral, der in Frankfurt mein Trainer war. Der hat mich anfangs mal verarscht und gemeint, wenn man nach etwas fragen will, muss man am Satzende immer "du Dummkopf" hinzufügen. Das habe ich mir natürlich gemerkt, weil ich dachte, das wäre eine Höflichkeitsformel. In einem Supermarkt habe ich das angewendet. Zum Glück war die Dame schlau genug zu erahnen, dass mir das wohl irgendjemand eingeredet hat und ich selbst keine Ahnung hatte, was es eigentlich bedeutet.
imagoSPOX: Unterricht haben Sie also nie genommen?
Idrissou: Nein. In Frankfurt gab es damals eine riesige Shoppingmall für die US-Militärs. Einer meiner Mitspieler hat dort gearbeitet und mir gesagt, dass es da tolle Sprachbücher gibt. Englisch-Deutsch und Französisch-Deutsch habe ich mir gekauft und in meiner Freizeit gelernt. Als ich 2006 in Duisburg spielte, lernte ich den Sohn eines Universitätsprofessors kennen. Er war Dolmetscher und durch ihn bekam ich auch Hilfe. Es hat eine Zeit lang gedauert, aber es ging gleich in die richtige Richtung und ich bin immer besser geworden.
SPOX: Wann haben Sie das erste Mal Ihre Mutter nach Deutschland geholt?
Idrissou: Erst als ich zwischen 2002 und 2006 in Hannover spielte. Ich hatte dort mein erstes Haus gebaut, das wollte ich ihr natürlich unbedingt zeigen. Sie kam allerdings im Januar und wäre fast erfroren. Ihr war völlig unverständlich, wie ich in diesem Klima überleben konnte. (lacht) Sie hat sich dann erkältet und meinte vor dem Rückflug: Einmal und nie wieder. Nach drei Jahren konnte ich sie aber noch einmal überreden. Da war es April und deutlich wärmer, aber ihr war das immer noch zu kalt.
SPOX: In Hannover sind Sie Nationalspieler geworden, 2003 kamen Sie zu Ihrem Debüt für Kamerun. Das ging alles ziemlich rasant, oder?
Idrissou: Absolut. So glücklich wie damals war ich als Sportler nie wieder. Für die Nationalelf zu spielen, war ein Traum, der in Straßburg noch vollkommen utopisch war. Auf einmal werde ich zum Confed Cup eingeladen, bin dort auf Anhieb Stammspieler und die Mannschaft zieht ins Finale ein.
SPOX: Das stand leider unter traurigen Vorzeichen. Im Halbfinale gegen Kolumbien brach Ihr Mitspieler Marc-Vivien Foe auf dem Spielfeld zusammen und starb später im Krankenhaus. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Idrissou: Es ist bis heute sehr tragisch und extrem traurig. Er war der Kopf des Teams und von Anfang an für mich da. Er hat mich im Nationalteam integriert und protegiert, in der Kabine durfte ich mich neben ihn setzen. Ich weiß noch, wie er nach ein paar Tagen zu mir kam und meinte: 'Mo, du bist jetzt unser Spieler. Wir alle sind gut, aber du bist der Schnellste und spielst nicht blind, sondern du weißt immer, was du machst. Und das hat die Mannschaft gebraucht.' Für mich war sein Tod ein Weltuntergang.
SPOX: Hatten Sie daran gedacht, dass Finale gar nicht zu spielen?
Idrissou: Im ersten Moment wollte ich unter keinen Umständen auflaufen. Ich wollte nur noch nach Hause. Ich bin auch tatsächlich abgehauen.
imagoSPOX: Wohin?
Idrissou: Ich war so fertig, dass ich schon am Flughafen stand - aber ich hatte meinen Ausweis nicht dabei. Sie haben mich dann sozusagen wieder eingefangen. Foes Familie kam in unser Hotel und sprach unter Tränen zu uns, dass wir bitte für ihn spielen sollen und er das auch so gewollt hätte. Da war ich fix und fertig. Rigobert Song und er waren für mich wie Ziehväter.
SPOX: Gerade bei den Turnieren gab es häufig Schlagzeilen um Disziplinlosigkeiten rund um das Team. Was war da los?
Idrissou: Durch die Zeit in Deutschland fiel mir das sofort auf und hat mich sehr geärgert. Wenn ich um 10.30 Uhr Training hatte, waren alle schon eine halbe Stunde früher da. So lief es für meine Nationalmannschaftskollegen auch in ihren Klubs. Sobald sie aber eine Einladung fürs Nationalteam erhielten, haben sie eine andere Einstellung an den Tag gelegt. Da kamen manche einen ganzen Tag später und dachten, sie machen hier schnell ein Training mit und spielen dann auch. Der Höhepunkt war dann der Afrika Cup 2008.
Idrissou über Disziplinlosigkeiten in Kameruns Nationalteam
SPOX: Erzählen Sie.
