Tomislav Stipic von Slaven Belupo im Interview: "Hoffenheims Idee war, dass Nagelsmann mein Co-Trainer wird"

Tomislav Stipic spricht im SPOX-Interview unter anderem über eine verhängnisvolle Suppe.
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Haben Sie dann nicht auf ein eigenes Trainerteam gepocht?

Stipic: Natürlich, doch der Wunsch wurde abgelehnt. Stattdessen holte man das chinesische Trainerteam zurück, das wegen uns zuvor gefeuert wurde. Doch aufgrund ihres dadurch erlittenen Gesichtsverlustes, der für alle Chinesen eine der größtmöglichen gesellschaftlichen Ächtungen ist, konnten sie kein Vertrauen zu mir aufbauen und haben lediglich Dienst nach Vorschrift gemacht. Für sie war ich sozusagen der letzte böse Deutsche. Ich wurde bei jeder Besprechung, jeder Trainingseinheit und jedem Spielergespräch gefilmt. So häuften sie sich nach und nach das Wissen an, das nötig war, um die Mannschaft nach meinem Aus mit den von mir implementierten Methoden zu übernehmen. Sie haben dann auch den vorherigen Cheftrainer reaktiviert.

Wie erfuhren Sie schließlich von Ihrer Entlassung?

Stipic: Nach dem einzigen Spiel hat mich der Präsident zu einer Teezeremonie eingeladen. Er meinte, dass mich das chinesische Trainerteam nicht akzeptieren würde, er mir diese unangenehme Situation ersparen und Ruhe im Verein haben möchte. Er versprach, mich auszuzahlen und mein Freund zu bleiben. Das Gespräch dauerte nur zehn Minuten - und kurz darauf bin ich zurück nach Deutschland geflogen.

Sind Sie sich da zwischenzeitlich nicht vorgekommen wie im falschen Film?

Stipic: Was mir Spaß gemacht hat, war zu merken, dass wir durch unsere Arbeit ganz schnell große sportliche Schritte gemacht haben. Ich konnte die Spieler mit meinem Wissen gewinnen und für das gemeinsame Ziel begeistern. Diese Rückmeldung habe ich stets bekommen. Natürlich lag ich aber häufig im Bett und dachte: Was zum Teufel machst du hier in China, du gehörst eigentlich woanders hin? Ich wollte aber durchhalten und nicht aufgeben, auch wenn das leichter gesagt war als getan.

Sie haben die chinesische Kultur angesprochen. Wie haben Sie sie wahrgenommen?

Stipic: Man hört dort gut zu und beobachtet sehr viel. Man ist uns von der mentalen Belastungsfähigkeit und der Art und Weise, mit Druck umzugehen, überlegen. Wenn man dort zum Kaffee eingeladen wird, sollte man davon ausgehen, dass einem nicht die Wahrheit gesagt wird. Lädt man Sie jedoch zu einer Teezeremonie ein, dann ist klar, dass Sie als Mensch, als Freund, als Fachmann geschätzt werden und man ehrlich zu Ihnen ist. Ganz wichtig ist dabei die Sitzordnung, die den Stellenwert des Einzelnen in der Hierarchie abbildet. Wer wo sitzt, ist ganz entscheidend.

Stipic löffelte Suppen mit Schlangen und Hunden

Gibt es eine Anekdote, die Sie hinsichtlich dieser gesellschaftlichen Abläufe beeindruckt hat?

Stipic: Ich war mit unserem Präsidenten in einem Restaurant essen. Als wir fertig waren, kam plötzlich ein tätowierter, gepiercter Typ fast ohne Zähne und mit zahlreichen Narben am Körper an den Tisch, setzte sich dazu und redete auf den Präsidenten ein. Er hat nichts anderes gemacht als zuzuhören. Nach einer Stunde ist der Kerl aufgestanden, bekam Bargeld zugesteckt und ging. Daraufhin habe ich den Präsidenten gefragt, was das jetzt war. Er sagte, dass er diesen Typen sozusagen bestellt hat, damit er ihm von Gewalt, Sex, Drogen und allem Verruchten im Leben erzählt. Ihm ging es darum, sein inneres Ich und die eigenen Sehnsüchte zu befriedigen und dadurch nicht in Versuchung zu kommen, dasselbe tun zu wollen. Er meinte, alle Menschen hätten eine gute und eine schlechte Seite, die jeweils befriedigt werden müssen.

