Für Andriy Shevchenko hätte alles ganz anders laufen sollen. Ein triumphales Comeback in dem Land, in dem die ukrainische Ikone nach den erfolgreichen Jahren bei Milan neben dem Legenden-Status im Heimatland das höchste Ansehen genießt - so hatten sich die Fans des FC Genua das erste Spiel unter ihrem neuen Trainer vorgestellt. Doch daraus wurde nichts.
Szenenwechsel: Am Tag nach dem Spiel erinnert sich der gewissenhafte Roma-Trainer Jose Mourinho als Erstes vermutlich weniger an den Sieg als vielmehr bereits an die Dinge, die er sich für den neuen Tag vorgenommen hat.
Ganz oben auf der Liste: Ziemlich teure Fußballschuhe kaufen. Nun gut, das hat er nunmal versprochen. Der Grund für den Schuhkauf ist derselbe wie der für Shevchenkos vermiestes Debüt. Er heißt Felix Afena-Gyan.
Es ist die 74. Minute am 21. November 2021, als das ghanaische Talent beim Stand von 0:0 den Rasen des Stadio Luigi Ferraris in Genua betritt. Es ist der dritte Kurzeinsatz von Afena-Gyan. Als er den Platz wieder verlässt, steht sein Name zweimal auf der Anzeigetafel. 82. und 94. Minute, Endstand 2:0 für die Gäste aus Rom, sein zweites Tor ein traumhafter Distanzschuss. Afena-Gyan hat das Spiel entschieden und ist plötzlich in aller Munde.
Felix Afena-Gyan: Vom Schüler-Fußballer in Ghana zum Matchwinner für Mourinhos Roma
Wer ist dieser 18-Jährige, den nicht nur international, sondern auch ligaintern fast niemand auf dem Zettel hatte und der laut seinem Trainer Mourinho nahezu eine Garantie auf weitere Profi-Einsätze hat? "Tut mir leid für De Rossi und die Primavera-Mannschaft (Zweite Mannschaft, Anm. d. Red.), aber Felix bleibt bei uns", bestimmte der Portugiese nach der Partie.
Die Roma hat das Juwel in erster Linie ihrem Scouting-Team um Morgan De Sanctis zu verdanken. Durch das Kooperationsprojekt "EurAfrica FC Academy" war der Ex-Profi auf Afena-Gyan gestoßen, welcher - man mag es kaum glauben - im Januar 2021 noch Schüler-Fußball in Ghana gespielt hat. Das Talent wurde vom Fleck weg unter Vertrag genommen und bis 2023 an den italienischen Hauptstadtklub gebunden.
Für den Jungen ist die AS Rom kein unbeschriebenes Blatt. Seit dem Champions-League-Viertelfinale 2018, in dem die Römer den großen FC Barcelona nach 1:4-Niederlage im Hinspiel im Rückspiel (3:0) noch bezwangen, ist er Bewunderer des Klubs. Wen er sonst noch bewundert? Seinen neuen Trainer beispielsweise. Den packt er sich nach seinem ersten Treffer und will ihn kaum mehr loslassen.
Afena-Gyan: Rom-Trainer Mourinho muss nun Schuhe kaufen gehen
Auch nach dem Spiel kommt der Ghanaer aus den Mourinho-Lobliedern kaum heraus: "Mourinho ist eine großartige Persönlichkeit, ein großartiger Trainer. Er gibt einem die Motivation, jeden Tag zu lernen. Ich bin froh, dass er da ist." Afena-Gyan zeigt sich dankbar für die Chance, die er erhalten hat und weiterhin erhält: "Heute wurde mein Traum wahr. Es war mein erstes Tor, darauf habe ich lange gehofft. Ich will meine Leistung bestätigen, mich beweisen und in Zukunft noch mehr leisten."
Diese Demut passt in die Beschreibung, die Coach Mourinho über den Stürmer äußert: "Was mich am meisten beeindruckt hat, war seine Coolness vor dem Tor. Wenn er auch technisch nicht fantastisch ist, hat er eine starke Mentalität. Man trifft heute diese ganzen Kids, die denken, sie wüssten schon alles, aber er ist bescheiden und man kann beobachten, dass er alle möglichen Informationen um sich herum aufsaugt."
Die Entwicklung des Talents kommt bislang nur Genua und Mourinhos Portemonnaie teuer zu stehen. Denn der hochdekorierte Trainer verrät nach dem Spiel auch, dass Afena-Gyan nach seinem ersten Profi-Tor nicht nur zum Jubeln auf ihn zugesprintet kam: "Ich habe Felix versprochen, ihm diese Schuhe zu kaufen, die er wirklich mag. Sie sind ziemlich teuer, sie kosten 800 Euro. Er rannte auf mich zu und rief mir zu, ich solle das nicht vergessen. Das Erste, was ich morgen früh mache, ist, ihm die Schuhe zu kaufen."
AS Rom: Afena-Gyan bedankt sich nach dem Sieg bei seiner Mutter
Während dank Afena-Gyan ein Portugiese zum Schuhkauf gehen muss, dürfte eine Ghanaerin derweil feuchte Augen haben, wenn sie sein Interview nach dem Genua-Spiel im Fernsehen sieht. Im Moment seines bislang größten Erfolgs denkt der 18-Jährige nämlich noch einmal besonders an seine Mutter: "Ich danke Gott für diese Möglichkeit, dem Team, dem Coach, den Fans, den Spielern. Und ich will meiner Mama danken, sie ist in Ghana. Ich liebe dich!"
Wenn dieser Doppeltorschütze mit der Coolness vor dem Tor, den bald neuen teuren Schuhen und einer womöglich strahlenden Zukunft Grüße nach Ghana sendet, fällt es schwer zu glauben, dass er vor nicht einmal einem Jahr dort noch selbst ein Schüler-Fußballer war.