"Letztlich geht es um den Charakter": Manchester United liegt vor dem Spiel gegen den FC Bayern am Boden

Von Tim Pflieger / Richard Martin
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Manchester Uniteds vergangene Saison versprach eine gute Basis für die neue Spielzeit. Doch nun fühlt es sich wie ein nächster Neustart an.

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Die Amtszeit von Erik ten Hag bei Manchester United begann mit einer Heimniederlage gegen Brighton. Nur 13 Monate später überkommt einen das Gefühl, ein gewaltiges Déjà-vu zu erleben. Denn die Red Devils verloren am Samstag wieder gegen die Seagulls (1:3) und wirken aktuell ähnlich ratlos wie damals. Bei Brighton hat sich derweil einiges getan, der Klub leistet mit Trainer Roberto De Zerbi Großes, spielen dieses Jahr zum ersten Mal europäisch und entwickelt sich stetig weiter. Im Vergleich zu United betrachtet ein gegenteiliger Verlauf der Dinge.

United steht nämlich wieder ganz am Anfang. Die Red Devils sind defensiv genauso schwach, wenn nicht sogar schwächer als zu Beginn der vergangenen Saison. Außerdem fehlt es der Mannschaft an Kreativität in der Offensive. Marcus Rashford war der einzige Spieler, der am Samstag in der Lage war, für Gefahr zu sorgen. Bruno Fernandes hingegen wirkte überfordert, Christian Eriksen blieb stets bemüht und auch Casemiro lief den Leistungen vergangener Jahre hinterher.

Wie soll es mit Manchester United weitergehen? Im vergangenen August hatte Englands Rekordmeister noch Zeit, seine Problemzonen auf dem Transfermarkt aufzufangen, indem er Casemiro und dann Antony verpflichtete. Aber jetzt ist das Transferfenster bereits geschlossen und man könnte sich nur noch bei vereinslosen Spielern bedienen. Aus nicht sportlichen Gründen fallen den Red Devils aktuell Antony und Jadon Sancho für unbestimmte Zeit weg und auch die Verletztenliste ist beunruhigend lang - Probleme, die Ten Hag in den letzten drei Monaten zu schaffen machten.

Die Ankunft Ten Hags in der vergangenen Saison brachte United nach einer Reihe von schlechten Trainerverpflichtungen seit dem Rücktritt von Sir Alex Ferguson Hoffnung. Er holte mit den Red Devils sogar den ersten Titel seit sechs Jahren. Doch die nächsten Schritte nach vorne fehlen momentan und es fühlt sich so an, als ob sich die Mannschaft eher zurückentwickelt.

Harry Maguire
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Manchester United: Passives Verteidigen

United begann gegen Brighton eigentlich ordentlich und war in den ersten 15 Minuten gefährlich. Doch die Seagulls erzielten praktisch mit ihrer ersten Chance ein Tor, begünstigt durch schwaches Verteidigungsspiel.

Debütant Sergio Reguilón wurde mit einem einfachen Pass aus dem Konzept gebracht, sodass Danny Welbeck und Simon Adingra auf dem rechten Flügel entwischen konnten. Lisandro Martínez versuchte daraufhin vergeblich, die Flanke Adingras zu blocken. Währenddessen schlich sich Welbeck in den Strafraum, an Victor Lindelöf vorbei und erzielte das 1:0.

Der zweite Treffer von DFB-Neuling Pascal Groß fiel aufgrund mangelnder Antizipation von Uniteds Innenverteidigerpaar. Sowohl Lindelöf als auch Martínez waren von Tariq Lampteys Zuspiel auf Groß sichtlich irritiert und der Argentinier erkannte die Gefahr erst, als es schon zu spät war.

Angesichts ihrer Leistung im Old Trafford und in den vier vorangegangenen Spielen ist es kaum nachvollziehbar, wie dieses Team in der vergangenen Saison die meisten weißen Westen der Premier League aufweisen konnte. In dieser Spielzeit hat United bisher zehn Gegentore kassiert, nur die Wolves und Burnley sind schlechter.

"Das müssen wir verbessern. Es gibt Dinge in der gesamten Mannschaft und bei einzelnen Spielern, die sich verbessern müssen", sagte Ten Hag zu den Problemen in der Defensive. "Manchmal hat man schlechte Phasen, schwierige Phasen, und dann muss man sich dem stellen und damit umgehen. Wir können niemandem sonst die Schuld geben, wir müssen es besser machen und entschlossener und widerstandsfähiger sein."

