Monika Staab im Interview: "Ich bin mir in Saudi-Arabien vorgekommen wie in Dortmund oder auf Schalke"

Nino Duit
01. Dezember 202109:01
König Salman und Kronprinz Mohammad Bin Salman im Blick: Ein saudi-arabischer Fußballfan.getty
Werbung

Monika Staab setzte sich bereits in über 80 Ländern für den Frauenfußball ein, aktuell ist die 62-jährige Deutsche in Saudi-Arabien tätig. Im Interview mit SPOX und GOAL erzählt Staab von den Bedingungen vor Ort. Sie fühlt sich nachts in Riad sicherer als am Frankfurter Hauptbahnhof, hört niemanden über Newcastle United reden und spricht sich für eine WM in Saudi-Arabien aus.

Frau Staab, Sie trainieren seit September die neugeschaffene Frauen-Nationalmannschaft von Saudi-Arabien. Wie ist es dazu gekommen?

Monika Staab: Letzten November habe ich einen Anruf von einer saudischen Nummer bekommen. Ich war überrascht, bin aber rangegangen. Dann wurde ich gefragt, ob ich den ersten C-Lizenz-Trainerkurs des Landes für Frauen ausrichten könnte. Mir war sofort klar: Das muss ich machen, das muss noch in meine Vita. Abgesehen von Jemen, wo Bürgerkrieg herrscht, war Saudi-Arabien unter den arabischen Ländern mein letzter weißer Fleck. Beim Trainerkurs war ich vom Engagement der Frauen absolut hingerissen. Die Einheiten begannen jeden Tag um sechs Uhr in der Früh. Alle waren immer pünktlich da und haben das zwei Wochen lang durchgezogen. Anschließend war ich dafür verantwortlich, aus aktuell rund 700 registrierten Spielerinnen den ersten Nationalmannschaftskader zusammenzustellen. Anfang nächsten Jahres wollen wir das erste Länderspiel durchführen.

Wie ist das Niveau der Spielerinnen? Gibt es auch einen regulären Meisterschaftsbetrieb?

Staab: Bisher haben die wenigsten auf Großfeld gespielt, sondern nur auf Siebener- oder Neunerfeldern. Sie sind keine Profis, trainieren aber dreimal pro Woche. Mitte November hat die erste Meisterschaft mit 16 Klubs aus den drei wichtigsten Städten Riad, Dschidda und Dammam begonnen. Solche Wettkampf-Erfahrungen sind sehr wichtig.

Welche Rolle spielt die Religion im Fußball-Alltag der Frauen?

Staab: Ich versuche, die Trainingseinheiten nach den Gebetszeiten zu richten. Aber wenn wir mal ein bisschen länger trainieren oder etwas zu besprechen haben, schieben die Frauen ihre Gebetszeiten flexibel ein paar Minuten nach hinten. Anschließend gehen sie in ihre Ecke, breiten ihren Teppich aus und beten. Beim Sport tragen nur wenige Spielerinnen einen Hijab. Aber alle versuchen, ihre Haut zu bedecken. Beispielsweise mit Leggins und langen Sleeves in den Trikotfarben. Die Religion mindert ihre Freude am Fußballspielen überhaupt nicht.

Monika Staab trainiert seit September die erste Frauen-Nationalmannschaft von Saudi-Arabien.getty

Hatten Sie schon vor Ihrer Tätigkeit vor Ort Berührungspunkte mit Saudi-Arabien?

Staab: Meine erste Station in der Gegend war 2007 Bahrain, wo ich ebenfalls eine Frauen-Nationalmannschaft aufbauen sollte. Aus Bahrain gibt es eine Brücke nach Saudi-Arabien. Als Frau durfte ich damals nicht alleine rüber reisen. Wenn du keinen Mann als Sponsor hattest, hast du kein Visum bekommen. Damals habe ich gehört, dass es in Saudi-Arabien keinen Frauenfußball gibt. Aber das hat sich als falsch herausgestellt.

Inwiefern?

Staab: Die Frauen in Saudi Arabien haben bereits seit 2006 Fußball gespielt, meist hinter verschlossenen Türen und auf privaten Farms. Außerdem organisierten sie Community-Turniere auf Siebener- oder Neunerfeldern. Aber erst 2019 wurde im nationalen Fußballverband eine Frauenfußballabteilung gegründet.

In Katar wurde die einst ebenfalls von Ihnen aufgebaute Frauen-Nationalmannschaft später wieder eingestellt. Denken Sie, dass die Bestrebungen in Saudi-Arabien langfristiger sind?

Staab: Ja, hier gibt es im Unterschied zu vielen anderen Ländern der Region einen Strategieplan auf längere Sicht. Der Frauenfußball wird vom Verband sehr seriös gefördert. Ich kümmere mich nicht nur um die Nationalmannschaft und die Trainerkurse, sondern auch um den Aufbau von lokalen Trainingszentren. Kürzlich haben wir in Riad das erste mit über 35 Spielerinnen in U13-, U15- und U17-Mannschaften gegründet. Von den 240 Angestellten im Verband sind 35 Frauen, die gleich wie die Männer bezahlt werden. Equal Pay wird in Saudi-Arabien ganz groß geschrieben.

Warum beginnt die Förderung des Frauenfußballs in Saudi-Arabien ausgerechnet jetzt?

