Frank Wormuth im Interview: "Ich habe nur darauf gewartet, dass ich Nagelsmann helfen kann"

"Julian war schon damals ein überragender Kicker, seine Einstellung bei uns fand ich aber nicht so überragend": U20-Bundestrainer Frank Wormuth bei der WM 2015 in Neuseeland mit Julian Brandt.
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Wie lange dauert die Ausbildung eigentlich?

Wormuth: Während meiner Zeit gab es neben diversen Praktika pro Lehrgang 20 Präsenzveranstaltungen, jeweils von Montag bis Mittwoch auf zehn Monate verteilt. Abgesehen von diesen Präsenzveranstaltungen sind wir noch einmal pro Lehrgang auf eine rund zehntägige Analyse-Tour zu einer U17-, U19- oder U21-Europameisterschaft ins Ausland gefahren. Da wurden einerseits Spiele analysiert, es ging aber andererseits auch viel um Teambuilding.

Also wie bei einem Trainingslager.

Wormuth: Genau! Die Trainer hatten bei diesen Trips immer viel Spaß miteinander. In jedem Jahrgang gab es zum Glück immer mindestens einen Kasper, der die anderen angesteckt hat - das hat sich aber nicht nur bei den Trips, sondern auch im Schul-Alltag widergespiegelt. Wenn erwachsene Frauen und Männer in einen Schulverband kommen, fallen sie teilweise in alte Muster zurück und werden wieder zu Kindern. Das ist einfach schön zu sehen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie mit Kreiden und Schwämmen um sich geworfen hätten, aber in unserer heutigen digitalen Lernwelt ist das natürlich nicht mehr möglich.

Wer ist Ihnen diesbezüglich in Erinnerung geblieben?

Wormuth: Mehmet Scholl. Mit ihm war es immer besonders lustig.

In den vergangenen Jahren äußerte Scholl wiederholt harte Kritik an den der aktuellen Trainergeneration und erfand dafür den eher abschätzig gemeinten Begriff "Laptop-Trainer".

Wormuth: Mehmet hat zwei Seiten: Einerseits ist er ein sehr angenehmer und bodenständiger Kumpeltyp, mit dem man immer Spaß hat. Andererseits muss er seinem Beruf als Experte nachkommen und für seine jeweiligen Auftraggeber Dinge sagen oder schreiben, die Schlagzeilen schaffen - und wir Deutsche hören und lesen eben lieber Kritik als Lob. Wenn Mehmet nur loben würde, wäre er seinen Job los. Mit dem Begriff "Laptop-Trainer" hat er sich jedenfalls geschichtlich verewigt. Neulich kam sogar hier in den Niederlanden jemand auf mich zu und wollte wissen, was damit genau gemeint sei. Da musste ich loslachen und sofort an Mehmet denken. Wenn das Wort aufkommt, sage ich als erstes immer: "Wissen Sie, dass das Mehmet Scholl erfunden hat?"

Gibt es einen Trainer, dessen Weiterentwicklung Sie während eines Lehrganges ganz besonders beeindruckt hat?

Wormuth: Ja, aber dessen Namen möchte ich nicht nennen. Er ging die Sache mit sehr großem Selbstvertrauen an und hat geglaubt, alles zu wissen. Daraufhin habe ich ihn ein bisschen auseinandergenommen. Wie schlimm das bei ihm angekommen ist, war mir gar nicht bewusst. Nach dem Lehrgang ist er auf mich zugekommen und hat mir gesagt, dass in jenem Moment sein Fußball-Weltbild zusammengebrochen, im Laufe des Lehrgangs danach aber Stück für Stück wieder neu aufgebaut worden sei. Das habe ihn nach seinen eigenen Worten zu einem besseren Trainer gemacht. Wenn ich knallhart analysiert habe, war das immer eine Gratwanderung.

Bitten Sie ehemalige Studenten nach dem Abschluss manchmal um Rat?

Wormuth: Ganz selten, aber an eine Situation kann ich mich genau erinnern. Da hat mich ein Trainer, der damals recht weit oben gearbeitet hat, angerufen und gesagt: "Wenn ich mein nächstes Spiel verliere, bin ich weg. Was soll ich tun?" Ich habe ihn gefragt: "Was würdest du machen, wenn du diese Mannschaft jetzt neu übernehmen würdest?" Dann hat er mir verschiedenste Sachen erzählt, woraufhin ich ihm gesagt habe, dass er genau das umsetzen muss. Er sollte sich vorstellen, der neue Trainer dieser Mannschaft zu sein. Er hat das durchgezogen, beim nächsten Spiel ein Unentschieden geholt und seinen Job erst mal behalten. Ein wirkliches Happy End hat die Geschichte aber nicht, denn am Ende der Saison wurde er trotzdem verabschiedet.

Angst vor Niederlagen oder um den Job ist ein großes Thema im Trainerberuf. Wie lässt sich dieser Druck in der Ausbildung simulieren?

Wormuth: Natürlich nur schwer. Ich habe immer versucht Druck aufzubauen, indem ich mein Feedback an einzelnen Studenten vor der ganzen Gruppe und sehr offen, direkt und für manchen Trainer auch hart geübt habe. Damit habe ich mir zwar sicherlich den einen oder anderen Feind gemacht, aber ich wollte in dem Job keine neuen Freunde finden, sondern Trainer bestmöglich ausbilden. Das anonyme Feedback der Trainer nach den Lehrgängen hat mich aber in meinem Weg bestätigt.

