Thorsten Fink von Vissel Kobe im Interview: "Ich kann Iniesta nicht sagen, du musst um 18.30 Uhr essen"

Von Florian Mesner
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Thorsten Fink arbeitet mittlerweile seit rund zwei Monaten als Trainer des japanischen Erstligisten Vissel Kobe - und damit erstmals außerhalb Europas.

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Im Interview mit SPOX und Goal spricht der gebürtige Dortmunder über sein neues Leben in Asien, verrät, welcher seiner zahlreichen Stars ihn bislang besonders beeindruckt hat und warum es Komplikationen beim gemeinsamen Mannschaftsabendessen gibt.

Zudem äußert sich der 51-Jährige zu seiner großen Bayern-Verbundenheit und kritisiert den öffentlichen Umgang mit FCB-Sportdirektor Hasan Salihamidzic.

Herr Fink, wie bewerten Sie die aktuelle sportliche Situation bei Vissel Kobe mit Platz 15?

Thorsten Fink: Ich denke nicht, dass wir bis zum Ende im Abstiegskampf bleiben. Wir haben noch ein paar gute Spieler gekauft, also bin ich optimistisch. Der Verein hat in den vergangenen 15 Jahren nie besser abgeschnitten als Platz sieben. Es wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht. Das sieht man daran, dass immer wieder Stars geholt wurden, es aber trotzdem nie für oben gereicht hat. Der Verein erkennt aber langsam, was man für längerfristigen Erfolg machen muss.

Und das wäre?

Fink: Wir arbeiten bereits an einem neuen Scouting-System, um eine gute Mischung aus jungen japanischen Spielern und Top-Spielern aus dem Ausland zu finden. Da müssen wir aufpassen und den Charakter genau überprüfen. Wir brauchen keine Spieler, die sich ausruhen wollen und nebenbei gutes Geld verdienen.

Worin liegen die größten Unterschiede zwischen einem japanischen und einem europäischen Stadionbesuch?

Fink: Die Menschen hier kommen gerne ins Stadion, obwohl man nicht immer gewinnt. Das Ganze hat einen sehr familiären Touch. Selbst wenn man verliert wird geklatscht, sofern man alles gegeben hat. Die ganze Atmosphäre ist nicht so aggressiv wie in den meisten europäischen Stadien. Hier ist es eher ein Event, man geht mit der Familie hin, hat Spaß und wird gut unterhalten. Deshalb sind die Leute am Ende auch zufrieden.

Wie würden Sie das Niveau in der J-League einschätzen, könnte ihre Mannschaft beispielsweise in der Bundesliga mithalten?

Fink: Ich glaube, dass wir mit den ganzen Stars Spieler haben, die sich schon in absoluten Top-Ligen bewiesen haben. Die sind zwar teilweise schon etwas älter, aber nach wie vor in sehr guter Verfassung. Es wäre allerdings vermessen zu sagen, dass wir locker in der Bundesliga mitspielen könnten.

Wo liegen in ihrem Team die größten Baustellen?

Fink: Wir hatten in der Abwehr große Probleme, konnten mit Thomas Vermaelen aber einen erfahrenen Mann für die Innenverteidigung verpflichten. Mein Plan ist es, mit sehr viel Ballbesitz offensiv Fußball zu spielen, vom Torhüter bis zum Stürmer. Dafür haben wir jetzt die richtigen Leute.

Vermaelen, Podolski, Iniesta, Villa - die Liste der Stars ist lang bei Vissel Kobe. Welcher Spieler beeindruckt Sie am meisten?

Fink: Schwer beeindruckt war ich tatsächlich von David Villa. Wie man in diesem Alter noch so fit sein kann, ist außergewöhnlich. Er ist ein absoluter Top-Profi. Auch neben dem Platz ist seine Einstellung vorbildlich. Er arbeitet jeden Tag hochprofessionell und versucht, die Mannschaft voranzubringen. Auch Andres Iniesta würde ich hervorheben. Er ist nicht nach Japan gewechselt, um das große Geld zu verdienen, sondern um Erfolg zu haben. Diese Einstellung hat ihn während seiner gesamten Karriere ausgezeichnet und so erfolgreich gemacht.

Was macht Iniesta so besonders?

Fink: Er ist immer bereit, mehr zu geben als die anderen. Obwohl er in seiner Karriere bereits alles erreicht hat, kommt er ohne Starallüren aus. Er will vor allem den jungen Spielern helfen und ist dementsprechend unser Leader. Er ist sehr beliebt im ganzen Verein, auch bei den Mitarbeitern, weil er offen und auf dem Boden geblieben ist. Er hilft, wo er kann, gibt Ratschläge und teilt seine Erfahrungen. Er ist ein toller Kapitän.

Der allgemeine Vorwurf lautet ja oft bei solch bekannten Spielern, dass sie nur wegen des Geldes nach Asien gehen.

