Breda-Coach Peter Hyballa im Interview: "… dann spielt ein Kießling nicht für Team C, sondern für seine Kultur"

Von Lukas Schranner
Peter Hyballa arbeitete einst als Jugendtrainer von Bayer Leverkusen, dem VfL Wolfsburg und Borussia Dortmund - heute trainiert er den niederländischen Zweitligisten NAC Breda.
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Gibt es ein weiteres Beispiel für einstudierte Trainingsmethoden, die erfolgreich waren?

Hyballa: Ich kann mich noch an Marco Höger erinnern, vor zehn Jahren bei Alemannia Aachen. Es war meine Ansage, den zweiten Ball nach einer Ecke entweder direkt aufs Tor zu knallen oder ihn an den zweiten Pfosten zu chippen. Das war so eine Art Gesetz bei uns. Er hat dann gegen Mainz 05 mit links ein absolutes Traumtor gemacht, weil er einfach draufgehauen hat. Jetzt kann man natürlich sagen, dass das Zufall war. Aber nein! Auch hier haben wir eine Lösung einstudiert.

Wir sprechen aber generell von einem gesunden Mix aus Spielformen und individuellem Coaching?

Hyballa: Es ist die Abwechslung zwischen Spielform und Drilltraining und auch das richtige Coaching, das entscheidend ist. Die beste Datenbank ist und bliebt das Coaching und am Ende des Tages ist auch der Mensch entscheidend. Im Individualtraining kannst du dich mit dem Einzelnen viel mehr beschäftigen. Die Spieler lieben das, weil du als Trainer der zweite Papa von ihnen bist. Und für einige ist man sogar der erste Papa.

Merkt man das an der Reaktion der Spieler?

Hyballa: Wenn du im Individualtraining mit den Jungs sprichst, dann finden die das geil. Aber auch, wenn du sie einmal kritisierst. Das meine ich wiederum mit Ehrlichkeit. Allein mit einer Softy-Pädagogik entwickelst du keinen Spieler mehr weiter. Du musst ganz klare Ansagen machen und dann, wenn du was Gutes und auch was Schlechtes siehst, ihm das sagen und ihm Lösungsmöglichkeiten geben. Das akzeptiert und schätzt jeder Spieler.

Was wiederum löst man dadurch aus?

Hyballa: Ein Spieler gibt einem das immer zurück, wenn er merkt, dass sich der Trainer für jemanden engagiert. Das sieht man nachher auch im Spiel und darum geht es ja. Wenn ein Spieler an das, was ihm der Trainer vermittelt, glaubt, dann geht er für dich durchs Feuer, wenn er das nicht tut, hat man keine Chance. Viele Spieler sagen zu mir, dass das Training bei mir echt attraktiv und geil, aber eben richtig hart war. Das "geil" und "attraktiv" fasst man dann positiv auf und bei "hart" denkt man sich, dass das eher negativ gemeint ist. Aber nein, das drückt auch irgendwo die Liebe eines Spielers aus.

Wo sehen Sie die Zukunft vom individualisierten Training im Profifußball?

Hyballa: Es ist immer das gleiche: Der deutsche Fußball setzt einen Trend, aktuell ist es eben die Individualisierung. Das wird ausgelutscht werden und in zwei, drei Jahren stehen wir wieder an der Bahnstrecke und sagen uns: "Ja, der Einzelne ist richtig gut, aber jetzt ist die Welt egozentrisch und wir sollten mal wieder mehr Turnierformen machen." So wird das dann laufen und am Ende des Tages ist der Mix wichtig. Wenn man den Fokus zu sehr auf Individualtraining und individuelle Apps legt, dann weißt du vielleicht nicht mehr wo dein Mitspieler hinläuft.

Sie sagten es vorhin bereits. Der Mensch hinter dem Fußballer ist Ihnen persönlich ganz wichtig. Wie wichtig sind Ihnen Vier-Augen-Gespräche mit Spielern?

Hyballa: Vier-Augen-Gespräche sind mir super wichtig. Letztendlich ist das die empathische Keimzelle zwischen Trainer und Spieler.

Auf oder neben dem Platz?

