Es gibt sie schon noch, die ganz großen Unterschiede zwischen Manchester United und dem Stadtrivalen City. In den Farben etwa waren beide Klubs nie vereint: hier die Roten, dort die Himmelblauen.
Das Diktat der Premier League hat die beiden Vereine aber auf vielen Ebenen einander angenähert.
In einer Sache funkt man auch in Manchester weiter auf verschiedenen Wellenlängen. Anfang der Woche ist eine Auflistung des "International Center of Sports Studies" erschienen, die die Zahl jener Spieler erfasst, die entweder immer noch bei ihrem Ausbildungsverein aktiv sind oder in einem anderen Klub der fünf europäischen Top-Ligen.
Als "homegrown players" definiert die UEFA jene Spieler, die zwischen 15 und 21 Jahren mindestens drei Spielzeiten für den entsprechenden Klub aufgelaufen sind.
Der FC Barcelona führt das Ranking wenig überraschend an, 13 Spieler aus La Masia haben die Blaugrana derzeit unter Vertrag, immerhin 30 machten sich aus Kataloniens Kapitale auf in andere spanische Klubs, in die Bundesliga, die Premier League, die Serie A oder die Ligue 1.
Zwölf selbst ausgebildete Spieler im Kader
Dahinter rangiert dann bereits Manchester United als Europas zweiterfolgreichster Ausbildungsklub. Zwölf Spieler aus der United Academy spielen für die Red Devils, insgesamt sind es 36, die sich von Manchester aus in Europa verstreut haben.
Manchester City kommt auf zwölf Spieler, die aus der eigenen Fußballschule den Sprung in ein namhaftes Profiteam geschafft haben. Aber nur ein einziger ist auch für die Citizens aktiv: Dedryck Boyata, Belgier, 23 Jahre alt, Innenverteidiger. Einsatzminuten in dieser Saison: 20.
Zwölf United-Spieler mit Stallgeruch, nur einer bei ManCity. Womöglich ist auch das ein Grund dafür, dass die Red Devils neulich gegen WestBrom mit der zweitjüngsten Formation des (europäischen) Fußball-Wochenendes aufgelaufen waren - nur der FC Valencia stellte in Spanien eine noch jüngere Truppe.
24,6 Jahre jung war Uniteds Mannschaft beim Remis gegen WBA. Manchester City, zwei Tage zuvor 4:1-Sieger gegen die Tottenham Hotspur, entsandte ein Team mit einem Durchschnittsalter von 29,3 Jahren. Und damit das älteste der gesamten Premier-League-Saison bisher.
Sieben Spieler geben ihr Debüt
Einige der Vorahnungen, die sowohl Fans als auch Beobachter überkamen, als Louis van Gaal einen Dreijahresvertrag im Old Trafford unterschrieb, haben sich nach knapp einem Viertel der Saison bestätigt. Van Gaal wirbelt durch den Klub, er kappt alte Seilschaften, reißt veraltete Strukturen ein - und er ruft gemäß seiner Ankündigung die Jugend auf den Plan.
Sieben Spielern aus der eigenen Academy hat van Gaal seit seinem Dienstantritt im Juli ihr Debüt bei den Profis ermöglicht, darunter sind so hoffnungsvolle Talente wie Tyler Blackett, Paddy McNair, James Wilson oder Jesse Lingard. Van Gaal ist da Wiederholungstäter. Die Qualität und Quantität seiner Entdeckungen bei Ajax, in Barcelona, bei den Bayern und in Alkmaar ist legendär, sein Ruf eilte ihm auch in Manchester lange voraus.
Umso erstaunter reagierten die Experten, als United in der Transferperiode einen jungen Spieler nach dem anderen ziehen ließ. Der Klub der Busby Babes und der Class of 92 verhökerte sein juveniles Potenzial, raunten die Kritiker, und schoben ausgerechnet den Jugendentwickler van Gaal den schwarzen Peter zu.
