Welbeck, Young, Jones: Three Lions reloaded

SID
Danny Welbeck, Phil Jones und Ashley Young (v.r.n.l.) verkörpern die neue junge Garde
© Getty

Nach der 1:4-Niederlage gegen Deutschland bei der WM in Südafrika war die Verzweiflung der Engländer groß. Die Goldene Generation hatte versagt und talentierter Nachwuchs war nicht in Sicht. 15 Monate später scheint die Talsohle durchschritten. In In Englands Kader wimmelt es nur so vor jungen, unbelasteten Talenten.

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Die Ankläger hatten im "Royal Bafokeng Sports Palace" ihr Plädoyer fast abgeschlossen, als die Verteidigung den Kronzeugen aufrief. "Bobby Zamora", antwortete der für das WM-Debakel persönlich haftbar gemachte Nationaltrainer Fabio Capello am Tag nach der 1:4-Niederlage gegen Deutschland in Bloemfontein auf die Frage nach zukunftsträchtigen Spielern. Der Name ließ die Reporter erschaudern: der Stürmer vom FC Fulham war damals schon 29 Jahre alt.

Die für den vehement geforderten Neuanfang nötigen jungen Talente, wollte der Italiener damit sagen, gab es auf der Insel schlichtweg nicht. "Young players? Where are the young players?", fragte Don Fabio mit einer Mischung aus Trotz und Verzweiflung.

Seit jenem düsteren Nachmittag in Rustenburg sind 15 Monate vergangen. Aus der Spielerdiskussion auf der Insel ist wieder eine Trainerdebatte geworden, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau: außer Harry Redknapp (Tottenham) gibt es derzeit keinen ernsthaften englischen Kandidaten für Capellos Nachfolge.

Was die kickende Belegschaft angeht, scheint die Talsohle allerdings eindeutig überschritten. Ein Blick auf den Kader für das entscheidende EM-Qualifikationsspiel gegen Montenegro in Podgorica lässt erkennen, dass Englands Zukunft allmählich zu beginnen scheint.

Auf einmal wimmelt es nur so von gut gelaunten, von den Pleiten der Vergangenheit unbelasteten jungen Leuten; die vermeintlich Goldene Generation um Frank Lampard und Steven Gerrard (nach langer Verletzungspause nicht berücksichtigt) befindet sich dagegen klar auf dem Rückzug.

Bezeichnend für diese Entwicklung ist die Nominierung von Phil Jones: der 19-Jährige darf sich nach eindrucksvollen Leistungen für Manchester United Hoffnungen auf sein erstes Länderspiel machen, während der weitaus erfahrenere Vereinskollege Rio Ferdinand (32, 81 Länderspiele) nach einigen Wacklern im Dress der Roten nicht in die Nationalmannschaft eingeladen wurde.

"Rio ist immer noch ein Rolls-Royce-Verteidiger", sagte United-Stürmer Danny Welbeck am Dienstag. Doch gerade an seiner Personalie lässt sich ablesen, dass demnächst die Fahrt ohne die alten Granden abgehen dürfte. Der 20-Jährige Angreifer kombiniert in dieser Saison so hervorragend mit Wayne Rooney, dass Capello die Partnerschaft dem Vernehmen nach auf nationaler Ebene replizieren möchte. Welbeck werden gute Chancen nachgesagt, im City-Stadion von Anfang an zum Einsatz zu kommen.

Routiniers wie Darren Bent (27, Aston Villa) oder die gar nicht erst berücksichtigten Jermain Defoe (28, Tottenham) und Peter Crouch (30, Stoke City) haben das Nachsehen.

Micah Richards (23, Manchester City), Spurs-Rechtsverteidiger Kyle Walker (21), Andy Carroll (22, Liverpool) und Theo Walcott (22, Arsenal), die es 2010 allesamt nicht in Capellos WM-Kader schafften, drücken den Altersdurchschnitt auf knapp 26 Jahre, die Three Lions sind damit im Schnitt fast zwei Jahre jünger als in Südafrika.

Darüberhinaus wird Arsenals verletzter Mittelfeldspieler Jack Wilshere (19) im nächsten Jahr definitiv zurück kommen; vielleicht zusammen mit Chris Smalling (21), Tom Cleverley ( 22, beide ManUtd), Daniel Sturridge (Chelsea, 22) und Jordan Henderson (21, Liverpool).

Capello hält auch große Stücke auf Alex Oxlade-Chamberlain, obwohl der 18-Jährige seit seinem Wechsel von Southampton erst zwei Mal in der Startelf der Gunners stand. "Er ist ein sehr interessanter Spieler, ich bin sehr beeindruckt von ihm", sagte Capello. In den für den Fall der direkten Qualifikation avisierten Freundschaftsspielen gegen Spanien und Holland, deutete der Italiener an, würde der Offensivmann in seinen Planungen eine Rolle spielen.

Englands "New Wave" kommt relativ überraschend über das Land, wenn man bedenkt, dass Sir Trevor Brooking sich noch in Südafrika unheimlich skeptisch zeigte. Die Goldene Generation müsse ihre Chance nutzen, warnte der Leiter der FA-Nachwuchsabteilung vor dem Desaster in Bloemfontein - so schnell würden nämlich keine guten Spieler nach kommen.

Im wesentlichen gibt es zwei miteinander zusammen hängende Gründe für die positive Entwicklung. Zum einen hat der Status von vielen gestrigen Superstars in den Vereinen seit der WM so stark gelitten, dass sie mittlerweile um ihre Stammplätze bangen müssen. Das hat sie auch in der Nationalelf angreifbar gemacht und Capello die Tür für Veränderungen geöffnet. Ganz England schrie im Sommer 2010 beinahe hysterisch nach frischen Gesichtern.

Zum zweiten profitiert der knorrige Coach auch von einem neuen Trend in der Liga: junge englische Spieler sind trotz der horrenden Preise, die für sie aufgerufen werden, wieder schwer in Mode.

Manchester United und Liverpool vertrauen in dieser Spielzeit ganz explizit auf einheimische Talente, selbst beim grundsätzlich international ausgerichteten FC Arsenal sind durch den Weggang ausländischer Leistungsträger (Fabregas, Clichy und Nasri) Planstellen für Engländer frei geworden.

Die überwiegende Mehrzahl der Premier-League-Vereine kann sich soviel Patriotismus nicht leisten. Doch das fällt kaum ins Gewicht.

Capello ist ein Trainer, der sich von Männern besonders dann beeindrucken lässt, wenn sie sich in Topvereinen durchsetzen. Als Spieler beim FC Sunderland bzw. den Blackburn Rovers hatten Welbeck und Jones in der Vorsaison trotz ähnlicher Spielstärke keine reelle Chance auf eine Berücksichtigung.

Damit die ganz große Euphorie ausbricht, muss sich das neue England erst noch gegen hochkarätige Gegner beweisen. Aber allein die Tatsache, dass Capello urplötzlich über einige echte personelle und taktische Alternativen zu den alten Gesichtern und Ideen verfügt, lässt das leidgeprüfte Fußballland Mut schöpfen - wenn auch vorsichtig.

Denn einen Überfluss an talentierten Kräften kann Capello gerade im Sturm ja auch nicht beklagen. Ein gewisser Bobby Zamora, 30, hätte es sonst wohl kaum in den Montenegro-Kader geschafft.

Die Premier League in der Übersicht

Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 16 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim früheren Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungierte Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 36-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.comtätig und auch unter twitter.com/honigstein zu finden.

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