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Manchester United: Højlund braucht Anlaufzeit

Trotz Uniteds starker Leistungen am Ende der letzten Saison war klar, dass dem Team ein richtiger Mittelstürmer fehlte. Sobald ein erstklassiger Stürmer geholt würde, so die Theorie, könnte die Mannschaft ihr wahres Potenzial ausschöpfen. Nur kann eine einzige Personalie auch keine Wunder bewirken.

Rasmus Höjlund erschien bei seinem United-Debüt wie ein Ritter in glänzender Rüstung, der die Aufgabe hatte, den Red Devils aus der Patsche zu helfen und den miserablen Saisonstart wettzumachen. Für einen 20-Jährigen, der erst eine Saison in einer europäischen Top-5-Liga hinter sich hat, ist das eine hohe Erwartungshaltung.

Der Däne hatte zuhause schon einen vielversprechenden Auftritt, bei dem er gut mit Rashford harmonierte. Dennoch ist klar, dass der 89-Millionen-Euro-Mann noch viel Arbeit vor sich hat und Zeit brauchen wird, um sich mit seinen neuen Mitspielern einzuspielen und sich an die Liga zu gewöhnen. Er braucht auch Zeit, um seine vollständige Fitness wiederzuerlangen, nachdem er mit einer Rückenverletzung in Manchester ankam. Der Angreifer konnte erst einen Monat nach Ankunft bei United debütieren.

Deshalb wechselte Ten Hag ihn gegen Brighton & Hove Albion in der 64. Minute für Anthony Martial aus und erntete dafür lautstarke Buhrufe. Der Trainer war der Meinung, dass es für Höjlund zu riskant gewesen wäre, so kurz nach seiner Rückkehr von der Verletzung 90 Minuten zu spielen. Er erklärte: "Jeder weiß, dass er mit einem kleinen Problem gekommen ist, wir haben ihn in den letzten drei bis vier Wochen aufgebaut, er ist noch nicht bereit für ein ganzes Spiel. Wenn er sich verletzt, weil er nicht in der Lage ist, 90 Minuten zu spielen, dann sind wir weit davon entfernt, wo wir hinwollen."

Es ist fast schon ironisch, dass ten Hag mit Martial den verletzungsanfälligsten Spieler Uniteds brachte, um Höjlund zu schonen. Zu allem Übel nutzte der Franzose seine Spielzeit nicht und blieb nach seiner Einwechslung blass.

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Manchester United: Casemiro ist nicht mehr der Retter

Als United am zweiten Spieltag der vergangenen Saison eine desaströse 0:4-Niederlage gegen den FC Brentford hinnehmen musste, schickte Casemiro eine SMS an seinen Berater, der mit ihm über einen möglichen Wechsel ins Old Trafford gesprochen hatte. "Sag ihnen, ich regele das", schrieb der Brasilianer.

Wenige Tage später wurde Casemiro für eine Ablösesumme von 81 Millionen Euro verpflichtet - und schon bald behob er tatsächlich Manchesters Probleme. Er brachte Weltklasse-Qualität in die Mannschaft und eine Siegermentalität mit, die er sich nach so vielen Jahren bei Real Madrid angeeignet hatte.

Doch ein Jahr später sieht Casemiro müde aus und hat den Zenit seiner Kräfte überschritten. Mit seinen 31 Jahren sollte das keine Überraschung mehr sein, aber diese Entwicklung kommt zu einer Unzeit. Gegen Brighton brachte er seine Pässe häufig nicht an den Mann und er war weniger eine Mauer vor der Abwehr als vielmehr ein offenes Fenster, durch das die Gäste ohne viel Gegenwehr hindurch konnten.

Normalerweise wird Casemiro quasi nie ausgewechselt, aber er wurde nach nur 64 Minuten vom Platz geholt und durch den 20-jährigen Hannibal Mejbri ersetzt. Er ist nicht mehr der Abräumer, der die großen Mittelfeldprobleme Uniteds lösen kann.

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Manchester United: Kein Sancho, kein Antony

Es wirkt wie eine halbe Ewigkeit her, aber Jadon Sancho trug erst vergangene Spielzeit dazu bei, dass United nach einem miserablen Saisonstart wieder auf die Beine kam. Nach den beiden Niederlagen gegen Brighton und Brentford erzielte Sancho den Führungstreffer beim 2:1-Sieg gegen Liverpool in der darauffolgenden Begegnung und auch den einzigen Treffer beim 1:0-Sieg gegen Leicester im fünften Saisonspiel.

