Auswärtsspiel - die SPOX-Kolumne: Das Land meiner Eltern - warum "Deutsche" in der Türkei so gut funktionieren

Von Fatih Demireli
Mesut Özil spielt seit 2021 bei Fenerbahce.
© imago images

Die Türkei ist seit Jahrzehnten eine beliebte Adresse für deutsch-türkische und deutsche Fußballer. Entweder als Sprungbrett für die Karriere, die ihnen in Deutschland verwehrt blieb oder als zweite Chance für Glücklose. Doch warum klappt es in der Türkei so gut? Eine Spurensuche.

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Baris Özbek ist schnell. Gekonnt überwindet er alle Hürden. Er sprintet, springt, kriecht - alles in einem sehr stabilen Tempo. Sein Gegenspieler kommt nicht einmal ansatzweise mit und als Özbek am Ziel ist und das Duell für sich entscheidet, brüllt er: "Jaaaaaaa!!"

Geschafft. Während Özbek jubelt, sehen ihm Millionen Menschen an ihren Fernsehgeräten zu. Özbek, geboren am 14. September 1986 in Castrop-Rauxel, ist ein Kandidat bei "Survivor", der türkischen Version des Dschungelcamps. Er gehört dem Team "Die Prominenten" an und ist eines seiner bekanntesten Gesichter.

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Diesen Status erlangte der bald 34 Jahre alte Özbek vor allem als Fußball-Profi von Galatasaray. Dort spielte er knapp vier Jahre, wurde Meister und kickte einst sogar unter Frank Rijkaard. Nach Galatasaray reichte es noch für Verträge bei Trabzonspor, Union Berlin, Kayserispor, MSV Duisburg und Karagümrük. Und das genügt, um im erfolgreichsten TV-Format der Türkei in den letzten Jahren als "Prominenter" durchzugehen. Özbek hat prominente Vorgänger. Auch Ümit Karan, Serhat Akin oder Ilhan Mansiz waren schon Kandidaten bei "Survivor". Beliebte Kandidaten.

Wer einen Zusammenhang sucht, landet schnell bei den Wurzeln dieser Spieler. Sie alle kamen einst aus Deutschland in die Türkei, um ihr Fußball-Glück zu finden und wurden teils zu Ikonen ihrer Vereine: Karan bei Galatasaray, Akin bei Fenerbahce, Mansiz bei Besiktas. Einen Status, den sie vorher niemals erreicht hätten - und nun haben sie ihn, bei den größten Klubs des Landes.

Karan kickte auf Amateurniveau bei Türkiyemspor Berlin, bevor er in die Türkei kam. Mansiz hatte mehrere glücklose Anläufe, selbst in der Türkei, bis es dann bei Samsunspor klappte und er zu Besiktas wechselte. Akin war ein ordentliches Talent beim Karlsruher SC, mehr aber nicht.

Der deutsche Fußball kommt gerade recht

Das Quartett samt Özbek ist ein Paradebeispiel, welche Rolle die elterliche Heimat deutsch-türkischer Fußballer spielt. Sie haben eine Exit-Strategie, falls es mit der Karriere in Deutschland nicht funktioniert oder wenn die einst erfolgreiche Karriere ins Stocken gerät. Bei der Ursachenforschung, warum so viele Deutsch-Türken in der Türkei ihr Glück finden, spielt der Qualitätsunterschied der Fußball-Länder sicher eine Rolle.

Vor allem in der Nachwuchsförderung. Sie ist seit Jahren eine der größten Baustellen des türkischen Fußballs. Sie wird von so vielen Klubs so krass vernachlässigt, dass gerade die Profiligen einen dringenden Bedarf an gut ausgebildeten Spielern aus externen Quellen haben.

Da kommt der deutsche Fußball mit seiner Nachwuchsarbeit gerade recht. Nicht nur auf Nationalmannschaftsebene beginnt die frühe Suche nach potenziellen Spielern, sondern auch auf Klubebene. Haben die Spieler in Deutschland keine Perspektive mehr, sind sie für relativ günstiges Geld zu haben und zumindest einmal einen Versuch wert. Özbek, der 2008 für Rot-Weiss Essen in der 2. Liga spielte und mit RWE den Abstieg nicht verhindern konnte, wechselte auf Geheiß von Karl-Heinz Feldkamp zu Galatasaray. Mit dabei: sein Essener Teamkollege Serkan Calik.

