Roberto Mancini steht nun wahrlich nicht im Verdacht, ein besonders großer Spaßvogel zu sein. Und deshalb herrschte vergangene Woche auf der Pressekonferenz vor dem Duell gegen Tottenham für einen kurzen Moment betretene Stille. Auf die Frage, ob die Spurs derzeit den besten Fußball der Liga zeigen, hatte ManCitys Coach trocken geantwortet: "Nach uns vielleicht."
Einen Augenblick später schob Mancini dann allerdings mit einem Grinsen ein "Spaß beiseite" hinterher. "Den besten Fußball der Liga spielt derzeit Swansea", sagte der Italiener schließlich. Und er meinte es ernst.
Komplimente von Wenger
Swansea City liegt aktuell auf Tabellenplatz 13 und ist damit noch nicht mal bester Aufsteiger. Und dennoch begeistert der erste walisische Klub der Premier-League-Geschichte nicht nur Mancini, sondern fast die ganze Insel.
"Swanselona" nennen die Briten das Team von Coach Brendan Rodgers, weil die Art und Weise, wie die Swans Fußball spielen, doch sehr an den FC Barcelona erinnert. Als "technisch perfekt" bezeichnet Fußball-Ästhet Arsene Wenger den Spielstil der Waliser, die derzeit drauf und dran sind, sich als spielstärkstes Team der Liga zu etablieren - und damit Arsenal, das jahrelang für seine gepflegte Spielweise gefeiert wurde, den Rang abzulaufen.
Letzte Saison: immer mehr Ballbesitz
Völlig überraschend kommt das allerdings nicht. Schon in der letzten Saison verzückte die Rodgers-Elf mit ihrer Spielweise viele Experten, wenn auch nur in der zweiten Liga. "Wir haben einen anderen Ansatz, als den Ball immer schnell, meist mit langen Bällen, nach vorne zu tragen", erklärt Rodgers.
Der Swans-Coach will Spielkontrolle und predigt seinen Akteuren, den Ball zunächst in den eigenen Reihen zu halten, um erst zuzuschlagen, wenn sich tatsächlich eine vielversprechende Gelegenheit auftut. "Wenn es diese Möglichkeit nicht gibt, versuchen wir es auch nicht. Wir behalten dann lieber den Ball und warten auf den nächsten Moment", sagt Rodgers.
Die Folge: In der vergangenen Saison gab es kein einziges Liga-Spiel, in dem der Gegner mehr Ballbesitz hatte als Swansea. An dieser Spielidee hat sich auch nach dem Aufstieg und vier sieg- und torlosen Partien zum Saisonauftakt nichts geändert.
Im Schnitt bringen es die Swans pro Spiel auch in der Premier League auf 56 Prozent Ballbesitz und sind damit hinter Arsenal, ManCity und Chelsea die Nummer vier der Liga.
85 Prozent aller Pässe sind Kurzpässe
Richtig beeindruckend wird der Swansea-Fußball allerdings erst, wenn man sich das Spiel gegen den Ball und die Qualität des eigenen Ballbesitzes anschaut.
Hat Swansea den Ball in den eigenen Reihen, soll er dauernd zirkulieren. Schnell, aber vor allem einfach. Mit kurzen Pässen, über viele Stationen. 526 Pässe spielten die Swans in der vergangenen Spielzeit pro Partie, der Liga-Schnitt lag bei 312. In dieser Saison sind es sogar noch ein paar mehr. 85 Prozent davon sind Kurzpässe. Passen, immer wieder passen. So will es Rodgers sehen.
In Spanien nennt man diesen Stil Tiqui-taca. Keiner beherrscht Tiqui-taca besser als der FC Barcelona. Rodgers lässt sich davon inspirieren. Der 38-Jährige verfolgt nahezu jedes Barca-Spiel zuhause vor dem Fernseher. Und so kommt Swansea wie Barcas kleiner Bruder daher.
Britton ist Swanseas Xavi
Der Gestalter bei den Katalanen ist Xavi. Swanseas Xavi heißt Leon Britton. Der 29-Jährige ist Dreh- und Angelpunkt der Waliser. Fast jeder Angriff hat bei ihm seinen Ursprung, an kaum einer Ballstafette ist er nicht beteiligt.
Wie perfekt Britton seine Rolle ausfüllt, zeigen die Zahlen. Rund 93 Prozent seiner Pässe landen beim Mitspieler. Damit ist er die Nummer eins in den Top-Ligen Europas! Selbst Xavi kann da nicht ganz mithalten. Allerdings: Spaniens Superstar spielt pro Partie fast doppelt so viele Pässe wie Britton.
Dennoch ist verblüffend, wie sich Brittons und Xavis Spiel doch ähneln. Nur rund 23 beziehungsweise 22 Prozent ihrer Pässe spielt das Duo nach vorne, etwa die Hälfte der Abspiele finden in der gegnerischen Spielhälfte statt und rund ein Fünftel im letzten Angriffsdrittel.
