Im Interview mit SPOX und Goal spricht Wolf über den Corona-bedingten Abbruch der belgischen Liga, äußert sich aber auch ausführlich zu seinen Erfahrungen beim VfB und HSV und den dortigen Erwartungshaltungen.
Wolf erzählt von Problemen mit Sportdirektor Michael Reschke in Stuttgart, erklärt seine Absage an den BVB und weshalb er in Hamburg den Wiederaufstieg nicht schaffte.
Herr Wolf, seit Mitte November sind Sie nun Trainer des KRC Genk in Belgien. In der vergangenen Woche wurde die Jupiler Pro League aufgrund der Coronavirus-Pandemie vorzeitig abgebrochen. Sie stehen mit Ihrer Mannschaft auf Rang sieben, punkt- und torgleich mit Platz sechs, der zur Qualifikation für die sogenannten Playoffs 1 gereicht hätte. Wie haben Sie diese Entscheidung aufgenommen?
Hannes Wolf: Sportlich gesehen ist es schade, weil wir die Europapokalplätze noch angreifen wollten. Im Gesamtkontext ist das aber ein sehr kleines Problem, denn es geht einzig und allein darum, dass wir alle irgendwann sagen können, wir haben das alles gut überstanden. Das wünsche ich mir für den Fußball, vor allem aber für die vielen anderen betroffenen Lebensbereiche.
Rein sportlich gesehen wäre es am einzig verbliebenen letzten Spieltag noch ziemlich spannend geworden: Genk hätte mit KV Mechelen ausgerechnet den Sechstplatzierten zu Gast gehabt.
Wolf: Genau, mit einem Heimsieg hätten wir uns qualifiziert. Dann wären die Punkte halbiert worden und der Rückstand auf die Europapokalplätze hätte nur noch drei Zähler betragen.
Wie geht man in Genk mit der Corona-Krise um?
Wolf: Es ist schwierig, weil wir zwischen vielen schlechten Lösungen nach der besten suchen müssen. Alle Spieler, die nach Hause konnten, haben wir zu ihren Familien geschickt. Unseren Jungs aus Ghana, Nigeria, Kolumbien, Brasilien, Australien, Japan und der Elfenbeinküste war dies jedoch nicht möglich. Stellen Sie sich vor: Ein 21-Jähriger, der getrennt von der Familie auf einem anderen Kontinent lebt und ohne soziale Kontakte auskommen muss. Das ist alles andere als einfach. Um sie kümmern wir uns nun bestmöglich, wir haben auch bereits wieder mit individuellem Training begonnen.
Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass Sie beim letztjährigen belgischen Meister übernommen haben?
Wolf: Ich hatte nach meinen Stationen in Stuttgart und Hamburg verschiedene Optionen, auch aus dem Ausland, und das klare Gefühl, etwas anderes machen zu wollen. Genk hat eine sehr junge Mannschaft und ist ein in sich gesunder und funktionierender Verein. Ein Erstligist, der nicht gegen den Abstieg spielt, sondern den Blick nach oben richtet. Im Sommer wurden sehr viele Spieler verkauft und es gab einen großen Umbruch. Doch hier sind über die Jahre auch immer zahlreiche Spieler deutlich besser geworden. Dazu passte die Nähe zu meiner Heimat Dortmund. Ich trainiere nun zum ersten Mal einen Verein, bei dem das, was sportlich erwartet wird, ungefähr mit dem übereinstimmt, was auch leistbar ist.
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Inwiefern?
Wolf: Ich würde es so beschreiben: In Stuttgart und Hamburg verdienen Fans und Umfeld Fußball a la Bayer Leverkusen oder Borussia Mönchengladbach. Diese Art von Fußball ist dort mit der aktuellen sportlichen Qualität jedoch nicht umsetzbar. Das führt zu einer Diskrepanz zwischen den Erwartungen und dem, was machbar ist.
Welche Art Verein ist Genk im Vergleich dazu?
Wolf: Genk funktioniert insofern anders, weil man nicht Brügge oder Anderlecht ist, die beide allein aus wirtschaftlicher Hinsicht Meister werden müssen, sondern sich eher auf dem Level von Leverkusen oder Gladbach befindet, wenn man es mit Deutschland vergleicht. Der Verein lebt von Spielerverkäufen. Auch jetzt im Winter wurden zwei junge Spieler, die man günstig einkaufte und zu Leistungsträgern entwickelte, für deutlich mehr Geld verkauft. Die Meisterschaft im Vorjahr kam überraschend und entspricht nicht der allgemeinen Erwartungshaltung. Es war trotz des Titels das klare Ziel, in die Playoffs 1 zu kommen. Und das ist einfach eine gesunde Herangehensweise.