Julian Nagelsmann bekam im März 2016 seine Trainerlizenz: links Ausbilder Frank Wormuth, in der Mitte DFB-Sportdirektor Hansi Flick.
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Julian Nagelsmann bekam im März 2016 seine Trainerlizenz: links Ausbilder Frank Wormuth, in der Mitte DFB-Sportdirektor Hansi Flick.

Der aktuell gefragteste ehemalige Student von Ihnen ist wohl Julian Nagelsmann, der 2016 im Alter von 28 Jahren unter Ihnen seinen Fußballlehrer absolvierte. Was haben Sie ihm mitgegeben?

Wormuth: Als Julian zu uns kam, hatte er den Fußball für sich selbst schon entschlüsselt. Ich habe die ganze Zeit nur darauf gewartet, dass ich ihm in irgendeiner Hinsicht helfen kann, noch besser zu werden. Einmal sah ich dann tatsächlich die Chance. Die Situation habe ich heute noch genau vor Augen, es ging um das Anlaufen eines Gegners. Mir ist aufgefallen, dass er einem Spieler mitteilte, dass er beim Anlaufen eines Gegners darauf achten sollte, wie sich ein anderer Gegenspieler in seinem Deckungsschatten bewegt. Anlaufen und gleichzeitig darauf achten, was im Rücken passiert ... naja, da musste ich eingreifen. Wir hatten eine interessante Diskussion zu dem Thema. Er blieb bei seinem Standpunkt, dass der Anlaufende für seinen Deckungsschatten verantwortlich ist. Das kann man so sehen, beurteilte ich aber differenzierter. Das war der einzige Aspekt, bei dem ich ihn hinterfragen konnte.

Nagelsmann wurde mit nur 28 Jahren Cheftrainer der TSG Hoffenheim. Hatten Sie Angst, dass er sich früh verbrennt?

Wormuth: Meiner Meinung nach kommt es bei der Ausübung des Trainerberufs nicht auf das Alter, sondern abgesehen von den Qualitäten vor allem auf die Vorerfahrungen an. Bei Julian hatte ich diesbezüglich aber ohnehin keine Sorge, weil er nie mit der Einstellung "Fußball und sonst nichts" an die Sache rangegangen ist. Mir hat er mal gesagt, dass der Trainerjob zwar seine Leidenschaft sei, er aber auch kein Problem mit einer anderen Betätigung hätte, wenn es nicht mit einer Karriere als Trainer klappen sollte.

Kürzlich meinte Nagelsmann in einem Interview, dass er nach seiner Karriere eine Ausbildung als Tischler in Betracht zieht.

Wormuth: Tatsächlich? Tischler? Das kann ich mir bei ihm eigentlich nicht vorstellen ... wobei, vielleicht doch. Handwerklich ist er sicherlich begabt und ich sehe ihn gerade im Geiste in so einer Latzhose auch schon vor mir. Als gebürtiger Bayer weiß er ja, wie man Lederhosen anzieht. Die sind Latzhosen nicht so unähnlich.

Bevor es soweit ist, wechselt Nagelsmann in diesem Sommer für kolportierte 25 Millionen Euro von RB Leipzig zum FC Bayern München. Ist diese Summe Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?

Wormuth: Da geht es um Angebot und Nachfrage. Warum sollte er nicht für diese Summe wechseln, wenn dem alle Parteien zustimmen? Wir leben in einem kapitalistischen Markt und da wird oft überdimensioniert verhandelt.

"Julian war schon damals ein überragender Kicker, seine Einstellung bei uns fand ich aber nicht so überragend": U20-Bundestrainer Frank Wormuth bei der WM 2015 in Neuseeland mit Julian Brandt.
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"Julian war schon damals ein überragender Kicker, seine Einstellung bei uns fand ich aber nicht so überragend": U20-Bundestrainer Frank Wormuth bei der WM 2015 in Neuseeland mit Julian Brandt.

Während Ihrer Zeit beim DFB haben Sie nicht nur Trainer, sondern auch Spieler ausgebildet, waren von 2010 bis 2016 parallel zur Tätigkeit als Trainer-Ausbilder auch U20-Bundestrainer. Welcher Spieler hat sich unter Ihnen am meisten weiterentwickelt?

Wormuth: Spontan gesagt: Christian Günter. Er zählte damals mit 20 sicherlich nicht zu den besten Spielern meiner Mannschaft, sein Engagement war aber beeindruckend. Er ist marschiert und hat gearbeitet ohne Ende. Christian ist ein toller Mensch, auf den man sich verlassen kann. Ich habe mich wahnsinnig für ihn gefreut, dass er es in den EM-Kader der A-Nationalmannschaft geschafft hat.

Nicht dabei war dagegen Julian Brandt, den Sie einst ebenfalls in Ihrer U20 hatten. Trotz seines großen Talents hat er den absoluten Durchbruch immer noch nicht geschafft. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Wormuth: Julian war schon damals ein überragender Kicker, seine Einstellung bei uns fand ich aber nicht so überragend. Dass er beispielsweise bei der WM in Neuseeland 2015 mitspielen wollte, die Vorbereitungsspiele aber absagte, war mir ein Dorn im Auge. Bei der WM selbst hat er dann leider nicht den Unterschied gemacht. Ich bin von seiner fußballerischen Qualität absolut überzeugt, meine Erfahrung mit ihm war aber nicht gut.

Video: Was Wormuth über Niklas Süle, Antonio Rüdiger und Kevin Volland denkt

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