Als Dries Mertens in der zweiten Liga um seine Karriere kämpfte: Der Klebstoff machte die Sandwiches

Nino Duit
02. Juni 202013:14
Dries Mertens im Trikot von AGOVV Apeldoorn im Oktober 2007.imago images
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Dries Mertens ist heute 33 Jahre alt und geteilter Rekordtorschütze des SSC Neapel - der Sprung in eine erste Liga gelang ihm einst aber erst mit 22. Davor spielte er drei Saisons für den niederländischen Zweitligisten AGOVV Apeldoorn. Zwei Weggefährten erinnern sich an die Zeit, als Mertens um seine Karriere kämpfte.

Für ihn musste Dries Mertens immer eine Ausnahme machen, das weiß Julius Wille noch heute ganz genau. Er konnte sich einfach nicht begeistern für die Spezialität der WGs in der Asselsestraat im Zentrum von Apeldoorn. "Dries hat immer für alle Sandwiches mit frittiertem Hähnchen und Pommes zubereitet", sagt Wille im Gespräch mit SPOX und Goal. "Aber ich habe mich geweigert, das auch nur zu probieren. Mir musste er immer irgendwas anderes machen."

Mertens' Sandwiches waren die kulinarische Begleiterscheinung von langen Abenden eines Haufens junger Burschen, die sich alle ins Städtchen Apeldoorn verirrt hatten, um für den lokalen Klub AGOVV Apeldoorn in der zweiten niederländischen Liga Fußball zu spielen. 18, 19, 20, 21 Jahre waren sie damals alt und sie alle träumten von der großen Profi-Karriere.

Diejenigen, die nicht aus der Gegend kamen oder eigene Wohnungen hatten, brachte der Klub in der Asselsestraat in WGs unter. Mertens wohnte hier genau wie vier belgische Landsleute. Darunter Nacer Chadli, heute beim RSC Anderlecht unter Vertrag und auch Mertens' Kollege in der belgischen Nationalmannschaft.

"Diese WGs waren neben dem Trainingsgelände der zweite Gemeinschaftsort für die ganze Mannschaft. Dort haben sich alle willkommen gefühlt", erinnert sich Wille, der bei seinem Teamkollegen oft zu Besuch war. "Wir haben Karten oder Playstation gespielt, Musik gehört oder einfach nur geredet. Wenn es spät wurde, haben viele Spieler danach auf dem Boden auf Matratzen übernachtet."

Dries Mertens: Älter als sein Körper

Mertens kam im Sommer 2006 nach Apeldoorn, 19 Jahre war er damals bereits alt. In einer Zeit, in der die größten Talente meist schon als Teenager Stammspieler bei Weltklubs sind, muss man sagen: Mertens kam als Gescheiterter. Er hatte im Nachwuchs von Anderlecht gespielt, doch mit 16 musste er gehen. Zu klein, zu schmächtig. Dann bekam er eine Chance bei der KAA Gent, doch mit 18 musste er erneut gehen. Wieder: Zu klein, zu schmächtig. "Als 18-Jähriger hatte ich den Körper eines 15-Jährigen", gab Mertens später zu.

Fortan stürmte er zunächst per Leihe bei einem belgischen Drittligisten mit dem durchaus lustigen Namen SC Eendracht Aalst, dann ging er nach Apeldoorn. Es sollte der Ort werden, in dem aus einem Burschen ein Mann wurde. Für Mertens war es der perfekte Karriereschritt.

Weil er vermeintlich zu klein und zu schmächtig war, musste Dries Mertens einst die Nachwuchsabteilungen des RSC Anderlecht und der KAA Gent verlassen.imago images

Dries Mertens' Anfänge bei AGOVV Apeldoorn

Gleich in seiner ersten Saison erkämpfte er sich einen Stammplatz - das Talent war für alle sichtbar, aber es mangelte ihm an Effektivität: Zwei Tore, kein Assist. Und für seine Mannschaft lief es nicht besser. Apeldoorn wurde Tabellenletzter, musste aber immerhin nicht absteigen, weil es in der zweiten niederländischen Liga damals keine Absteiger gab.

Koen Garritsen spielte in jener Saison für Apeldoorns Ligarivalen Fortuna Sittard. Beim direkten Duell fiel ihm der 18-Jährige im Körper eines 15-Jährigen direkt auf. "Er war ein unfassbar kleiner Kerl, aber gleichzeitig der schnellste Spieler, den ich je gesehen habe. Seine erste Ballberührung war unfassbar. Man hatte immer das Gefühl, dass er genau wusste, was er mit dem Ball machen will, noch bevor er ihn überhaupt bekommen hat", erinnert sich Garritsen im Gespräch mit SPOX und Goal. "Am meisten beeindruckt haben mich aber seine Richtungswechsel. Während ich mich im Zweikampf noch wie ein Elefant gedreht habe, war er schon längst vorbei."

Dries Mertens wurde mit 21 Kapitän

In der darauffolgenden Saison musste sich Garritsen zwar öfter wie ein Elefant fühlen, aber immerhin nicht mehr bei Pflichtspielen, sondern lediglich bei Trainingseinheiten: Im Sommer 2007 wechselte er nach Apeldoorn. Genau wie Wille, der damals aus der Jugendabteilung von Twente Enschede kam. Ihr erster Bezugspunkt in Apeldoorn: Natürlich Mertens!

"Er ist auf die Neuzugänge immer direkt zugegangen, hat sie integriert und zu Team-Aktivitäten eingeladen. Schon in diesem jungen Alter hat er es als seine Aufgabe gesehen, die Mannschaft zusammenzuhalten", erinnert sich Wille. "Dries hat viel herumgescherzt, viel gelacht und entscheidend dabei geholfen, dass wir nicht nur Teamkollegen, sondern auch Freunde waren." Und wenn es half, erfüllte Mertens in den Asselsestraat-WGs eben Sandwich-Extrawünsche.

Wichtig war Mertens für die Mannschaft auch wegen seiner Fremdsprachenkenntnisse: Als gebürtiger Flame spricht er sowohl niederländisch als auch französisch. "Dries war der Übersetzer und damit der Klebstoff zwischen uns Niederländern und den französischsprachigen Belgiern in der Mannschaft", sagt Garritsen. All das führte dazu, dass Mertens zu Beginn seiner dritten Saison in Apeldoorn mit nur 21 Jahren zum Kapitän ernannt wurde.

imago images

Dries Mertens' Sprung in die erste Liga

Zu diesem Zeitpunkt rechtfertigten das aber nicht mehr nur seine Charakterzüge und Fremdsprachenkenntnisse, sondern auch seine sportlichen Leistungen. Nach der durchwachsenen Premierensaison gelangen Mertens in der zweiten bereits 21 Scorerpunkte. Das lag vor allem daran, dass sein Körper auf einmal schneller alterte. Beziehungsweise: Dass Mertens seinen Körper schneller altern ließ, indem er viel Muskeltraining machte und an seinem Durchsetzungsvermögen arbeitete. Er war zwar immer noch nur 1,69 Meter groß, nun jedoch immerhin breiter.

"Am Anfang landete er bei vielen Duellen auf dem Boden, aber mit der Zeit wurde er stabiler und stabiler. Als er gelernt hatte, seinen Körper richtig einzusetzen, war er nicht mehr aufzuhalten", sagt Wille. In seiner dritten Saison bestätigte Mertens seine Leistungen aus der vorherigen - und bekam daraufhin erstmals die Chance, sich in einer ersten Liga zu beweisen. Rund 600.000 Euro bezahlte der FC Utrecht für den damals 22-jährigen Mertens.

Mit seiner Karriere überraschte sich Dries Mertens nicht

"Er selbst war immer absolut überzeugt davon, dass er eine große Karriere machen wird", erinnert sich Wille. "Und wir alle wussten es auch. Keiner von uns war überrascht." Keiner war überrascht, dass Mertens bei Utrecht überzeugte und daraufhin für die belgische Nationalmannschaft debütierte. Keiner war überrascht, dass er auch bei seiner darauffolgenden Station PSV Eindhoven einschlug und nach seinem Wechsel 2013 beim SSC Neapel.

2013 war das Jahr, in dem AGOVV Apeldoorn sein 100-jähriges Bestehen feierte - und zeitgleich insolvent ging. Der Klub, bei dem Mertens der Durchbruch im Profifußball gelang, spielt seitdem nur mehr in Amateurligen. Mertens selbst trifft unterdessen für Neapel und trifft und trifft. Mit aktuell 121 Pflichtspieltoren ist er gemeinsam mit Marek Hamsik Rekordtorschütze.

Dries Mertens: Karrierestationen und Statistiken

ZeitraumKlubSpieleToreAssists
2006 bis 2009AGOVV Apeldoorn (2. Liga)1113114
2009 bis 2011FC Utrecht862134
2011 bis 2013PSV Eindhoven884543
seit 2013SSC Neapel31112173