Thomas Guerbert blickte am Boden liegend geschockt zum Betreuerstab. Die Augen weit aufgerissen. Schon im Fallen hatte er die Hand nach oben gerissen, wild gestikulierend. Die anschließenden Fernsehbilder verschlimmerten den ohnehin grausamen Anblick: Der Fuß des Mittelfeldspielers vom FC Sochaux stand vom restlichen Bein unnatürlich ab. Diagnose: Schien- und Wadenbeinbruch.
Vorausgegangen war ein brutales Einsteigen seines Gegenspielers. Dieser spielte bei seiner rücksichtslosen Attacke von der Seite zwar tatsächlich zuerst den Ball, räumte Guerbert aber anschließend in vollem Lauf mit gestreckten Beinen vom Spielfeld. Es war das erste Mal, dass Kurt Zouma international für Aufsehen sorgte.
Zouma wurde daraufhin vom französischen Verband für zehn Spiele gesperrt. Die Disziplinar-Kommission der Ligue 1 bestrafte damit die "gefährliche Attacke", bei der Zouma die Verletzung Guerberts billigend in Kauf genommen hatte. Der Vorfall ereignete sich am zwölften Spieltag der letzten Saison. Der 19-Jährige bestritt bis zum Winter kein Pflichtspiel mehr.
Überragende Physis
Gerade als es um Zouma wieder etwas ruhiger wurde, ging plötzlich alles ganz schnell. Jose Mourinho wurde zwischen den Jahren vorstellig, Chelsea sicherte sich für etwa 15 Millionen Euro langfristig die Dienste des französischen Talents (Vertrag bis 2019), an dem unter anderem auch der VfL Wolfsburg interessiert war.
"Er hat großes Potenzial, ist physisch bereit", lobte Mourinho damals. Um Zouma erst einmal wieder Spielpraxis zu ermöglichen, vereinbarten die Blues mit Saint-Etienne eine direkte Rückleihe. Der Innenverteidiger wurde nach seiner Sperre in allen zwölf verbleibenden Rückrundenspielen eingesetzt.
Zouma besticht durch eine überragende Physis. 1,87 Meter groß, an die 90 Kilogramm schwer, gigantische Sprungkraft und eine mehr als ordentliche Grundschnelligkeit - der "Independent" bezeichnete ihn einmal als "massive Wand aus Muskeln". Kopfballduelle, in die er eine immense Wucht steckt, führt er mit großer Entschlossenheit. In der Ligue 1 gewann er so fast 80 Prozent aller Duelle in der Luft.
Zweikämpfe auf schmalem Grat
Sein Spiel am Boden ist kompromisslos, wenngleich zuweilen sehr riskant. Wo andere Spieler den Gegner ablaufen, setzt Zouma gerne zur Grätsche an. Der Rechtsfuß räumt im Zweikampf alles ab, was sich ihm in den Weg stellt. Dabei handelt er sehr intuitiv: Antizipiert er nur die kleinste Möglichkeit, seinem Gegenspieler den Ball streitig zu machen, setzt er zum Zweikampf an.
Er überlegt nicht zweimal. Oft sind es dann nur wenige Zentimeter, die bei Zouma über ein perfektes Tackling oder eine übermotivierte Attacke entscheiden. Sein größtes Manko ist jedoch das Stellungsspiel, das augenscheinlich mit dem Level seiner Konzentration verknüpft ist. Hin und wieder unterläuft er hohe Bälle oder hat keine Augen für das, was in seinem Rücken passiert.
Kurt Happy Zouma, so heißt er mit vollem Namen, lernte das Kicken beim französischen Lokalverein FC Vaulx-en-Velin. Seinen Vornamen habe er übrigens durch den Van Damme-Film "Kickboxer" erhalten: "Meine Eltern mochten die Figur Kurt Sloane so gerne. In dem Film hilft er allen und ist muskulös. Sie dachten, mit diesem Namen würde ich auch so stark werden und immer ein Lächeln auf den Lippen tragen. Offensichtlich hat es geklappt," erklärte Zouma kürzlich in einem Interview mit "Chelseafc.co.uk".
