Andreas Ivanschitz im Interview: "Bei Tuchels negativem Feedback muss man sehr stark sein"

Thomas Tuchel und Andreas Ivanschitz arbeiteten beim FSV Mainz 05 von 2009 bis 2013 zusammen.
© getty
Cookie-Einstellungen

Im Sommer 2008 führte Sie dieses Abenteuer zurück nach Österreich: Heim-Europameisterschaft. Welcher Moment des Turniers hat sich bei Ihnen am meisten eingebrannt?

Ivanschitz: Als ich die Mannschaft im ersten Spiel gegen Kroatien als Kapitän aufs Feld führte, habe ich mich um 360 Grad gedreht und nur gedacht: "Wow!" Da bekomme ich heute noch Gänsehaut. Egal, wen man viele Jahre danach fragt, jeder bekommt ein Leuchten in den Augen. Wir wurden damals von der Euphorie getragen, hatten aber leider großes Pech. Der Elfmeter gegen Kroatien, unser Chancenwucher gegen Polen und dann Michael Ballacks Freistoßtor zum 0:1 gegen Deutschland.

Haben Sie von dem Freistoß mal geträumt?

Ivanschitz: Nicht nur einmal.

Von 2009 bis 2013 spielten Sie in Deutschland für den 1. FSV Mainz 05 mit Trainer Thomas Tuchel.

Ivanschitz: Vom Gesamtpaket her war er der beste Trainer, den ich in meiner Karriere hatte. Seine Trainingsgestaltung, Matchvorbereitung und Matchanalyse waren top. Er war unglaublich akribisch, stellte vor dem Training jedes Hütchen selbst auf. Vor allem in seinen ersten Monaten im Amt versprühte er eine unglaubliche Dankbarkeit, dass er diese Chance bekommen hat. Mit seiner Positivität, Fröhlichkeit und Energie hat er uns von der ersten Sekunde an angesteckt.

Bei seinem Abschied von Borussia Dortmund wurden ihm zwischenmenschliche Defizite nachgesagt. Können Sie das nachvollziehen?

Ivanschitz: Ich verstehe jeden Spieler, der Tuchel anstrengend findet. Er ist ein Trainer, der aus Spielersicht sehr unangenehm werden kann - aber nur, weil er ständig möchte, dass man sich verbessert. Wenn er merkt, dass man es im Training auch nur einen Tick langsamer angehen lässt, setzt er sofort kleine Spitzen. Mir persönlich hat das gutgetan, aber man muss mental sehr stark sein, um mit seinem negativen Feedback umgehen zu können und es in positive Energie umzumünzen. Manchen Spielern gelingt das, anderen nicht. Ich habe mich während meiner Zeit mit Tuchel zwar sehr oft über ihn geärgert, aber er hat mich als Spieler und Mensch auf ein höheres Niveau gehoben. Seine direkte Art hat mich an meine griechischen Trainer erinnert, die ähnlich auf Konfrontationskurs gingen.

Thomas Tuchel und Andreas Ivanschitz arbeiteten beim FSV Mainz 05 von 2009 bis 2013 zusammen.
© getty
Thomas Tuchel und Andreas Ivanschitz arbeiteten beim FSV Mainz 05 von 2009 bis 2013 zusammen.

Ein ganz anderes Thema: Musik. Sie haben als Kind in einer Blaskapelle gespielt. Wie kam es dazu?

Ivanschitz: Mein Vater war ein sehr erfolgreicher Musiker und deshalb war mir und meinen beiden Brüdern dieses Talent in die Wiege gelegt. Wir sind gerne zur Schule gegangen, waren begeisterte Fußballer und haben Musikinstrumente gelernt. Das war mein perfektes Dreieck und hat mich von blöden Gedanken abgehalten. Die Blaskapelle war in meiner Heimatgemeinde Baumgarten gesellschaftlich eine super Sache. Da kamen die Leute zusammen.

Blieb Ihnen die Musik während der aktiven Karriere als Fußballer erhalten?

Ivanschitz: Ich habe als Kind Klavier und Oboe gelernt. Als ich mit 13 Jahren nach Wien zu Rapid wechselte, habe ich die Oboe aufgegeben, weil das sonst zu kompliziert geworden wäre. Klavier habe ich aber immer mal wieder gespielt, das kann man nebenbei relativ einfach weiterverfolgen. Manchmal hole ich meine alten Noten heraus, setze mich ans Klavier und spiele einfach drauflos. Dabei kann ich komplett abschalten. Musik ist mir nach wie vor sehr wichtig und ich versuche, das auch auf meine Kinder zu übertragen. Meine Tochter spielt Klavier und mein Sohn Gitarre. Das macht mich stolz und glücklich.

Wie steht es um das fußballerische Talent?

Ivanschitz: Mein Sohn ist sehr talentiert und spielt bei einem Klub in Prag. Er wird bald zwölf und ich denke, dass er auf einem guten Weg ist. Wenn ich beobachte, mit wie viel Freude er Sport und Musik verfolgt, sehe ich viele Parallelen zu meiner Kindheit.

Was sind Ihre prägenden Erinnerungen an Ihre Kindheit?

Ivanschitz: Jeder kam um halb zwei von der Schule heim, hat schnell etwas gegessen und eine halbe Stunde später haben wir uns alle draußen getroffen. Im Sommer spielten wir auf der Straße Fußball. Wenn der Teich im Winter zugefroren war, stand Eishockey auf dem Programm. Als ein Freund von mir mal einen Basketballkorb geschenkt bekam, gab es auch eine Phase, in der wir nur Basketball spielten. Ich hatte eine sehr unbeschwerte Kindheit - das gibt es heute in der Form nicht mehr oft.

Warum?

Ivanschitz: Eltern sind heute viel vorsichtiger, das merke ich auch an mir selbst. Ich habe meinen Eltern damals einfach gesagt, dass ich jetzt mit dem Fahrrad losfahre und das hat sie nicht wirklich gekümmert. Die wussten, dass ich eh nie alleine bin und wir Jungs gegenseitig aufeinander aufpassen. Heute machen sich die meisten Eltern viel mehr Sorgen und möchten alles kontrollieren. Viele Kinder haben aber auch gar nicht mehr das Bedürfnis danach, weil es andere Verlockungen gibt - zum Beispiel Konsolen.

Wie sieht das bei Ihren Kindern aus?

Ivanschitz: Meine Tochter interessiert das gar nicht. Mein Sohn fragt hin und wieder, ob er auf der Xbox FIFA spielen darf, aber das ist alles im Rahmen. Bisher musste ich keine Zeitbegrenzungen setzen.

Haben Sie schon mal gegen ihn gespielt?

Ivanschitz: Ja, aber ich hatte natürlich keine Chance. Mich interessierte FIFA nie. Wenn meine Mitspieler im Trainingslager zockten, saß ich immer daneben und habe zugeschaut.

Andreas Ivanschitz: Seine Karrierestationen und -statistiken

ZeitraumVereinPflichtspieleToreAssists
2000 bis 01/2006SK Rapid Wien1772735
01/2006 bis 08/2006RB Salzburg1316
08/2006 bis 2009Panathinaikos Athen991418
2009 bis 2013FSV Mainz 051132419
2013 bis 2015UD Levante51510
2015 bis 01/2017Seattle Sounders42510
01/2017 bis 2018Viktoria Pilsen1632
Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema