Außerdem erklärt der ehemalige Co-Trainer von Namibias Nationalteam, warum es beim Afrika-Cup keine Starallüren gibt, warum er es gut findet, dass Mannschaften vor dem Turnier streiken und warum afrikanische Torhüter eigentlich besser sein müssten als die Europäer.
Herr Pfannenstiel, mit ihrem Namen verbindet man in Fußball-Deutschland immer das Wort "Weltenbummler". Seit Dezember letzten Jahres sind Sie nun fester Teil des Bundesliga-Establishments und Sportvorstand bei Fortuna Düsseldorf. Überkommt sie nicht manchmal ein gewisses Fernweh?
Pfannenstiel: Nicht wirklich. Ich war acht Jahre in Hoffenheim im Scouting viel unterwegs, aber es waren meist kurze Auslandsaufenthalte. Das ist stufenweise zurückgegangen. Jetzt ist es so, dass ich mal morgens um sechs Uhr nach London fliege und um 15 Uhr wieder zurück bin. Das sind hauptsächlich Kurztrips. Natürlich waren Turniere wie der Afrika-Cup immer etwas Besonderes. Ich war seit 2006 immer live vor Ort als Experte und Co-Kommentator für die BBC oder Eurosport.
Das haben Sie sich trotz Zeitmangel auch dieses Jahr nicht nehmen lassen. Das Eröffnungsspiel zwischen Ägypten und Simbabwe (1:0) haben Sie erneut als Experte und dieses Mal für DAZN kommentiert. Was ist die Faszination dahinter?
Pfannenstiel: Du musst Afrika verstehen, weil einfach vieles anders ist. Gewisse Gepflogenheiten und Gewohnheiten und auch das Grundverständnis unterscheiden sich von Europa. Sachen, die für uns normal sind, sind in Afrika total komisch. Es ist aber genauso umgekehrt.
Das müssen Sie etwas genauer erklären.
Pfannenstiel: Es ist einfach die Art und Weise, wie man miteinander und auch den Dingen umgeht. Das krasseste Beispiel dafür ist der Umgang mit Leben und Tod. Als ich Trainer in Namibia war, kam einer meiner Spieler zum Training und hat geheult wie ein Hund, weil sein kleiner Bruder bei einem Autounfall getötet wurde. Ich wollte ihm einige Tage freigeben, um Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Doch das wollte er nicht und sagte: "Gott nimmt, Gott gibt." Er hat an diesem Tag ganz normal trainiert. Wenn mein Kind oder mein Bruder sterben würde, dann würde ich sicherlich anders reagieren.
Das ist nun aber wirklich ein sehr krasses und schreckliches Beispiel.
Pfannenstiel: Aber keine Seltenheit. Es geht auch darum, wie die Dinge dort gehandhabt werden. Einem Nationalspieler von mir ist am 2. Weihnachtsfeiertag mit einem Beil in den Kopf geschlagen worden. Der wurde getötet, weil er seine Ex-Freundin grüßte. Und trotzdem sage ich: Afrika ist der Kontinent, auf dem eigentlich immer gelacht wird. Du bist immer happy, meistens sind alle glücklich. Und wenn es den Leuten auch noch so dreckig geht, hast du diese gewisse Leichtigkeit.
Auch wenn es um Leben und Tod geht?
Pfannenstiel: Oder Krankheit. HIV war in den Ländern, in denen ich gespielt oder Trainer ausgebildet habe, allgegenwärtig. Die Krankheit von Fußballern und auch in anderen Gesellschaftsschichten ist dort Regel und nicht Ausnahme. Für mich war Afrika immer eine Art Heilung. Wenn irgendjemand größenwahnsinnig wird, bring ihn mal für drei oder vier Tage nach Afrika und lass ihn bei meiner Charity Global United FC mitarbeiten. Mit Kindern, die keine Schuhe haben, nichts zu essen haben, einfach gar nichts haben. Und auf einmal ist alles anders. Da können wir noch sehr viel von den Afrikanern lernen.
Thilo Thielke hat einmal in seinem Buch "Traumfußball" geschrieben, dass der Fußball in Afrika überall sei. Inwiefern deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
Pfannenstiel: Es ist tatsächlich so. Egal, wo du bist, mit irgendwas wird immer gekickt. Ob im Park, auf der Müllkippe, in den Townships oder in den besten Gegenden, mit Bällen aus T-Shirts oder Blechbüchsen auf grausamsten Plätzen, die teilweise mit Glasscherben übersät sind. Das ist faszinierend.
Aber auch nicht sonderlich förderlich für die Entwicklung von jungen Fußballern, oder?
Pfannenstiel: Ich habe mich diesbezüglich mal intensiv mit der Frage beschäftigt, warum afrikanische Torhüter noch nicht ganz auf dem Niveau der Europäer sind.
Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?
Pfannenstiel: Ganz klar, weil die Afrikaner im Jugendbereich auf schlechten Plätzen trainieren, so gut wie ohne Equipment und wenig Infrastruktur. Da fliegst du einmal, aber kein zweites Mal, weil du dann blutest. Diese Entwicklungsphase, in der Torhüter beispielsweise in Deutschland ihr Handwerk bereits lernen, fehlt in Afrika teilweise komplett. Von den körperlichen und athletischen Voraussetzungen her, müssten die afrikanischen Torhüter die Katzen schlechthin sein.
Wie unterscheidet sich die Mentalität der Spieler?
Pfannenstiel: Die Prioritäten sind einfach anders. Was ist wichtig? Da würden die meisten antworten, dass es der Familie gut gehen soll, dass sie eine eigene Wohnung besitzen wollen und dass man für die Zukunft abgesichert ist. Viele meiner ehemaligen Spieler sehen das anders. Es zählt mehr das hier und heute. Statussymbole wie die neuesten Smartphones stehen vor einem Investment in die eigene Zukunft.
Sie sprechen offenbar aus Erfahrung.
Pfannenstiel: Ich war oft bei meinen Spielern zu Hause, um mich in die Jungs hineinzuversetzen. Ich habe immer versucht, meine Spieler zu sensibilisieren. Prioritäten zu schaffen, welche sich auch positiv auf den Fußball auswirken. Es ist für einen Profi deutlich wichtiger, auf einem guten Bett zu schlafen, als den coolsten Flachbildschirm zu besitzen.
Sie sagten einmal, der Afrika Cup sei das letzte große Turnier für Fußballromantiker. Warum?
Pfannenstiel: Du siehst immer noch Sachen, die du bei anderen Fußballereignissen nie sehen wirst. Rustikale Zweikampfführung, unglaubliche Einzelaktionen, mitunter kuriose Schiedsrichterentscheidungen und mit etwas Pech einen noch gar nicht gebauten Trainingsplatz ...
Erzählen Sie.
Pfannenstiel: Bei einem Afrika Cup habe ich Didier Drogba getroffen und gefragt, in welchem Hotel seine Mannschaft sei. Er wusste es nicht, weil das Hotel noch nicht fertiggebaut war, nirgendwo ein Schild mit dem Namen stand und nichts funktionierte.
Gab es da keine Beschwerden?
Pfannenstiel: Wenn diese Spieler mit Chelsea oder sonst irgendeinem Klub unterwegs gewesen wären, hätten sie sich beschwert, wenn das Wasser aus dem Hahn zu wenig Druck gehabt hätte. Wenn die Jungs aber beim Afrika Cup zusammen sind, legen sie keinen Wert auf Luxus. Man singt, tanzt und freut sich. Back to the roots. Das ist Afrika pur und das ist brutal faszinierend.