Erst spanischer Pokalsieger mit dem FC Sevilla werden, dann das Nachtleben von Madrid mit ein paar Kumpels unsicher machen: N'Zonzi hatte sich für den späten Abend des 21. Aprils 2018 einen perfekten Plan ausgemalt. Blöd nur, dass schon Teil eins seines Plans gehörig in die Hose ging. N'Zonzi und seine Kameraden kassierten im Estadio Wanda Metropolitano eine 0:5-Klatsche gegen den FC Barcelona.
Es war die höchste nationale Endspiel-Niederlage in der Geschichte des stolzen andalusischen Klubs. Für N'Zonzi stand mit dem Schlusspfiff trotzdem fest: Er musste Teil zwei seines Plans verwirklichen. Schnurstracks und ohne noch einmal vor die Kurve zu gehen, um sich bei den 20.000 mitgereisten Fans zu bedanken, marschierte er in die Katakomben.
Wenige Stunden später hielt er Einzug ins Opium, einer bekannten Nobeldiskothek im Norden der spanischen Hauptstadt. Ganz offensichtlich in dem Glauben, unbemerkt zu bleiben. Ein leichtsinniger Fehler. Schon in den frühen Morgenstunden kursierten Fotos im Netz, die ihn in weiblicher Gesellschaft und mit einem Drink in der Hand beim Feiern zeigten. Die gedemütigte Fangemeinde seines Arbeitgebers reagierte entrüstet. N'Zonzi, wegen seiner starken Leistungen im defensiven Mittelfeld lange Publikumsliebling, wurde übel beschimpft, bis ihn sein Klub noch am Tag nach seinem Fauxpas zu einer öffentlichen Stellungnahme aufforderte.
Steven N'Zonzi feiert nach Finalniederlage: Ärger beim FC Sevilla
"Ich entschuldige mich bei den Sevilla-Fans. Das hätte ich nicht machen dürfen", sagte er in einer Videobotschaft. Gleichzeitig verteidigte sich der Franzose aber auch mit bewegenden Worten. Es gäbe nun einmal "mental schwierige Tage" für einen Fußballprofi, an denen man sich "nicht immer auf den Fußball konzentrieren" könne, sondern auch an seine Gesundheit denken müsse, sagte N'Zonzi. "Nach dem Training", beschrieb der seit 2016 geschiedene Vater seine Situation weiter, "geht es für mich immer direkt nach Hause. Dort lebe ich allein. Dort bin ich allein. Dort habe ich keinen."
N'Zonzi klang fast schon so, als habe er keinen Spaß an seinem Beruf. Das änderte sich spätestens, als ihn Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps drei Wochen nach seinem nächtlichen Ausflug überraschend anstelle von PSG-Star Adrien Rabiot in seinen Kader für die Weltmeisterschaft in Russland berief. Da sprach N'Zonzi erwartungsgemäß von einem "wahr gewordenen Kindheitstraum" anstatt sich über sein eingeschränktes Privatleben als Millionär auszulassen. Und spätestens als er am 15. Juli den goldenen WM-Pokal in den Himmel von Moskau strecken durfte, liebte er dieses Leben wieder.
"Es ist unglaublich, kaum zu realisieren. Heute ist der schönste Tag meiner Karriere", sagte N'Zonzi nach dem 4:2-Triumph über Kroatien, zu dem er selbst einen entscheidenden Anteil beigetragen hatte. Deschamps hatte ihn in der 55. Minute, beim Stand von 2:1, für den mit Gelb vorbelasteten Mittelfeldmotor N'Golo Kante eingewechselt.
Steven N'Zonzi: Frankreichs Ruhepol im WM-Finale
N'Zonzi zahlte es seinem Coach mit einer Zweikampfquote von 100 Prozent zurück. Außerdem beging er kein einziges Foulspiel und brachte 14 von 15 Pässen an seine Mitspieler. "Er ist ein ausgezeichneter Spieler. Trotz seiner Größe ist er technisch sehr stark und ruhig in seinen Aktionen", lobte Deschamps seinen Joker, dem er im November 2017 beim 2:0 gegen Wales erst zu seinem Länderspiel-Debüt verholfen hatte.
Vor zehn Jahren hätten dem 1,96 Meter großen Recken nur die wenigsten eine solche Entwicklung zugetraut. Damals war N'Zonzi mehr ein Mittelfeldtalent von vielen. Er fiel vor allem durch seine Größe auf. Diverse Jugendtrainer verglichen ihn deshalb mit Patrick Vieira. In den französischen U-Nationalmannschaften spielte er trotzdem keine Rolle - wohl auch, weil er zu jener Zeit bei keinem namhaften Verein unter Vertrag stand.
