Dieser Artikel erschien erstmals im Dezember 2021.
Die absurde Krönung dieser so absurden Geschichte erfolgte im Mai 2005, als die AC Perugia Juventus Turin für ein Ligaspiel empfing. Beim Stand von 1:0 kam kurz vor Schluss al-Saadi al-Gaddafi ins Spiel, der damit sein Serie-A-Debüt feierte. Al-Gaddafis Funktionen: offensiver Mittelfeldspieler von Perugia, Miteigentümer von Juventus, Sohn von Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi.
Wenige Augenblicke vor seiner Einwechslung war Juventus in Unterzahl geraten. Perugia rettete die 1:0-Führung aber weniger dank, sondern eher trotz des Jokers ins Ziel. Durch al-Gaddafis Mitwirken "wurde die numerische Ausgewogenheit wieder hergestellt", merkte die Gazetta dello Sport in ihrem Spielbericht etwas spöttisch an.
Al-Gaddafi - soviel ist klar - spielte nicht mit, weil er ein herausragender Fußballer war. Ganz im Gegenteil: In diversen Umfragen wurde er sogar zum schlechtesten Spieler der Serie-A-Geschichte gewählt.
Al-Saadi al-Gaddafi: Der einzige Name im libyschen Fußball
Al-Saadi al-Gaddafi kam 1973 in der libyschen Hauptstadt Tripolis zur Welt. Sein Vater Muammar al-Gaddafi hievte sich damals gerade mittels eines unblutigen Militärputsches an die Macht, erst 2011 wurde er im Zuge landesweiter Aufstände gestürzt und getötet. Al-Saadi al-Gaddafi interessierte sich seit jeher aber weniger für Politik, sondern vielmehr für Fußball. Er zog eine Profi-Karriere einer Diktatoren-Karriere vor.
Dabei dürfte er durchaus von der prominenten Rolle seines Vaters profitiert haben. Verdächtige Fälle gab es einige, etwa bei einem Spiel von al-Gaddafis damaligem Klub Al-Ahly Tripoli gegen die Namensvetter von Al-Ahly Benghazi, als sich ein 0:1-Rückstand dank zweier Elfmetergeschenke und einem Abseitstor in ein 3:1 verwandelte. Wenig später zündeten Benghazi-Fans ein Büro des libyschen Fußballverbandes an, woraufhin ihr Klub aufgelöst und das Trainingsgelände samt Trophäen zerstört wurde. Erst einige Jahre später erfolgte eine Neugründung.
In der Verbandsleitung saß damals selbstverständlich al-Saadi al-Gaddafi, gleichzeitig übrigens auch Kapitän der Nationalmannschaft. Als es Trainer Franco Scoglio einmal wagte, ihn auf der Bank zu lassen, wurde dieser kurzerhand entlassen. "Al-Saadi ein Fußballer? Seien Sie nicht lächerlich", sagte Scoglio später.
2001 ließ sich al-Gaddafi zum größten Klubs des Landes al-Ittihad transferieren und übernahm dort eine Doppelrolle als Kapitän und Präsident. Dreimal in Folge wurde er zu Libyens Fußballer des Jahres gewählt. Längst war al-Gaddafi der berühmteste Name im libyschen Fußballs, bald auch der einzige. Bei TV-Übertragungen durften andere Spieler nur mehr mit ihren Rückennummern erwähnt werden: "Nummer 4 passt zu al-Saadi al-Gaddafi, der leitet den Ball weiter zu Nummer 7." Den Ball hat er übrigens oft bekommen: Kollegen sollen für jeden Pass auf al-Gaddafi eine Geldprämie kassiert haben.
Wie Al-Saadi al-Gaddafi bei der AC Perugia landete
Trotz seiner exponierten Stellung wurde al-Gaddafi der libysche Fußball aber irgendwann zu klein. Im Sommer 2003 erfüllte er sich seinen Traum, einmal im Camp Nou zu spielen. Al-Ittihad zahlte dem FC Barcelona rund 350.000 Euro, um für ein Vorbereitungsspiel vorbeikommen zu dürfen. Über die Libyan Arab Foreign Investment Company erwarben die al-Gaddafis unterdessen für rund 17 Millionen Euro 7,6 Prozent der Anteile an Juventus.
Das verschaffte al-Saadi al-Gaddafi zwar einen Platz im Präsidium seines Lieblingsklubs, in den Profikader wollte ihn Juventus aber partout nicht aufnehmen. Es musste also eine Alternative her.
Um seine wirtschaftlichen Beziehungen zum ölreichen Libyen und dessen Machthaber Muammar al-Gaddafi weiter zu vertiefen, war Italiens damaliger Ministerpräsident Silvio Berlusconi erpicht auf einen Serie-A-Wechsel al-Saadi al-Gaddafis. Bei seinem eigenen Klub AC Milan wollte ihn Berlusconi aber eher nicht haben, weshalb er den ähnlich extrovertierten Perugia-Präsidenten Luciano Gaucci zu einem Transfer überredete. Erstmals stand der Sohn eines Regierungschefs bei einem europäischen Profiklub unter Vertrag.