Fink: Wenn ich unsere Ausländer betrachte, habe ich diesen Eindruck nicht. Iniesta hätte in China zum Beispiel viel mehr Geld verdienen können. Die Kultur, die Struktur des Vereins und der Plan, in einem fußballbegeisterten Land etwas aufzubauen, hat einen gewissen Reiz. Diese Jungs wollen noch einmal etwas Neues erleben.

Wie kommen Sie denn mit dem Alltag in Kobe zurecht? Einkaufen, die Art zu leben, das Essen...

Fink: Ehre und Respekt spielen in Japan eine sehr große Rolle und das spürt man, sowohl auf der Straße als auch auf dem Rasen. Das gefällt mir sehr. Man muss allerdings offen für neue Dinge sein, sonst wird es problematisch. Es gibt natürlich im Vergleich zu Deutschland Dinge, die hier anders laufen und die einen etwas mehr einschränken. Ein gutes Beispiel ist das gemeinsame Abendessen im Team.

Inwiefern?

Fink: Die Spanier wollen erst um 21 Uhr essen, also sehr spät. Die Japaner hingegen wollen unbedingt schon um 18:30 Uhr essen. Das sind sie gewohnt. Was machst du da als Trainer? Jetzt gibt es eben Abendessen von 18.30 bis 21.30 Uhr. Es ist zwar komisch, dass wir nicht alle gemeinsam essen, aber ich kann Andres oder David nicht sagen: "Du musst um 18.30 Uhr essen, auch wenn du keinen Hunger hast."

Wohnen Sie direkt im Zentrum der Stadt oder lieber etwas außerhalb?

Fink: Ich wohne ungefähr 15 Minuten mit dem Auto vom Zentrum entfernt. Es gibt hier nicht den ganz großen Rummel, aber die Leute erkennen einen natürlich auf der Straße. In meinem Viertel leben viele Europäer und andere Sportler, vor allem Baseball- und Rugby-Spieler, "Rokko Island" nennt sich das. Da fühle ich mich sehr wohl.

Ihre Familie lebt weiterhin in München. Wie schlimm ist Ihr Heimweh?

Fink: Aktuell ist meine Familie für einen Monat zu Besuch, weil meine Jungs in der Schule Sommerferien haben. Wir planen da natürlich frühzeitig, auch im Oktober und Dezember kommen sie noch einmal nach Japan. Bei meinen anderen Stationen wie in Wien oder auf Zypern war meine Familie auch nicht vor Ort, aber da ging das Pendeln natürlich einfacher. Meine Familie kennt das also. Man weiß außerdem als Trainer nie, ob es nach einem halben Jahr schon wieder vorbei ist oder nicht.

Warum zieht Ihre Familie nicht zu Ihnen?

Fink: Wenn man seine Kinder jedes Mal wieder aus ihrem Umfeld reißt, ist das nicht förderlich. Wir überlegen aber gerade jedoch, ob meine Familie nächstes Jahr dauerhaft hierherzieht. Das haben wir aber noch nicht entschieden.

Wie kam es zu Ihrem Engagement bei Vissel Kobe?

Fink: Der Kontakt zum Verein ist über einen Spielerberater entstanden, der früher selbst Spieler war und mit dem ich in Ingolstadt zusammengearbeitet habe, Jaime Braganca. Der hatte einen guten Draht zu Vissel Kobe. Er hat den Verantwortlichen meine Vita vorgestellt. Dann gab es die ersten Gespräche. Die Gespräche fanden mit dem Chef von Rakuten, Hiroshi Mikitani, statt. Der ist unter anderem auch Hauptsponsor des FC Barcelona. So ein Geschäftsmann kennt sich sehr gut aus, der ist nicht blöd, da musste ich Überzeugungsarbeit leisten. Ich habe ihm meine Philosophie vorgestellt. Im Anschluss wurde diese Philosophie ausgewertet: Passt sie zum Verein? Ist es auch das Projekt, das ich will? Das war eine große Herausforderung für mich.

Durch Mikitani gibt es auch eine engere Zusammenarbeit mit dem FC Barcelona.

Fink: Ganz genau, diese Kooperation gibt es seit kurzem.

Wie sieht sie konkret aus?

Fink: Wir haben jetzt erstmals ein Testspiel gegeneinander absolviert. Spanische Trainer kommen nach Japan und umgekehrt, es soll ein enger Austausch stattfinden, was den Nachwuchs angeht, aber auch Dinge wie Leihen von spanischen Spielern zu uns werden zukünftig ein großes Thema. Herr Mikitani pflegt diesen Austausch und den Kontakt sehr. Er ist fasziniert vom Spirit des FC Barcelona, der Art des Fußballs und möchte das auch bei Vissel Kobe etablieren. Das Ziel ist, in Japan ganz vorne mit dabei zu sein und das nicht mit defensiver Taktik, sondern mit gepflegtem und dominanten Ballbesitz-Fußball.

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