Die Fußball-Fans sahen Paul Scholes ein letztes Mal mit den Händen in den Hüften, sein Blick richtete sich enttäuscht und leer auf den Boden. Er wusste, dass dies sein letztes Spiel gewesen sein sollte. Dann kam Andres Iniesta vorbei. Der Spanier reichte ihm sein Trikot. Aber nicht aus dem mittlerweile üblichen Pflichtbewusstsein heraus, sein Jersey unbedingt mit jemanden zu tauschen. Sondern weil es für Iniesta eine Ehre war.
Iniesta ist derzeit einer der besten Fußballspieler der Welt. Einer jener kompletten Spieler, wie er selbst gewesen war, über 15 Jahre lang. Aber jetzt war Schluss. Paul Scholes hat zwar die große Bühne Champions League noch einmal betreten, aber er hat einen leisen Abgang gewählt.
Paul Scholes wollte den Absprung nicht verpassen und entschied deshalb präzise und klar, ganz so, wie er auf dem Feld 676 Mal für die Red Devils gespielt hatte. Viele seiner Kollegen hingen und hängen zu verkrampft an ihrem Job, der manchmal zwei Dekaden der Lebensinhalt war.
Andere gehen noch für ein Jahr sportlich zweifelhafte Engagements in den USA, Katar oder Usbekistan ein. Für sehr viel Entlohnung zwar, aber trotzdem ramponiert dort jedes absolvierte Spiel den vorher mühevoll aufgebauten Ruf.
Karriereende mit Würde
Pep Guardiola landete einst nach einem Aufenthalt bei Al-Ahli/Katar in Mexiko, bei Dorados de Silanoa. Ein merkwürdiges Ende für einen Spieler seiner Klasse. Heute würde er sicher anders entscheiden, hat er einmal gesagt. Sehr wahrscheinlich so wie Paul Scholes.
Nur wenige Spieler konnten das Spiel so gehaltvoll inspirieren und gleichzeitig auch schlicht halten wie Guardiola und Scholes, deren Karrieren sich zwar überschnitten, die aber kaum einmal echte Berührungspunkte miteinander hatten.
Und dennoch verfasste Guardiola einst ein Lob, das wie ein Ritterschlag Gehör fand. "Dürfte ich mir einen Spieler aussuchen aus den vielen außergewöhnlichen Spielern bei Manchester United, ich würde Scholes nehmen. Er ist der beste Mittelfeldspieler seiner Generation. Ich wünschte, ich hätte je mit ihm zusammen in einer Mannschaft spielen können."
Edgar Davids: "Scholes ist der Beste!"
Ende der 90er Jahre läutete eine neue Riege von Mittelfeldspielern einen frischen Trend ein. Spieler wie Patrick Vieira oder Edgar Davids bewachten die Zone rund um die Mittellinie und 20 Meter dahinter aggressiv wie nie zuvor.
Der Fußball hatte das defensive Mittelfeld als Keimzelle des Spiels entdeckt, also mussten hier technisch exzellente ausgebildete, aber gleichzeitig auch hundsgemeine Kerle aufräumen und das eigene Spiel entwickeln.
"Da drüben gut, hier aua", hatte Jens Jeremies einmal eben Vieira während eines Spiels der Bayern gegen den FC Arsenal versprochen und dabei auf die Mittellinie gezeigt. Kommst du über diese Grenze, wird es ziemlich ungemütlich für dich werden.
Davids galt damals als Prototyp dieser Spezies, nicht umsonst hatte er sich bereits zu seiner Zeit bei Ajax Amsterdam den putzigen Beinamen Pitbull erworben. Und trotzdem sagte Davids in der Blüte seiner zeit: "Ich soll der Beste sein? Paul Scholes ist der Beste für mich!"
Scholes gab ManUtd eine Struktur
Scholes war allenfalls in Nuancen einer jener Tyrannen. Er konnte gewiss auch körperliche Akzente setzen, übertrieb es mit der Härte aber nicht. Ein universeller Krieger, der das Spiel der Red Devils vielmehr ordnete und ihm eine Struktur verpasste, defensiv wie offensiv.