Als Galatasaray das Duo bei einer Pressekonferenz vorstellte, brachte es kaum zwei gerade türkische Sätze heraus. "Was heißt nochmal offensiv?", fragte Calik vor laufenden Kameras seinen Kumpel. Beide wurden unter Feldkamp zu wichtigen Größen, Özbek zum Mittelfeldmotor, Calik zur Geheimwaffe im Sturm. Letzterer galt sogar für die Nationalmannschaft der Türkei als heißer Anwärter, doch diverse Verletzungen stoppten den ständigen Aufstieg. Heute ist Calik als Geschäftsmann in Istanbul tätig. Özbek dagegen nutzte seine Popularität und wurde zur TV-Figur.

Hamit Altintop hat vielleicht den größten Sprung gemacht

Möglich, dass Özbek bald auch als Fußball-Experte im TV zu sehen ist. Wie beispielsweise Mustafa Dogan, der erste deutsch-türkische Nationalspieler des DFB. Dogan kommentiert bei beIN Sports Türkei die Spiele der Süper Lig. In einem Land, in dem oft die Emotionen eine große Rolle spielen und in Medien gerne gesehen werden, fällt Dogan durch seine analytische und objektive Herangehensweise auf. Ein Kriterium, das ihm schon als Profi von Besiktas und Fenerbahce oft Vorteile verschafft hat.

Wie auch Hamit Altintop. Der frühere Schalke- und Bayern-Profi hat vielleicht den größten Sprung aller in Deutschland geborener Türken gemacht. Schon als Spieler setzte Altintop immer wieder verbale Nadelstiche, verwies auf die Fehlentwicklungen im türkischen Fußball, machte sich damit aber nicht nur Freunde. Die türkische Fußballseele ist manchmal viel zu stolz. Man weiß, dass man oft weit weg vom eigentlichen Potenzial ist, will das aber nicht hören.

Altintop war immer das Sprachrohr der Kritiker. Heute ist der gebürtige Gelsenkirchener Vorstandsmitglied beim türkischen Fußballverband und kümmert sich vor allem um die Nachwuchsförderung. Das Vertrauen ist groß, dass Altintop großen Einfluss nimmt. Viele Fußball-Fans hoffen, dass er irgendwann Verbandpräsident wird. Es ist zu hören, dass Altintop ehemalige Weggefährten aus Deutschland wie Yildiray Bastürk mit ins Boot geholt hat, um den Prozess der Entwicklung im türkischen Jugendfußball zu beschleunigen.

Hamit Altintop im Gala-Trikot
© getty
Hamit Altintop im Gala-Trikot

Mesut Özils Rolle bleibt abzuwarten

In diese Rolle könnte auch Nuri Sahin wachsen. In Dortmund längst eine Legende, avancierte Sahin in der Türkei - ähnlich wie Altintop - zum Mann der klaren Worte. Gibt es Fehlentwicklungen, spricht sie Sahin an. Auch Sahin, der heute bei Antalyaspor spielt, hat sich damit nicht immer Freunde gemacht, doch langfristig ist der Einfluss wohl groß und je öfter die Probleme angesprochen werden, desto mehr werden sie ernstgenommen.

Welche Rolle Mesut Özil im türkischen Fußball einnimmt, bleibt abzuwarten. Der Weltmeister von 2014 hat ein halbes Jahr Eingewöhnung hinter sich. Am 1. Spieltag der neuen Saison gelang ihm nun auch sein erstes Tor für Fenerbahce. Inzwischen spürt man bei Özil auch, dass das Selbstvertrauen steigt. Özil traut sich öfter vor die Presse, obwohl das nie zur Lieblingsdisziplin des Spielmachers gehörte.

Auch bei Fenerbahce nimmt man wahr, dass Özil im Training lauter wird. Wenn Özil seine Erfahrungen aus vielen Jahren Profi-Fußball in den türkischen Fußball implementiert, könnte das zur Win-Win-Situation werden. Özil hätte seine Berufung gefunden, die Türkei wichtige Erfahrungswerte gesammelt. Wird der Wechsel in die Heimat seiner Eltern zum Erfolg, wäre er der nächste Profi, der die Exit-Strategie "Türkei" vorteilhaft genutzt hat. Und dafür müsste er nicht einmal in den Dschungel.

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