23 Minuten reichen. 23 signifikante Minuten aus der Partie Chelsea - ManUtd (2:1) vom 1. März 2011. Die Phase zwischen der 54. und der 77. Minute charakterisiert den Fußballer David Luiz in seinen wichtigsten, fast schon widersprüchlichen Facetten nur allzu treffend.
54. Minute: Ivanovic verlängert eine Flanke per Kopf auf Luiz, der ohne zu zögern die Kugel per Außenrist-Volley aus neun Metern perfekt ins rechte untere Eck feuert - der erlösende 1:1-Ausgleich. Kaum ein Stürmer hätte diesen Ball wohl sehenswerter und sicherer verwandeln können.
58. Minute: Manchesters Javier Hernandez will sich am gegnerischen Strafraum freilaufen. Doch Luiz macht die Tür zu und streckt "Chicharito" mit einem herzhaften Bodycheck zu Boden. Der Schiedsrichter lässt weiterlaufen.
77. Minute: ManUtd im Angriff, der Ball läuft durchs Mittelfeld. Wayne Rooney wird angespielt und leitet die Kugel umgehend weiter. Mindestens eine Sekunde vergeht. Dann rauscht das Bein von Luiz heran, Rooney krümmt sich im Gras, United-Coach Ferguson tobt wie wild an der Seitenlinie. Der Schiedsrichter lässt weiterlaufen.
"Fernando... wer?" Luiz stellt Torres in den Schatten
Im Nachhinein mag man kaum glauben, dass Luiz beim Schlusspfiff noch auf dem Platz stand. Er überstand diese Partie mit einer Gelben Karte, die er übrigens nicht etwa für eines der beschriebenen Fouls erhalten hatte.
Ebenfalls erstaunlich: Im Schatten des 59-Millionen-Neuzugangs Fernando Torres etablierte sich David Luiz, der in der Winterpause für 25 Millionen Euro aus Lissabon geholt worden war, bislang als der deutlich besser in Spiel und Team integrierte und sogar torgefährlichere Neueinkauf.
"Fernando... wer?", titelte die "Daily Mail" nach dem Sieg gegen Manchester United: "Alle huldigen König Luiz", hieß es weiter. Und tatsächlich: Während Torres zwar zunächst für einen neuen Konkurrenzkampf im Chelsea-Sturm sorgte, sich aber zunehmend als kriselndes Null-Tore-Sorgenkind entpuppt, ist Luiz bereits vollständig an der Stamford Bridge angekommen.
"Es war leicht, sich hier einzuleben, denn Spieler und Trainer haben mir viel dabei geholfen", gibt sich der 23-Jährige bescheiden.
Aus Liebe zur Familie
Doch nicht immer fiel dem Brasilianer die Eingewöhnung derart leicht, nicht immer gelang alles so reibungslos wie beim FC Chelsea. Im zarten Alter von 14 Jahren traf Luiz, der wie schon Denilson im Sao-Paulo-Vorort Diadema aufwuchs, eine mutige, folgenschwere Entscheidung.
Er wechselte zum Esporte Club Vitoria und plötzlich trennten ihn knapp 2000 Kilometer von Eltern und Heimat. Luiz wollte seinen bescheiden lebenden Verwandten finanziell helfen. In der Hoffnung, dass ihn nicht dasselbe Schicksal ereilen möge wie seinen Vater.
"Mein Vater ist mein Held. Er hat Fußball gespielt, bis er 20 war. Seine Karriere lief vielversprechend, doch das Einkommen war zu gering, um die Familie ausreichend unterstützen zu können. Er musste aufhören, um mehr Geld zu verdienen", erzählt Luiz rückblickend.
Er selbst hoffte schon damals auf eine große Karriere. "Ich wusste, dass ich das Leben meiner Familie verändern könnte. Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich erst dann wiederkomme, wenn ich ihnen das Leben bieten kann, das sie verdienen. Diesen Traum hatte ich immer vor Augen. Gott sei Dank habe ich es geschafft. Jetzt bin ich die wichtigste finanzielle Quelle, um meine Familie zu unterstützen. Und das werde ich immer tun", schwört er heute.