Eric Cantona, David Beckham, Cristiano Ronaldo oder Wayne Rooney waren die Gesichter von Manchester United in der jüngeren Vergangenheit. Scholes war seine Ideologie dahinter. United hat viele seiner Titel unter Sir Alex Ferguson wie eine unspektakuläre Ergebnismaschine errungen. Dafür war er wie geschaffen: Um Titel zu gewinnen. Es gibt Dinge, die gehören einfach zusammen.
David Beckham hat sich längst in den Untiefen der Major League Soccer versteckt, und ist trotzdem weiter eine globale Ikone des Fußballs. Scholes dagegen blieb seiner einzigen Passion treu: Er sammelte mit United Titel um Titel, am Ende waren es zehn in der Premier League und zwei in der Champions League. Die Beziehung zwischen dem Sir und ihm war eine spezielle, er hatte Alex Ferguson alles, und der ihm vieles zu verdanken.
Zu langweilig für die Yellow Press
Aber trotz der vielen Trophäen und Medaillen blieb Scholes immer ein Anti-Held der Glitzer-Bling-Bling-Gesellschaft Profi-Fußball, "no booze, orgies or scandals - just football". Viele Fußballer leben ihre Privilegien gerne konsequent aus, besonders in England wird das Bild kultiviert, dass ein Profi auch ein Lebemann sein darf. Mit fast allem, was dazugehört.
Die ganz dicken Fische bekommen von den Boulevardmedien einen Journalisten abgestellt, der sich nur um den Spieler zu kümmern hat. 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Jede noch so winzige Kleinigkeit findet dann den Weg in die Blätter, am besten verkaufen sich halbseidene Geschichten aus dem Privatleben.
Paul Scholes war dabei für die Yellow Press so interessant wie ein Spieler von Hartlepool United aus der vierten Liga. Er war ein Grenzgänger zwischen einem völlig normalen Leben und dem Irrsinn des Fußballgeschäfts, fast schon furchtbar langweilig war seine Attitüde.
Fixpunkt der englischen Fans
"Am liebsten hätte ich jeden Tag gleich: Training am Morgen, danach die Kinder von der Schule abholen, mit ihnen eine Runde spielen, eine Tasse Tee, die Kinder ins Bett bringen und dann noch ein bisschen die Glotze an. Das ist für mich der ideale Tag."
In der Premier League, die sehr von Ausländern aus aller Herren Länder dominiert wird, war Scholes auch immer der Fixpunkt des englischen Fußballs: Rau, bedingungslos, leidenschaftlich, kraftvoll und doch auch elegant und gewitzt. Deshalb mochten ihn auch Fans, die mit Manchester United überhaupt nichts anfangen konnten. Ein bisschen wie Mehmet Scholl in Deutschland.
Jetzt aber sagten ihm seine Beine, dass es an der Zeit ist, aufzuhören. Seine Stollen fanden beim Tackling zuletzt öfter auch mal den Knochen des Gegenspielers, so als wolle er sich noch einen dieser jungen Spunde greifen.
Mit 36 ist Schluss
Scholes erklärt diese neue Schwäche aber anders: "Das ist keine Absicht, ich finde einfach nicht das richtige Timing." Angeblich hätte er diese Schwäche schon immer latent mit sich herumgetragen. Ihm musste niemand sagen, dass es besser wäre, endlich Schluss zu machen. Auch das kann die Größe eines Spielers definieren.
Bald werden andere Spieler kommen, die ebenfalls Scholes' Qualifikationen besitzen, vielleicht gewinnen sie auch genauso viele Trophäen wie der 36-Jährige. Aber dann wird immer auch noch er da sein - als Maßstab und zum Vergleich, wie gut die Neuen wirklich sind.
Paul Scholes im Steckbrief