Staab: Das ist auf den Kronprinzen Mohammed bin Salman zurückzuführen. Obwohl der alte König noch lebt, hat MBS, wie er hier genannt wird, mit Mitte 30 schon die operativen Geschäfte übernommen. Unter ihm durchlebt das Land eine gesellschaftliche Revolution. Das ist alles sehr fortschrittlich. Seit 2018 dürfen Frauen Auto fahren, alleine in Restaurants gehen oder sich scheiden lassen. Seit wenigen Wochen müssen sie keine Burka mehr tragen, aus kulturellen Gründen machen es aber weiterhin die meisten. Im Zuge dieser Entwicklungen wurde auch Sport für Mädchen in den staatlichen Schulen erlaubt und die Frauenfußballabteilung im Fußballverband gegründet. Wie alle wichtigen Institutionen des Landes wird auch der Verband von der Königsfamilie kontrolliert. Die sind alle sowas von offen und zukunftsorientiert. Die wollen, dass die Frauen Spaß haben.

Die Förderung des Frauenfußballs und auch die Übernahme des Premier-League-Klubs Newcastle United durch ein Konsortium um den saudi-arabischen Staatsfonds wecken den Verdacht des in der Region etablierten Sportswashing. Also der Ablenkung von Missständen wie Menschenrechtsverletzungen durch positive Schlagzeilen im Sport. Wie sehen Sie das?

Staab: Die Übernahme von Newcastle habe ich nur am Rande verfolgt. Das ist hier kein großes Thema. Ich habe in Saudi-Arabien noch niemanden über Newcastle reden gehört. Natürlich will Saudi-Arabien seinen Ruf verbessern. Aber was ich hier sehe, ist kein Sportswashing. Mehr will ich mich über Politik nicht äußern. Das ist nicht meine Mission. Ich bin hier, um den Frauenfußball zu entwickeln.

Im Oktober 2021 übernahm ein vom saudi-arabischen Staatsfonds PIF angeführtes Konsortium den Premier-League-Klub Newcastle United.getty

Beschäftigen Sie die unter anderem von Amnesty International angemahnten Menschenrechtsverletzungen?

Staab: Ich lese viel über diese Themen und bin niemand, der einfach die Augen verschließt. Aber das Bild aus Westeuropa ist nicht deckungsgleich mit der Realität vor Ort. Ich war in 85 Ländern und habe erlebt, wie Frauen diskriminiert oder vergewaltigt wurden. Sowas findet hier nicht statt. Die Saudis sind frei und glücklich. Generell sollte man meiner Meinung nach ein Land erst selbst besucht haben, bevor man sich ein Urteil darüber erlaubt. In Deutschland wird gerne vorschnell geurteilt. Nächstes Jahr möchte ich hier ein Turnier veranstalten und dafür auch deutsche Mannschaften einladen, damit ein paar Menschen einen eigenen Eindruck gewinnen.

Gibt es in Saudi-Arabien Einschränkungen, die Sie im Alltag behindern?

Staab: Nein, ich erlebe in keinster Weise Einschränkungen. Natürlich ziehe ich mich der Kultur entsprechend an. Ich trage meistens eine lange Hose, kurze Ärmel sind aber in Ordnung. Nachts um drei in Riad auf der Straße fühle ich mich sicherer als am Frankfurter Hauptbahnhof. Ich habe schon zweimal erlebt, wie Bekannte ihr Portemonnaie in der Stadt liegen gelassen haben. Als sie ein paar Stunden später zurückgekommen sind, war alles unverändert da. Man könnte ein Auto mit eingestecktem Schlüssel offen auf der Straße stehen lassen und nichts würde passieren. Kriminalität gibt es in Saudi-Arabien nicht. Das liegt einerseits an der Erziehung der Menschen, aber natürlich auch an den hohen Strafen.

König Salman und Kronprinz Mohammad Bin Salman im Blick: Ein saudi-arabischer Fußballfan.getty

Angeblich erwägt Saudi-Arabien eine Bewerbung für die Männer-Weltmeisterschaft 2030. Wie fänden Sie das?

Staab: Das wäre eine gute Sache. Eine WM in Saudi-Arabien wäre ein richtiges Fußballfest. Anders als in anderen Golfstaaten wie Katar gibt es hier Fußballbegeisterung. Die Saudis sind genauso fußballverrückt wie wir Europäer. Am Tag meiner Ankunft hatte die Männer-Nationalmannschaft ein WM-Qualifikationsspiel. Es waren 50.000 Menschen im Stadion in Dschidda, auch viele Kinder und Frauen. Alle haben 90 Minuten lang durchgesungen. Ich bin mir vorgekommen wie in Dortmund oder auf Schalke.

In Europa wird beim Fußball bekanntlich gerne mal ein Bier getrunken. Wie sieht es diesbezüglich in Saudi-Arabien aus?

Staab: Hier gibt es ein ganz striktes Alkoholverbot. Anders als in Katar bekommt man in Saudi-Arabien nicht einmal in teuren Hotels Alkohol. Im Norden der Stadt wird für Touristen aber eine Stadt namens Neom kreiert, in der wohl auch Alkohol ausgeschenkt werden darf. Der Tourismus soll hier künftig eine größere Rolle spielen. Die Saudis wissen, dass es irgendwann weniger Ölbedarf gibt und denken schon daran, wie es dann weitergeht.