Sie haben bereits verraten, dass in Ihrem Vertrag keine Laufzeit vereinbart wurde. Erklären Sie!
Wolf: Es gibt einen Vertrag ohne Laufzeit, aus dem beide Seiten bis zu einem gewissen Moment aussteigen können. Ich war über sieben Jahre in Dortmund und eineinhalb in Stuttgart, was sich vielleicht kurz anhört, es aber für dortige Verhältnisse nicht ist. Hamburg dagegen war kurz. Mein Ziel ist daher natürlich eine langfristige, kontinuierliche Zusammenarbeit. Man sieht aber gerade jetzt in der Corona-Krise, wie schwer es ist, im Leben zu planen.
Belgien gilt zwar als meistgescoutetes Land in Europa, die Liga erfährt europaweit jedoch keine große Aufmerksamkeit. Wie wichtig war Ihnen bei der Zusage der Fakt, dass dort ein anderer Druck herrscht als in Stuttgart und Hamburg?
Wolf: Druck ist immer relativ. (lacht) In Genk kann man mit seiner Philosophie an die Vorsaison anknüpfen, da man Erstligist bleibt und nicht jeden Sommer alles auf links drehen muss. In Stuttgart oder Hamburg wird es genau deshalb schwierig. Denn selbst wenn man erfolgreich ist und in die Bundesliga zurückkehrt, geht man dort eben nicht den Paderborn-Weg, sondern der Anspruch orientiert sich eher beispielsweise an Eintracht Frankfurt.
War beim VfB und HSV aufgrund der Tatsache, wieder zurück in die Bundesliga kommen zu müssen, die Angst vor dem nächsten Scheitern allgegenwärtig?
Wolf: Selbst in meiner Heimatstadt Dortmund erlebe ich viele Leute, die unzufrieden mit dem BVB sind. Wenn du dort aus der Mannschaft diese außergewöhnliche Qualität der Spieler herausnehmen würdest, würde dir in zwölf Wochen der Laden genauso um die Ohren fliegen, weil du den Fußball einfach nicht mehr spielen kannst. Beim BVB kann man der überbordenden Erwartungshaltung aufgrund der Spielerqualität aber gerecht werden - und selbst dort ist es manchmal schwer, obwohl alle so gut sind. In Stuttgart und Hamburg hat man ein Umfeld, das gar nicht so anders ist als das in Dortmund. Doch sie haben keinen Jadon Sancho oder Marco Reus, sondern eben eine andere Kategorie an Spielern. Deshalb ist dort die Unzufriedenheit vorprogrammiert.
Und sie ist dort mit den Jahren zunehmend größer geworden.
Wolf: Weil es in allererster Linie sportliche Themen sind, die aber nach ein paar Wochen nicht mehr sportlich besprochen werden und daher alles überlagern. Genau dann kommen die politischen Themen hinzu, weil du diesen Fußball nicht spielen kannst, der erwartet wird. Das würde in Leverkusen, Gladbach oder sonst wo aber genauso passieren. Der Druck wächst dann massiv an.
Mitte September 2016 kam es recht überraschend, dass Sie in Stuttgart übernommen haben - obwohl Sie zuvor beim BVB drei Jugend-Meisterschaften in Folge feierten. Wie erinnern Sie sich?
Wolf: Ich hatte nach den drei Titeln schon das Gefühl, dass da etwas näherrückt. Als Jan Schindelmeiser angerufen und den Weg mit jungen Spielern skizziert hat, merkte ich schnell, dass das passt. Die Gespräche waren sehr gut, wir haben ein gutes Gefühl füreinander bekommen und das dann innerhalb von ein paar Tagen entschieden. Ich wusste es die ganze Zeit schon, aber gerade im Nachhinein habe ich noch mehr gemerkt, dass das eine ganz besondere Zeit in Stuttgart war.
Was wäre denn Ihr Plan gewesen, hätte es das Angebot aus Stuttgart nicht gegeben?
Wolf: Ich hätte auch für immer beim BVB bleiben können, die Zeit in Dortmund war in jeder Hinsicht überragend. Zumindest die Arbeit als Trainer im Nachwuchsbereich wäre für mich weiter vorstellbar gewesen und ist sie auch jetzt noch. Das ist ein ganz toller Job. Schalkes langjähriger Jugendtrainer Norbert Elgert ist für mich eines der größten Vorbilder im deutschen Fußball.
Hannes Wolf: Seine bisherigen Stationen als Trainer
Zeitraum | Verein |
2005 - 2006 | SG Eintracht Ergste |
2006 - 2009 | ASC 09 Dortmund |
2009 bis 2016 | Borussia Dortmund (U17, U19, U23) |
2016 bis 2018 | VfB Stuttgart |
2018 - 2019 | Hamburger SV |
seit 2019 | KRC Genk |