Idrissou: Wir haben in der Gruppenphase mit 2:4 gegen Ägypten verloren und richtig schlecht ausgesehen. Im Finale kam es zum erneuten Duell. Ich dachte, dass wir jetzt alle auf Revanche aus sind, zumal es ja ein Endspiel war. Doch in der Nacht vor der Partie waren ein Teamkollege und ich die einzigen, die auf dem Zimmer blieben. Der Rest der Truppe war irgendwo unterwegs. Manche kamen um 4 Uhr morgens wieder ins Hotel, andere sind um 9 Uhr direkt zum Frühstück angetanzt.
SPOX: Das Finale ging 0:1 verloren.
Idrissou: Und danach sagten alle: da haben wir einfach kein Glück gehabt. So ein Blödsinn. Glück kommt nicht einfach so daher, darum muss man kämpfen und dafür arbeiten. Wer so undiszipliniert ist, der hat auch kein Glück verdient. Mein Traum war es, nur ein Mal das Trikot Kameruns zu tragen. Hätte ich gewusst, was dort nach meinem Debüt noch so alles passiert, wäre ich nie wieder dorthin gegangen. Das war keine Mannschaft mehr wie noch 2003, sondern einfach nur ein Zirkus der Eitelkeiten.
SPOX: Sie traten auch anschließend zurück, standen nach diversen Trainerwechseln aber im Kader der WM 2010. Hatte sich dann etwas verändert?
Idrissou: Nein. Es lief dieselbe Geschichte ab. Alex Song verstand sich nicht mit Samuel Eto'o. Wenn Alex spielte, wollte Eto'o nicht spielen und umgekehrt. Diese Kindergarten-Geschichten drangen aber nicht nach außen, weil sie von erfundenen Gerüchten überdeckt wurden, wonach die Mannschaft ihr Geld nicht rechtzeitig bekäme. Das war eine Lüge. Es ist sowieso ein Märchen, dass alle afrikanischen Fußballverbände in Geldproblemen stecken würden. Da bekommt jeder von der FIFA genug zur Verfügung gestellt. Das ist nicht einmal so viel weniger als das, was europäische Verbände kriegen.
SPOX: Über Duisburg und Freiburg landeten Sie im selben Jahr für eine Saison bei Borussia Mönchengladbach. Sie kamen auf 33 Einsätze, in der nächsten Saison plante Trainer Lucien Favre aber nicht mehr mit Ihnen. Wieso?
Idrissou: Favre ist ein guter Trainer, aber ein linker Mensch. Er hat Probleme, andere Meinungen zu akzeptieren und kann dir seine eigene nicht ins Gesicht sagen. Vor der zweiten Saison hörte ich, dass er nicht mehr auf mich setzen wolle. Sein Sohn ist Spielerberater und Favre hat dann lieber ein paar Spieler von ihm in den Verein geholt. Das hat er jetzt in Nizza mit Dante übrigens auch getan.
Idrissou über sein Problem mit Lucien Favre und eine Erpressung
SPOX: Er hat es Ihnen nicht persönlich mitgeteilt, nicht mehr auf Sie setzen zu wollen?
Idrissou: Nie. Ich habe ihn seitdem auch nicht wieder getroffen. Ich werfe es ihm aber weiterhin vor, dass er nicht so ehrlich war und mir das von Angesicht zu Angesicht gesagt hat. Er hat sich einfach nicht getraut. Und das, obwohl wir immer französisch gesprochen und viel zusammen gelacht haben. Er hat es lieber Max Eberl gesagt, der es dann an meinen Berater weitergetragen hat, so dass ich davon plötzlich im Urlaub erfuhr.
SPOX: Sie heuerten schließlich bei Eintracht Frankfurt an, wo Sie mit 14 Toren in 26 Spielen maßgeblich zum sofortigen Wiederaufstieg in die Bundesliga beigetragen haben. Auch dort zogen Sie nach einer Saison weiter. Weshalb sind Sie nicht mit der SGE in die 1. Liga gegangen und stattdessen zum 1. FC Kaiserslautern in die 2. Liga gewechselt?
Idrissou: Das war ein ähnlicher Fall wie in Gladbach. Es gab aber eine Vorgeschichte: Ich wurde erpresst.
SPOX: Inwiefern?
Idrissou: Ich habe einem Afrikaner 3000 Euro und eines meiner Autos geliehen, weil seine Mutter krank war. Er wollte es mir drei Monate später zurückzahlen. Plötzlich bekam ich drei Tage später einen anonymen Anruf aus Berlin. Da wurde mir gesagt, dass sie mein Auto hätten und der Kofferraum voller Drogen sei. Sie stünden schon mit der Bild-Zeitung im Austausch und wenn ich nicht möchte, dass das öffentlich wird, soll ich ihnen 10.000 Euro zahlen.
SPOX: Und was ist passiert?
Idrissou: Das ist natürlich schnell auch an die Eintracht herangetragen worden. Heribert Bruchhagen sagte mir, er wolle einen solchen Stress nicht im Verein haben. Ich habe erwidert, dass ich nie etwas mit Drogen zu tun hatte und nichts dafür kann, sondern hier gerade schlicht erpresst werde. Er hat das aber nicht gelten lassen und vergaß alles, was ich in der Saison für den Verein geleistet habe. Und so ging das dann zu Ende.