Hyballa: Ich mache das gerne spontan. Ich rede mit den Spielern auf dem Platz, weil das die besten Gespräche sind. Klar kann man sie zu sich bestellen und mit ihnen Videoanalyse machen, es kommt aber auch immer auf den Trainertypen an. Wenn man an dem Menschen selbst interessiert ist und über die menschliche Komponente den Spieler verstärken willst, dann kommen automatisch private Fragen.

Als Fußballtrainer kann man allerdings nicht jeden Spieler gleichermaßen in Gesprächen begegnen.

Hyballa: Der Basketballtrainer ist eher der Individualisierungstrainer. Wir Fußballtrainer haben dagegen 25 Spieler. Mit dem einen redest du pro Woche 20-mal, mit dem anderen vielleicht nur einmal oder sogar gar nicht.

Wie gehen Sie an solche Einzelgespräche ran?

Hyballa: Ich wusste immer ganz viel von meinen Spielern. Aber es gibt natürlich auch Trainer, die haben da überhaupt gar kein Talent für und die gehen nur nach positionsspezifischen und taktischen Themen. Ich finde halt, dass man den Spieler riechen muss. Wenn man merkt, dass ein Gespräch sein muss, dann muss man es auch durchführen. Als Trainer braucht man eine Instinktnase dafür und muss auch auf dem Platz das Gespräch suchen.

Was war das imposanteste Vier-Augen-Gespräch, das Sie je geführt haben?

Hyballa: Ich habe kein konkretes im Kopf. Meistens war das Thema Kultur ganz spannend, weil das verbindet. Ich habe zahlreiche Spieler betreut, die verschiedene Nationalitäten hatten. Mit einem etwas schwierigen Spieler, dessen Namen ich nicht nennen will, habe ich sehr schnell über sein Herkunftsland gesprochen, weil ich dort schon war und es ziemlich interessant fand. Und so habe ich Zugang zu ihm bekommen. Bei den Themen Kultur und Familie bekommt man die Akteure eigentlich immer. Als Fußballtrainer erzählst du eine Geschichte, du bist ein Storyteller und genau dann sind die Spieler immer voll da.

Gibt es ein weiteres Beispiel dafür, dass dieses Thema verbindet?

Hyballa: Bei Bayer Leverkusen habe ich einmal ein Experiment gewagt: Ich habe nicht Team A gegen Team B spielen lassen, sondern immer geschaut, was die Heimatvereine der Spieler waren. Dann haben wir Heimatklub von Emir Spahic gegen den von Stefan Kießling gespielt. Und dann schauen die mich an und merken sofort, dass ich mich mit ihnen beschäftigt habe. Und dann spielt ein Stefan Kießling nicht für Team C oder D, sondern für seine eigene Kultur. Und dann sind hochbezahlte Fußballprofis mit einem kleinen Trigger ganz anders. Das sind die kleinen Geheimnisse von erfahrenen Trainern.

Kam es in einem Vier-Augen-Gespräch auch schon einmal zum Streit?

Hyballa: Ja, klar. Ich sage allerdings auch hier keinen Namen. Als Trainer musst du dir schon überlegen, wie du damit umgehst. Mit einem Spieler hatte ich beispielsweise schon einige "Gelbe-Karte-Gespräche" und dann kam eine Szene, auf die ein "Rote-Karte-Gespräch" folgte. Der Spieler ist dann nicht einverstanden und es wird ein bisschen lauter. Das ist dann heutzutage auch mal so.

Was ist für einen Trainer im Umgang mit jungen Spielern oder auch Talenten besonders wichtig?

Hyballa: Die totale Ehrlichkeit. Man muss immer zeigen, dass man Partner ist, aber gleichzeitig auch deutlich und streng sein. Viele Trainer machen in meinen Augen den Fehler, dass sie mit den Spielern befreundet sein wollen. Irgendwie entsteht immer eine Art Freundschaft, gerade mit jungen Spielern, weil man mit ihnen einen Weg mitgehen will. Der Trainer ist für den Spieler zudem wichtig, weil er Spielerkarrieren fördern, aber im Gegensatz dazu auch kaputtmachen kann.

Fehlt heutzutage bei den Talenten das Verständnis dafür, dass noch viel mehr als nur Talent gefragt ist?