Er machte seine ersten Schritte als Profi in der Ligue B beim SC Amiens, einem Krisen-Klub, mit dem er in seiner Premieren-Saison sogar direkt in die dritte Liga abstieg. Das warf ihn aber nicht zurück. Mit Misserfolgen kannte sich N'Zonzi bereits als Teenager bestens aus.
Rückschläge bei PSG und Amiens: Steven N'Zonzi nicht gut genug?
Mit zehn Jahren war er ins Nachwuchsleistungszentrum von Paris Saint-Germain eingeladen worden. Beim renommierten Hauptstadtklub agierte der hoch veranlagte Rechtsfuß als Mittelstürmer und offensiver Mittelfeldspieler - bis ihm nach drei Jahren mitgeteilt wurde, er sei nicht gut genug.
"Ich muss schon sagen, dass ich damals körperlich sehr schwach war", erzählte N'Zonzi rückblickend dem französischen Magazin So Foot. Durch diese Erfahrung habe er sogar überlegt, den Traum von einer Laufbahn als Profi zu begraben. "Ich war immer ehrgeizig. Aber nach der Zeit bei PSG war es schwierig für mich, weiterzumachen", berichtete N'Zonzi.
Schließlich habe er doch noch "neue Motivation" gefunden und beschlossen, "härter" an sich zu arbeiten. Diese Motivation half ihm später auch, den Abstieg mit Amiens zu überwinden. Sein Vater, der 2009 noch gleichzeitig als sein Berater fungierte, transferierte ihn zu den Blackburn Rovers nach England. Ein waghalsiger Sprung, der N'Zonzi auch vor eine große persönliche Herausforderung stellte.
Ex-Real-Star als Inspiration von Steven N'Zonzi
"Ich verstand nichts von der Sprache. Mein Schulenglisch half mir überhaupt nicht, alle sprachen zu schnell. Und das Essen war Mist", erinnerte er sich später zurück. "Aber Blackburn wollte mich unbedingt. Ich konnte mich an der Seite von großen Spielern weiterentwickeln." Allen voran Michel Salgado, der zur gleichen Zeit wie er von Real Madrid zu den Rovers gekommen war, habe ihm imponiert.
"Er hatte alles bei Real gewonnen und arbeitete trotzdem so akribisch", schwärmte N'Zonzi von dem früheren spanischen Nationalspieler, Salgado sei "eine große Inspiration" gewesen. "Persönlichkeiten wie er stacheln junge Spieler an."
Gleich in seiner ersten Saison in Blackburn wurde N'Zonzi unverzichtbar. Die Fans zeichneten ihn sogar zum Spieler des Jahres aus. In Erinnerung blieb vor allem sein Weitschusstor aus 30 Metern bei einer 2:3-Pleite gegen den FC Everton im April 2010.
Steven N'Zonzi wechselte für 27 Millionen zur AS Rom
2012, nach dem Abstieg der Rovers in die Championship, zog N'Zonzi innerhalb Englands zu Stoke City weiter. Für die Potters absolvierte er insgesamt 120 Spiele und avancierte ebenfalls zum Publikumsliebling.
In der Saison 2014/15 gewann er erneut den Fan-Award. Eine hoch dotierte Vertragsverlängerung lehnte der Defensivspezialist aber ab. Viele Klubs aus England, darunter der FC Arsenal, sollen an ihm interessiert gewesen sein. Er entschied sich letztlich jedoch für einen Wechsel nach Spanien.
Acht Millionen Euro legte der FC Sevilla für ihn auf den Tisch. Eine gut investierte Summe, entwickelte sich N'Zonzi doch schnell zu einem Leistungsträger und gewann 2016 die Europa League. Auch die Sevilla-Fans schlossen den Kämpfer in ihre Herzen - bis zu jener Partynacht in Madrid.
Seine Entschuldigung an die Fans waren N'Zonzis letzte Worte als Sevillano. Nach seiner starken WM lockte ihn ausgerechnet Monchi, der ehemalige Sportdirektor der Andalusier, zur AS Rom. Kostenpunkt: 27 Millionen Euro. In der ewigen Stadt soll N'Zonzi knapp vier Millionen Euro pro Jahr verdienen, berichtet Corriere della Sera. Eine Summe, für die er wohl auch gerne ein paar einsame Tage zu Hause in Kauf nimmt.
Die Leistungsdaten von Steven N'Zonzi im Überblick:
Verein | Spiele | Tore | Vorlagen | Gelbe Karten | Gelb-Rote Karten | Rote Karten |
SC Amiens | 37 | 1 | 4 | 3 | 0 | 0 |
Blackburn Rovers | 96 | 5 | 5 | 18 | 0 | 1 |
Stoke City | 120 | 7 | 4 | 16 | 1 | 1 |
FC Sevilla | 136 | 8 | 7 | 19 | 2 | 1 |
AS Rom | 8 | 1 | 0 | 1 | 0 | 0 |