Die Reise vom Stadtzentrum Istanbuls zum Tabellenführer des Landes dauert 45 Busstationen oder knapp eineinhalb Stunden. Sie führt von der Meeresbucht Goldenes Horn über Autobahnen, durch Plattenbausiedlungen bis nach Basaksehir im Nordwesten der Stadt. In einen neuen, auf dem Reißbrett entworfenen Stadtteil. Einen Stadtteil, der nicht wie Istanbul wirkt. Die Häuser hier sind modern, der Straßenverkehr geregelt und das Ambiente steril.
Es ist Anfang Dezember, windig und kalt. In zwei Stunden steigt das Spiel des Tabellenführers gegen Sivasspor, aber das einzige, was darauf hindeutet, ist das gewaltige Polizeiaufgebot. Die Bewohner von Basaksehir scheinen sich für das Spiel nicht sonderlich zu interessieren. Auch hier halten es die Menschen mit Galatasaray, Fenerbahce oder Besiktas. Der Stadtteil Basaksehir ist kein traditioneller Fußballstandort. Bei der Busstation vor dem Stadion sind drei kleine Lokale und nur unwesentlich mehr Menschen.
"Der Verein hat wenig Anziehungskraft. Basaksehir ist kein Klub, der den anderen Istanbuler Vereinen in Sachen Beliebtheit den Rang ablaufen kann. Aber wie soll er auch beliebt sein?", fragt der Journalist und Experte für türkischen Fußball Fatih Demireli im Gespräch mit SPOX. Erst seit 2014 existiert der Klub in seiner jetzigen Form, aktuell ist er auf dem Weg zum ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte. Hinter dem rasanten Aufstieg der vergangenen Jahre steckt Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan von der türkischen Regierungspartei AKP.
Die Revolution von 2014
Der heutige Klub Basaksehir wurde 1990 vom damaligen Bürgermeister Istanbuls Nurettin Sözen als Betriebsmannschaft der Istanbuler Stadtverwaltung gegründet und hieß zunächst Istanbul Büyüksehir Belediyespor. 2007 stieg der Klub unter Trainer Abdullah Avci erstmals in die Süper Lig auf und spielte fortan vor ein paar hundert Fans im knapp 75.000 Zuschauer fassenden Istanbuler Olympiastadion. Es folgten Jahre im Tabellenmittelfeld, ein Abstieg samt sofortigem Wiederaufstieg 2014 - und dann die Revolution.
Neuer Name, neues Logo, neue Trikots, neues Stadion, neue Spieler, neuer Trainer, neuer Präsident und auf einmal eine erstaunliche Nähe zu Erdogan. Warum? Das weiß man nicht so genau. "Erdogan ist eigentlich Fenerbahce-Fan und kommt aus dem Stadtteil Kasimpasa, wo das Stadion des Klubs nach ihm benannt ist. Woher die große Nähe zu Basaksehir kommt, ist etwas vage", sagt Demireli. "Zwei klare Berührungspunkte gibt es aber: Der Vereinspräsident Göksel Gümüsdag soll mit Erdogans Frau verwandt sein und die Istanbuler Stadtverwaltung ist AKP-geführt."
Seit der Revolution von 2014 ist Erdogan im Klub omnipräsent. Im Eingangsbereich des Vereinsgeländes etwa hängt ein riesiges Porträt. "Es ist normal, dass die Mannschaft mit unserem Staatspräsidenten in Verbindung gebracht wird. Das macht uns glücklich", sagt Präsident Gümüsdag.
Erdogans Rückennummer wird nicht mehr vergeben
Zur Saison 2014/15 übersiedelte der Klub vom Olympiastadion nach Basaksehir und bezog eine neugebaute Arena mit knapp 17.000 Plätzen. Errichtet wurde sie von der Kalyon Grup Holding, die auch an der kontroversen Neugestaltung des zentralen Taksim-Platzes sowie des Baus des weltweit größten Flughafens in Istanbul beteiligt ist. Zwei absolute Prestigeprojekte der Regierung.
Am besten gefüllt war das neue Stadion seit der Eröffnung wohl beim allerersten Spiel. Dabei duellierten sich zwei Mannschaften bestehend aus Ex-Fußballern und anderen Promis, auch Erdogan lief auf. Höchstpersönlich zeichnete er sich für eine epische Aufholjagd mitverantwortlich. Erdogans Team lag zwischenzeitlich mit 0:3 zurück, siegte aber letztlich mit 9:4. Erdogan trug die Nummer 12, die seitdem zu seinen Ehren nicht mehr vergeben wird.