Hyballa: Du musst als junger Spieler hart an dir arbeiten, um nach oben zu kommen. Talent ist ein ganz wichtiger Faktor. Das verliebt sein in den Fußball ist aber ein Teil der intrinsischen Motivation, die man heutzutage einfach braucht. Zudem mangelt es an Geduld! Wenn einer heute auf der Bank sitzt, dann ist da immer ein Rattenschwanz aus Eltern und Beratern dran. Da werden dann gleich Gespräche in höheren Instanzen geführt, also über dem Trainer. Die Spieler sind zu schnell beleidigt und sehen alles schlecht, aber eigentlich ziehen sie sich selber aus dieser Verantwortung raus.

Wie kann der Trainer dem gegensteuern?

Hyballa: Ich glaube, dass die richtig guten Trainer es schaffen, dem Spieler zu sagen: "Hey, du bist dran. Ich bin nur eine Hilfestellung. Du musst den Sprint ziehen, du musst den Kopfball gewinnen." Ich als Trainer kann dem Spieler nur mit Übungen, Coaching, Liebe und einer gewissen Strenge helfen. Den Weg muss der Spieler jedoch selbst gehen.

Wie bewerten Sie die fußballerische Ausbildung in Nachwuchsleistungszentren?

Hyballa: Generell gut. Ich glaube, dass jedes NLZ sehr gut arbeiten möchte und auch alles dafür tut. Die Jungs bekommen dort eine sehr gute Förderung und das Positive ist natürlich, dass Kinder und Jugendliche ihrem großen Hobby nachgehen können und durch Turniere und Vergleich oft die halbe Welt sehen. Pädagogisch gesehen kommen sie mit vielen Gleichaltrigen zusammen und erlernen dabei auch eine gewisse Empathie, Disziplin und Höflichkeit. Und man hat die Chance, Millionär zu werden. Punkt. Das hat man nicht, wenn man Religionspädagogik an der Uni studiert.

Sie sind jedoch auch jemand, der Kritik an der aktuellen Trainergeneration ausübt. Inwiefern zeigt sich das im NLZ?

Hyballa: Die jungen Trainer dort haben überhaupt noch keine Lebenserfahrung. Du brauchst da auch alte und erfahrene Haudegen, Leute, die beispielsweise nicht wissen, wo die Enter-Taste auf dem Laptop ist. Und Leute, die einen Jungen knuffeln und in den Arsch treten können. Das ist das, was ich aktuell kritisieren muss, dass sehr viele Studenten dort arbeiten. Die ganzen 20-Jährigen sind sogar teilweise ein wenig arrogant und denken, sie wären eine Kombination aus Jose Mourinho und Pep Guardiola.

In der NLZ-Förderung prasselt auch hoher Druck auf die Jungs ein.

Hyballa: Viel Druck ist es auf jeden Fall, nur der Spieler muss irgendwie damit umgehen können. Ich glaube, man kann das Rad nicht mehr groß neu erfinden und mal ehrlich: Mit dreimal Training pro Woche wirst du wahrscheinlich nicht oben ankommen. Das NLZ ist im Endeffekt nichts anderes als eine Produktionsprofistätte, die Trainer müssen die Spieler oben abliefern. Aber mittlerweile gibt es in Nachwuchsleistungszentren so viele Mitarbeiter, vergleichbar mit einer Großküche. Jeder will sein Gewürz in die Suppe reinstreuen. So geht der Instinkt der Spieler verloren.

Wie könnten dort wieder einzigartigere Spielertypen gefördert werden?

Hyballa: Ich finde, dass jedes NLZ irgendwie gleich ist. Deswegen kommen auch so viele gleiche Spieler raus, weil jeder, der irgendwie ein bisschen anders ist, gleich blöd angesehen wird. Gerade diese Andersartigkeit braucht jedes NLZ in Form von verschiedenen Typen aus unterschiedlichen Nationen. Du brauchst den Gangster, den Schlauen, den Millionärssohn, den Deutschen, den Ausländer, den Flüchtling oder auch den Straßenjungen. Dadurch entstehen auch unterschiedliche und besondere Spielertypen.

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