Kurz darauf wollte Gaucci übrigens auch die deutsche Nationalstürmerin Birgit Prinz verpflichten und zur ersten Frau in einer Männer-Profimannschaft machen, der Transfer scheiterte aber.
Al-Gaddafi setzte bei seinem neuen Arbeitgeber auf der anderen Seite des Mittelmeeres derweil auf prominente Unterstützung. Er stellte Diego Armando Maradona als Berater und den ehemaligen kanadischen Sprinter Ben Johnson als persönlichen Trainer ein. Beide waren im Laufe ihrer aktiven Karrieren des Dopingmissbrauchs bzw. Drogenkonsums überführt worden.
Perugia-Trainer Serse Cosmi ignorierte al-Gaddafi zunächst bei seinen Kadernominierungen. Als er ihn dann doch mal auf die Bank setzte, wurde ihm bei einem routinemäßigen Dopingtest das Anabolika Nandrolon nachgewiesen. Nach einer mehrmonatigen Sperre folgte schließlich al-Gaddafis großer Moment: die Einwechslung gegen Juventus.
Al-Saadi al-Gaddafi zahlte die Flitterwochen seines Mitspielers
Ins Spiel kam er für den englischen Stürmer Jay Bothroyd, einen seiner besten Freunde in Perugia. "Sein Vater ist ein Tyrann, aber er war nie so. Er war immer freundlich und höflich", erzählte Bothroyd später dem Telegraph. Al-Saadi lud seinen englischen Freund zum Formel-1-Grand-Prix nach Monaco ein, ließ ihn für eine Geburtstagsfeier einfliegen und zahlte sogar dessen Flitterwochen.
"Es war ein bisschen merkwürdig", berichtete Bothroyd. "Er hat mich gefragt, was ich für unsere Flitterwochen plane. Ich meinte, dass wir uns noch nicht entschieden hätten. Daraufhin erwiderte er, dass er sich etwas überlegen würde. Letztlich hat er bezahlt, dass wir für eine Woche nach L.A. und anschließend nach Hawaii reisen können. Alles erste Klasse, nur Top-Hotels. Das war sehr großzügig."
Al-Gaddafi ließ es aber nicht nur anderen gut gehen, sondern auch sich selbst. In Perugia residierte er stets in den besten Hotels. Einmal soll er sich eine ganze Etage für sich, seine Bodyguards und seinen Hund Dina gebucht haben. Dem Hund wurde Steak serviert, selbstverständlich bekam er auch ein eigenes Bett. Ein anderes Mal ging dem Hotel die Milch aus, weil seine Frau, die Tochter eines Militärkommandanten, darin baden wollte.
Es kursierten Gerüchte über Drogen- und Alkoholmissbrauch, wilde Partys, Besuche von Prostituierten und Affären. Sowohl mit Frauen, als auch mit Männern. Ach ja: Al-Gaddafi besaß eine Mercedes-Flotte und außerdem ein paar Löwen.
Al-Saadi al-Gaddafi wurde nach dem Aufstand inhaftiert
Aber zurück zum Fußball. Zwei Jahre verbrachte al-Gaddafi bei Perugia, auf den einen Einsatz in der Serie A folgten noch zwei in der Coppa Italia. Sein Freund sei "nicht der beste Fußballer" gewesen, gab Bothroyd zu, Fußball sei für ihn "ein Hobby" gewesen. "Für mich wäre es einfacher bei Juventus zu spielen als bei Perugia", erklärte al-Gaddafi selbst. "Meine technischen Qualitäten kommen am besten zum Vorschein, wenn ich mit Weltklasse-Spielern zusammenspiele."
Juventus wollte ihn aber weiterhin nicht verpflichten, woraufhin al-Gaddafi zu Udinese Calcio weiterzog. Auch dort machte er ein Serie-A-Spiel, was ihm bei seiner nächsten Station Sampdoria Genua verwehrt blieb. Vier Jahre nach seinem Italien-Wechsel beendete er 2007 im Alter von 34 Jahren seine aktive Karriere. In Erinnerung gerufen wurde ihm seine Zeit in Genua Jahre später, als er per Gerichtsbeschluss offene Rechnungen bei einem dortigen Luxushotel begleichen musste.
Zu diesem Zeitpunkt hatte al-Gaddafi aber längst andere Sorgen, und zwar die Niederschlagung des libyschen Aufstandes und den Machterhalt seines Vaters. Im Zuge dessen wurden jegliche Familien-Besitztümer in der EU wie die Juventus-Anteile eingefroren. Während des Aufstandes fungierte al-Gaddafi als Oberbefehlshaber von Sondereinheiten, ehe er kurz vor dem Tod seines Vaters 2011 ins benachbarte Niger floh. Er bekam Asyl, wurde von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben, 2014 nach Libyen ausgeliefert und dort inhaftiert. Im September vergangenen Jahres kam er frei und setzte sich mutmaßlich in die Türkei ab.