Profi-Vertrag mit 16
2009 wechselte er in die Jugendabteilung des AS Saint-Etienne. Für einen ambitionierten Nachwuchsspieler war Saint-Etienne in der Vergangenheit oftmals ein gutes Pflaster. Der Klub brachte bereits Stars und Nationalspieler wie Gregory Coupet, Bafetimbi Gomis oder Faouzi Ghoulam hervor.
Nachdem er 2010 seinen ersten Profivertrag unterschrieb, folgte 2011 der Durchbruch. Mit gerade 17 Jahren gab der Youngster sein Debüt in der Ligue 1. In seiner Premierensaison kam er auf 21 Einsätze, darunter 13 von Beginn an. Sein Talent war stets unumstritten. Saint-Etiennes Trainer Christophe Galtier soll Zouma anfangs sogar verboten haben, den Namen auf dem Trikot zu tragen, um ihn vor dem Rampenlicht der großen Fußballbühne zu schützen.
Es dauerte aber nicht lange, bis er in den Fokus der europäischen Schwergewichte rückte. Zouma durchlief bereits sämtliche U-Nationalmannschaften in Frankreich. Als persönliches Ziel formuliert er die EM 2016 im eigenen Land. Überstürzen will er aber nichts. "Wenn ich in Saint-Etienne nicht spielte, war ich genervt. Ich habe aber dazugelernt. Ich nehme mir die Zeit, mich an der Seite der erfahrenen Spieler weiterzuentwickeln."
Vorbild Raphael Varane
Seit dem 1. Juli trainiert Zouma nun an der Stamford Bridge. Im Schatten der großen Namen Terry, Ivanovic und Cahill soll der Innenverteidier zu einer festen Größe heranreifen und zeitnah in deren Fußstapfen treten. Die Voraussetzungen dafür scheinen jedenfalls ideal: Bei Chelsea trifft der junge Abwehrspieler auf ein hochmodernes Umfeld.
Hinzu kommt, dass in David Luiz einer seiner größten Mitstreiter die Insel verlassen hat. Mit Mourinho hat er einen intelligenten Förderer als Mentor. Bestes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist Raphael Varane, den "The Special One" in Madrid vom Nobody zum Weltklasse-Verteidiger formte. Mourinho ist zudem ein Meister der Taktikschulung. Gerade in diesem Bereich fehlt es Zouma noch.
Erst einmal muss er aber in der Mannschaft Fuß fassen. Das neue Umfeld wirkt auf ihn beinahe noch surreal. Fast schon ungläubig merkt Zouma an: "Terry, Cech, Drogba - das sind großartige Spieler, die man im Fernsehen sieht oder auf der Playstation auswählt."
Stärke als größte Baustelle
Einen ersten Schritt in Richtung Startaufstellung hat er aber schon gemacht: In der dritten Runde des League Cups gegen die Bolton Wanderers debütierte Zouma für Chelsea. Als Torschütze zum 1:0 ebnete er den Blues den Weg zum 2:1-Erfolg.
Vorerst wird Zouma nicht über die Rolle des Back-ups hinauskommen. Seine Stärke, kompromisslose Zweikämpfe zu führen, ist gleichzeitig noch seine größte Baustelle. Dadurch, dass er nicht lange fackelt, sondern häufig den Ball überhastet nach vorne drischt, verhindert er in vielen Situationen einen geordneten Spielaufbau. Es fehlt ihm noch die Ruhe, sowohl mit als auch ohne Ball.
Mourinho wird ihn das lehren und einen kompletten Spieler aus ihm machen. Für ihn spricht schon einmal, dass sich Chelsea im Sommer gegen eine erneute Leihe entschied, sondern Zouma an der Stamford Bridge behielt. Der Klub erhofft sich offenbar viel von ihm. Man darf aber nicht vergessen, er ist erst 19. Zeit genug also, um bei Chelsea happy zu werden.
Kurt Zouma im Steckbrief