Und wo haben Sie einmal aufgrund der kulturellen Unterschiede ins Klo gegriffen?

Stipic: Nicht ins Klo, sondern in den Suppenbehälter. (lacht) Nach einer Trainingseinheit in Guangzhou bin ich ohne meinen Dolmetscher, der noch beim Duschen war und mir sonst immer gesagt hat, was es zu essen gab, ins Restaurant vorgegangen. Ich goss mir eine Suppe ein und habe sie schnell heruntergelöffelt. Als dann mein Dolmetscher und die Spieler kamen, empfahl ich allen diese gute Hühnersuppe. Daraufhin wurde mir entgegnet, dass das keine Hühnersuppe, sondern eine mit Schlange, Schildkröte und einem unter drei Monate alten Hund war.

Wie bitte?

Stipic: Ich habe es auch nicht geglaubt. Ich ging dann zum Behälter und habe dort tatsächlich den Panzer der Schildkröte und den Kopf des Hundes herausgelöffelt. Ich musste sofort nach draußen rennen und mich übergeben. Ich hasse vor allem Schlangen über alles. Mir war vier Tage lang schlecht und ich konnte in dieser Zeit allein wegen des Gedankens, was ich da gegessen habe, nichts mehr zu mir nehmen. Mir war schwindlig, ich hatte ständig Schweißausbrüche und habe acht Kilo abgenommen. Es war wie eine psychische Krankheit. Doch die Suppe hatte wirklich brutal gut geschmeckt. (lacht)

Wieso ist dies in Guangzhou und nicht in Nantong passiert?

Stipic: Marco Pezzaiuoli war bei Guangzhou Evergrande, dem besten Verein Chinas, Nachwuchskoordinator und -trainer. Wir sind innerhalb von mehreren Tagen zu Testspielen gegen seine zweite Mannschaft angetreten, die wir allesamt gewonnen haben. Dort ist auch eine unglaubliche Geschichte passiert, die für meinen weiteren Weg als Trainer noch mitentscheidend war.

Marco Pezzaiuoli und Tomislav Stipic während ihrer Zeit als Trainer in China
Marco Pezzaiuoli und Tomislav Stipic während ihrer Zeit als Trainer in China

Ihre Geschichten sind ausgezeichnet, erzählen Sie bitte!

Stipic: Eigentlich hatten wir drei Partien vereinbart, doch Marco wollte am letzten Tag unbedingt noch ein weiteres Mal spielen. Ich hatte aber nur noch sieben Spieler, die sich nach den Belastungen der Vortage erklärt haben, aufzulaufen. Daher hat er mir ein paar Spieler für bestimmte Positionen ausgeliehen. Ich habe sie dann auch dort spielen lassen, während Marco mit seinen besten Akteuren antrat und zur Halbzeit 2:0 führte. Im Laufe des Spiels dachte ich, dass sein Stürmer doch viel besser in der Abwehr aufgehoben wäre. Also habe ich ihn nach hinten und einen seiner geliehenen Außenverteidiger in den Angriff gestellt. Am Ende haben wir 5:4 gewonnen - und seine Spieler haben die Tore erzielt. (lacht) Auf diese Weise haben wir uns kennengelernt. Er hat dann über einen längeren Zeitraum beobachtet, wie ich arbeite. Als er technischer Direktor in Frankfurt wurde, holte er mich als Trainer zur U19 der Eintracht.

Zwischen Ihrem Ende in China und dem Beginn in Frankfurt lag über ein Jahr. Wie haben Sie das Abenteuer in Asien reflektiert?

Stipic: In dieser Phase habe ich sehr viel analysiert und nachgedacht. Man hatte mich als Trainer in eine Schublade gesteckt. Ich hatte das Gefühl, dass man bei mir nur die beiden Abstiege sah, aber nie wirklich im Alltag geschaut hat, wie ich mich sozial verhalte und technisch-taktisch arbeite. Ich habe es meiner Frau zu verdanken, dass ich aus diesem Loch herausgekommen bin.