Der vergangene Mai hielt für den FC Everton eine Nachricht bereit, die man im blauen Teil Liverpools jahrelang nicht für realistisch hielt. Doch nach elf Jahren an der Seitenlinie im Goodison Park nahm Trainer David Moyes das prestigeträchtige Angebot von Manchester United an. In den Jahren zuvor transformierte Moyes den "Peoples Club" von einem Abstiegskandidaten in einen permanenten Europacup-Anwärter. Einzig zu einem Titel sollte es nie reichen.
Der Verein wirkte nach Moyes' Verkündung aber nicht geschockt, sondern präsentierte nur ein paar Wochen später Roberto Martinez als Nachfolger.
Der Spanier hatte sich den letzten sechs Jahren bei Swansea City und zuletzt Wigan Athletic einen hervorragenden Ruf auf der Insel erarbeitet. Wigan verließ er trotz des Abstiegs aus der Premier League mit einem Sahnehäubchen: Dem Gewinn des FA Cups, dem größten Erfolg in der Vereinsgeschichte der Latics.
Gewinner des Deadline Day
Bei Everton beweist Martinez auf Anhieb ein gutes Händchen: Die Toffees waren das letzte Team in der 1. Liga, das eine Niederlage einstecken musste. Dieser zwischenzeitliche Erfolg wird von einer Mannschaft getragen, die im Vergleich zum Vorjahr ein neues Gesicht erhielt. Das prägnante von Marouane Fellaini ist Geschichte, der Belgier gesellte sich zu Moyes' Red Devils - für über 30 Millionen Euro Ablöse.
Überhaupt war Everton so etwas wie der heimliche Gewinner des "Transfer Deadline Day". Neben Fellainis Verkauf krallte sich der Klub auf den letzten Drücker Sturmhoffnung Romelu Lukaku (vom FC Chelsea ausgeliehen), den erfahrenen Gareth Barry (von ManCity) und James McCarthy von Martinez' Ex-Klub Wigan.
Bereits zuvor brachte der neue Coach von den Latics Arouna Kone (Sturm), Antolin Alcaraz (Abwehr) und Keeper Joel Robles mit. Hinzu kommt der aus Barcelona ausgeliehene Gerard Deulofeu, der unter seinem Landsmann behutsam an die Härte der Premier League herangeführt werden soll.
Flexibler ohne Fellaini
Aufgrund dieses Kommen und Gehens haben sich die Hierarchien innerhalb der Truppe etwas verändert. Die Lücke des unangefochtene Leader Fellaini, dessen Verlust personell von McCarthy und Barry aufgefangen werden soll, werden der neue Kapitän Phil Jagielka und Leighton Baines schließen müssen.
"Natürlich kann man Felli nicht eins zu eins ersetzen. Aber wir sind taktisch nun flexibler", meinte Martinez. Das liegt auch am 19-jährigen Ross Barkley. Der englische Rohdiamant ist das größte Talent im Kader und durfte bisher in allen Liga-Spielen von Beginn an mitwirken.
Der spanische Einfluss der Trainerbank ist im Goodison Park bereits jetzt sichtbar. Martinez legt traditionell viel Wert auf Ballbesitz und schnelles Umschaltspiel. Der lange Hafer, den man unter Moyes doch immer wieder auspackte, gehört der Vergangenheit an. Auch die Defensive funktioniert schon ordentlich, die Viererkette machte bislang einen soliden Eindruck.
"Einflüsse von Martinez sind sofort sichtbar"
"Wenn du gute Resultate einfahren willst, musst du große Veränderungen vornehmen", sagt Martinez. "Es wird Zeit und auch ein bisschen Verständnis brauchen, aber was wir in den letzten Wochen bisher geleistet haben, ist unglaublich. Ich glaube nicht, dass so etwas mit einem anderen Team in dieser kurzen Zeitspanne möglich gewesen wäre."
Die Arbeit des Coachs kommt auch bei den Spielern gut an. Verteidiger Johnny Heitinga lobte auf seine alten Tage: "Während des Trainings machen wir nahezu alles mit dem Ball. Die spanischen Einflüsse von Martinez sind sofort sichtbar. Er ist ein Anhänger des Barca-Stils und der niederländischen Fußball-Schule. Er versucht beides zu vereinen. Der Kombinations-Fußball, den wir derzeit spielen, ist eine angenehme Abwechslung."
Doch nicht nur beim kickenden Personal, auch eine Etage weiter oben harmoniert Martinez mit seinen Vorgesetzen. Bereits in Wigan pflegte er ein relativ freundschaftliches Verhältnis zu Klub-Eigentümer Dave Whelan.
Finanzielle Situation nicht rosig
Das gelingt ihm derzeit auch in Liverpool, der mit einer Schottin verheiratete Spanier und Everton-Eigentümer Bill Kenwright verstehen sich bereits ausgezeichnet. "Es ist wichtig, einen verständnisvollen Besitzer zu haben. Bill ist ein Evertonian und wenn es mal ein größeres Problem gibt, antwortet er nicht mit Geld oder kurzfristigen Belohnungen, sondern immer im Sinne des Klubs", so Martinez.
Eine innige Freundschaft zwischen Trainer und Eigentümer verbessert die finanzielle Situation aber nicht. Martinez muss wie bei Everton üblich mit einer nicht prall gefüllten Kriegskasse auskommen.
Alle Versuche von Theater- und Filmproduzent Kenwright, den Verein zu verkaufen, scheiterten bislang. Der Goodison Park gehört zwar zu den schönsten Stadien Englands, ist aber mittlerweile doch auch in die Jahre gekommen und sanierungsbedürftig.
Spielraum dank Fellaini-Millionen
Die Fellaini-Millionen haben dem Klub daher richtig gut getan. Everton hat noch einigermaßen Geld in der Hinterhand, um im Januar noch einmal gezielt in sein Team zu investieren. Das stellte Martinez nach dem Aus im Capital One Cup gegen Fulham, der bislang einzigen schlechten Nachricht, bereits in Aussicht.
Zusammen mit dem sportlichen Aufschwung sind die Perspektiven unter Martinez in kürzester Zeit damit durchaus aussichtsreich geworden. Dennoch befindet sich das Team weiterhin in der Findungsphase, Rückschläge kommen garantiert.
Die Hispanisierung des blauen Teils der Beatles-Stadt ist aber in vollem Gange. Dass es so kommen wird, damit hätten am Tage des Moyes-Wechsels wohl die wenigsten gerechnet.
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