Was für Xavi gilt, gilt auch für Britton: Stets in Bewegung, immer für das kurze Anspiel in den Fuß bereit stehen, den Ball ansaugen, schnell weiter passen und sich wieder freilaufen und anbieten. Kommen, passen, gehen. Kommen, passen, gehen. Immer wieder.
85 Prozent Passgenauigkeit
Britton verkörpert Swanseas Spielidee wie kein anderer. Alleine ist er aber nicht. Die gesamte Mannschaft bringt es auf rund 85 Prozent Passgenauigkeit und spielt damit in einer Liga mit Barca, Chelsea, City, Bayern und Real - den besten Teams der Welt. Nach anderen "No-Names" muss man in dieser Kategorie lange suchen.
Zu den Allerbesten zählt dabei auch Joe Allen (90 Prozent). Er ist Swanseas Iniesta und Brittons kongenialer Partner im zentralen Mittelfeld. Mal agiert der 21-Jährige als offensiver Part der Doppelsechs neben Britton, meist jedoch als Zentral-offensiver in einem Mischsystem aus 4-2-3-1 und 4-3-3.
Allen sucht häufiger den Weg Richtung Strafraum, geht auch mal mit Tempo ins Eins-gegen-Eins, kreiselt im Spielaufbau aber mit Britton zusammen in der Zentrale, um eine schnelle Ballzirkulation in Gang zu setzen. So wie Xavi und Iniesta.
Teilweise im 2-4-4
Auffällig: Sobald der Ball in den eigenen Reihen kontrolliert wird, macht Swansea das Feld so groß wie nur möglich, um im Zentrum viel Platz zu schaffen. Heißt: Die beiden Flügelspieler, Scott Sinclair und Nathan Dyer, kleben als klassische Links- und Rechtsaußen an den Außenlinien und ziehen die Viererkette und das defensive Mittelfeld des Gegners dadurch weit auseinander.
Die Spieleröffnung findet in der Regel immer durchs Zentrum über Britton statt, so dass sich die beiden Außenverteidiger sofort nach vorne orientieren und anschieben können. Aus 4-2-3-1/4-3-3 wird dann schnell auch mal ein 2-4-4. Gegen Sunderland spielte Swansea so fast 90 Minuten lang. (siehe Grafik)
Auf den Außenbahnen herrscht dadurch viel Betrieb, den Flügelspielern (Sinclair und Dyer) bietet sich die Chance einzulaufen. Ein Großteil der Angriffe wird, wenn sie tatsächlich zu Ende gespielt werden, über die Außen vorgetragen. Das belegt auch die Statistik: Kein Team in England greift seltener durchs Zentrum an als die Swans.
Aggressives Gegenpressing
Doch nicht nur bei eigenem Ballbesitz hat die Rodgers-Elf einen klaren Plan, sondern auch im Spiel gegen den Ball. Pressing und Gegenpressing heißen die Schlüsselwörter. Und da ist es egal, ob der Gegner Manchester United oder Wolverhampton heißt.
Während in Sachen Pressing variiert wird und man den Gegner durch geschicktes Anlaufen auch mal ins Mittelfeld lockt, wird nach Ballverlust sofort aggressiv gegen den Ball gearbeitet. Hat man die Chance, den Gegner unmittelbar wieder unter Druck zu setzen, verzichtet das Mittelfeld auf Rückzug und verteidigt sofort nach vorne.
Der zweite Sechser schiebt dann eine Position nach vorne, so dass aus dem 4-2-3-1/4-3-3 ein 4-1-4-1/4-1-2-3 wird. Die Viererkette rückt dagegen nicht so konsequent mit nach vorne auf, um eine ausreichende Absicherung zu gewährleisten, wenn die schnelle Rückeroberung nicht gelingt.
Swansea stößt auch an Grenzen
Mit der Mischung aus dem Spiel bei eigenem Ballbesitz und dem Agieren ohne Ball hat Swansea seinen Weg gefunden, erfolgreichen Fußball zu bieten. "Wir schauen auf uns", sagt Rodgers. "Wir glauben an die Art und Weise, wie wir Fußball spielen und haben Vertrauen darin."
Swanseas Spiel ist aber noch längst nicht perfekt. Regelmäßig stoßen die Waliser mit ihrer Spielweise auch an Grenzen. Gegen Sunderland spielten die Swans am vergangenen Wochenende 736 Pässe (631 zum Mann), Sunderland dagegen nur 337 (226 kamen an). Tore machte aber nur der Gegner.
Rodgers beschäftigen solche Partien immer sehr lange. Doch Zweifel an der eigenen Spielidee hat Swanseas Coach auch nach Niederlagen nicht. "Es geht nicht darum, ob das der richtige oder falsche Weg ist. Es ist unser Weg. Das ist das Entscheidende."
Der Kader von Swansea City