Doch jetzt ist Sancho eine Persona non grata, nachdem er Ten Hags Kritik an seinen Trainingsleistungen öffentlich konterte und sich nicht beim Niederländer dafür entschuldigte. Er wurde gezwungen, getrennt vom Rest seiner Mannschaftskameraden zu trainieren und war am Samstag nicht im Old Trafford. Stattdessen sah er sich das Spiel der U-18-Mannschaft gegen Nottingham Forest an.

Antony ist ein weiterer Spieler, der seinen Teil dazu beitrug, dass sich United von seinem schlechten Start erholte. Nach seinem Wechsel von Ajax für fast 100 Millionen Euro erzielte er in seinen ersten drei Spielen ein Tor und wurde zu einem der zuverlässigsten Spieler unter Ten Hag.

Der Nutzen des Brasilianers ging mit der Zeit stark zurück, obwohl er für den Trainer weiterhin erste Wahl war und durch seine Arbeit ohne den Ball eine große Rolle im Spiel Uniteds einnahm. Aber auch Antony steht nun nicht mehr zur Verfügung, nachdem es in Brasilien Gewaltvorwürfe seiner Ex-Freundin gegen ihn gibt, die er jedoch bestreitet.

Gegen Brighton fehlte es United an Präsenz auf dem rechten Flügel, da die Mittelfeldraute von Ten Hag nicht glänzen konnte. Ihr Spiel wurde nur dann breit, wenn es über die Außenverteidiger Diogo Dalot und Reguilon ging. Unklar bleibt, ob Sancho und Antony jemals wieder für die Red Devils auflaufen werden.

Erik ten Hag
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Manchester United: Historisch schlechter Saisonstart

In der ersten Amtszeit von Ten Hag verlor United zum ersten Mal seit 30 Jahren die ersten beiden Saisonspiele. In seiner zweiten Amtszeit hat der Verein einen neuen Negativrekord in der Premier League aufgestellt: Er hat drei seiner ersten fünf Spiele verloren.

Der niederländische Trainer weigerte sich, von einer Krise zu sprechen, konnte aber nicht verhehlen, dass er besorgt ist. "Wir müssen sehr enttäuscht sein und uns über uns selbst ärgern. Wir werden das Blatt wenden", sagte er. "Das ist definitiv etwas, das mich stört, aber ich muss auch sehen, wie wir spielen. Letztlich geht es um den Charakter."

Die Behauptung des Trainers, die Mannschaft habe gut gespielt und nur unglücklich verloren, ist jedoch nicht wirklich stichhaltig. Sicher, United wurde beispielsweise ein Tor aberkannt, aber wenn überhaupt ist das Team letztlich glimpflich davongekommen.

Alleine in den letzten zehn Spielminuten musste André Onana viermal zur Stelle sein, zweimal gegen Ansu Fati sowie gegen Evan Ferguson und Kaoru Mitoma parieren.

Ten Hag verwies außerdem noch auf die Last-Minute-Niederlage gegen Arsenal, bei der ein Tor von Alejandro Garnacho vom VAR aberkannt wurde und man einen Elfmeter hätten bekommen können. Er sprach von "knappen Niederlagen". Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Manchester United bei seinen Siegen in dieser Saison nicht gerade vom Pech verfolgt wurde.

Gegen die Wolves hatte United Glück, dass es keinen Strafstoß gab, als Onana in der Nachspielzeit in den Gegner rauschte. Und gegen Nottingham Forest profitierten die Red Devils davon, dass Gegenspieler Joe Worrall des Feldes verwiesen wurde und Rashford einen umstrittenen Elfmeter rausholte.

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Manchester United: Konkurrenz startet stark

United sollte sich nicht nur wegen des eigenen Saisonstarts mit nur 6 von 15 möglichen Punkten Sorgen machen, sondern auch aufgrund der starken Konkurrenz. Die Rivalen um die ersten vier Plätze haben die neue Spielzeit auf beeindruckende Weise begonnen und es wird ein Comeback brauchen, um sie einzuholen.

Der Rückstand auf Tabellenführer Manchester City beträgt bereits neun Punkte, nachdem der Lokalrivale seine ersten fünf Spiele der Saison gewonnen hat. Auch Arsenal, Vizemeister der Vorsaison, hat bisher nur zwei Punkte abgegeben.

Liverpool und Tottenham, die in der letzten Saison nicht unter den Top-4 landeten, sind nun deutlich stärker. Liverpool hat 13 Punkte geholt und jeweils nach Rückstand noch Siege gegen die Wolves, Newcastle und Bournemouth eingefahren. Und die Spurs, die in einer chaotischen Saison 2022/2023 den achten Platz belegten, wirken unter Coach Ange Postecoglou wie ausgetauscht und haben ihre letzten vier Spiele gewonnen.