Allen Vorschusslorbeeren gerecht geworden
Beinahe hätte Luiz Vitoria jedoch einst verlassen, da er auf der Position im defensiven Mittelfeld nicht zurechtkam. Doch nach seinem Wechsel in die Innenverteidigung blühte er regelrecht auf, gab mit 19 sein Debüt für die Profis und weckte die Aufmerksamkeit portugiesischer Top-Klubs.
Portugal gilt als gutes Pflaster für Brasilianer, die den Sprung nach Europa schaffen wollen. So auch für Luiz, der, nachdem er sich ein halbes Jahr lang als Leihgabe bewährte, 2007 einen Fünfjahresvertrag bei Benfica unterschrieb.
Auch beim neuen Arbeitgeber hatte er mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen, wurde durch Verletzungen zurückgeworfen. Doch in der Saison 2009/2010 schaffte er den endgültigen Durchbruch. 4206 Pflichtspielminuten hatte er am Ende der Spielzeit auf dem Buckel und schon bald wurde der resolute Wuschelkopf aus Lissabon bei den ganz großen Vereinen Europas gehandelt.
Den jüngsten Karriere-Höhepunkt erlebte Luiz mit seinem 25 Millionen Euro schweren Transfer zum FC Chelsea in der Winterpause, wo er in nur wenigen Wochen nahezu sämtlichen Vorschusslorbeeren gerecht wurde.
Perfekte Mischung aus Lucio, Evra und Tingeltangel-Bob
Tatsächlich vereint Luiz, wie bereits angedeutet, nahezu alle Facetten, die einen modernen, kompletten Verteidiger auszeichnen. Sein gnadenloses Zweikampfverhalten erinnert an Lucio oder Thuram, seine Kopfballstärke an Rio Ferdinand.
Die Wuschelkopf-Frisur erinnert hingegen an Carles Puyol oder die Simpsons-Figur Tingeltangel-Bob. Mit seiner überragenden Technik ist er in der Tradition ballversierter Brasilianer bestens aufgehoben.
Luiz selbst hat aber ein ganz anderes Vorbild: "Ich sehe mir viele Verteidiger an, vor allem Patrice Evra, und versuche, Dinge nachzuahmen."
Auch Trainer Carlo Ancelotti lobte Luiz bereits bei dessen Präsentation in London über den grünen Klee, sieht aber auch noch ausreichend Verbesserungsmöglichkeiten beim 23-Jährigen, der oft zu viel Hitzkopf-Potenzial aufweist: "Er muss besonnener werden auf dem Platz und den englischen Fußball besser kennenlernen", mahnt der Italiener.
Triple-Traum und perfekte Perspektiven
Mit Blick auf Luiz' vielversprechende Anlagen und seine jüngsten überzeugenden Auftritte im Chelsea-Trikot klingt das allerdings - wenn überhaupt - nach Luxusproblemen. Und die weiteren Perspektiven in London sind höchst vielversprechend.
"David kann ein Goliath werden" schrieb Arsenal-Legende Martin Keown in seiner Kolumne in der "Daily Mail". "Er wird einmal einer der besten Verteidiger dieser Welt", prophezeit ihm Ancelotti.
Auch Luiz hofft auf erfolgreiche Zeiten bei den Blues und gibt sich selbst für den Rest der teilweise enttäuschenden laufenden Spielzeit hochgradig optimistisch: "Wir wollen in dieser Saison alles gewinnen, Manchester United in der Liga überholen und sie in der Champions League schlagen", kündigt er an.
Er selbst kann seinem Team zumindest in der Champions League nicht helfen, da er in dieser Saison bereits für seinen Ex-Verein Benfica in der Königsklasse auflief. Was seine Freude im Falle des Weiterkommens keinesfalls schmälern würde: "Die Freude meiner Mannschaftskollegen ist auch meine Freude."
Chelseas Winter-Neuzugang David Luiz im Steckbrief