Scharfe Kritik an van Gaal
Der ließ tatsächlich Tom Cleverley, Tom Lawrence, Nick Powell, Michael Keane und natürlich Danny Welbeck gehen. Zwar wurde nur Lawrence fix nach Leicester transferiert - die anderen drei wurden ausgeliehen -, unter dem Strich standen aber vier Nachwuchshoffnungen, die zumindest eine Saison lang nicht mithelfen dürfen, United wieder auf Kurs zu bringen - sondern die schlicht Platz schaffen sollten für neue, fertige und vor allen Dingen teure Spieler: Daley Blind, Luke Shaw, Marcos Rojo, Angel di Maria oder Radamel Falcao.
Das könne nicht van Gaals Weg sein, dachten wohl die meisten. Der Trainer aber musste seine Pfade ein wenig verlassen, um bei einem Klub, der nach Jahrzehnten mal wieder in einer veritablen sportlichen Krise steckte, einen echten Neuanfang zu starten. Van Gaal habe "das Versprechen in die Jugend" gebrochen, besonders der Verkauf von Welbeck, seit seinem achten Lebensjahr ein Red Devil, gab Anlass zu heftiger Kritik.
United habe seine Identität verloren, wenn der Klub nun Transfers wie den von Welbeck zulasse, schimpfte der ehemalige Ferguson-Co-Trainer Mike Phelan. Die rund 150 Millionen Pfund Transferausgaben inklusive des Premier-League-Rekordwechsels von Di Maria für 60 Millionen, bekräftigte die Kritiker nur noch.
Große Aufräumarbeiten sind nötig
Darüber vergaß der eine oder andere offenbar, dass United auch unter Sir Alex selten zimperlich auf dem Transfermarkt agiert hatte und vor Di Maria einst mit Juan Veron und Rio Ferdinand ebenfalls einige Bestmarken aufgestellt hatte.
Im Prinzip hat van Gaal nichts anderes bisher gemacht: Er hat teuer eingekauft, im Gegenzug aber auch den Spielern aus den eigenen Reihen genügend Chancen gegeben, sich zu zeigen. Der klassische United-Weg, nur dieses eine Mal eben ein wenig lauter beschritten.
Die Probleme, mit denen van Gaal zu kämpfen hatte und hat, waren zu Ferguson-Zeiten aber nie so drängend und tiefgreifend. Nach dem Missverständnis mit David Moyes lag der Klub in sportlicher Hinsicht in Trümmern: Nach der Ferguson-Ära ohne eine starke Figur am Steuer und mit einem Kader, der so wild und unausgeglichen zusammengestellt war, dass es so ziemlich jeder Trainer der Welt schwer gehabt hätte, damit Erfolg zu haben.
Moyes' Erbe und das von Ferguson schafft van Gaal im Moment aus der Welt. Selbst für einen wie ihn, der seit fast 30 Jahren im Trainergeschäft unterwegs ist, bot sich in Manchester eine neue Situation. Bei Ajax, in Barcelona, in Alkmaar, bei den Bayern: Nirgends musste er so viel Aufbauarbeit leisten. Quervergleiche mit seinen Anfangsmonaten etwa bei den Bayern hinken deshalb ein wenig.
Es fehlt noch die Balance
Was inhaltlich sichtbar ist, gleicht aber in etwa seinem Start in München. Die Punktausbeute ist fast identisch, in der Offensive sind schneller erste Fortschritte erkennbar als im Defensivverhalten, es fehlt noch an der nötigen Balance. Seine Kritiker bemängeln erst drei Siege nach neun Spielen und eine schlechtere Punktebilanz als Vorgänger Moyes (13 Punkte mit van Gaal, 14 mit Moyes nach neun Spielen) - sie übersehen aber die gegenläufige Entwicklung der Mannschaft.
Bei van Gaal ist in vielen Bereichen eine Verbesserung zu erkennen, umso wichtiger war der Last-Minute-Ausgleich von Robin van Persie zuletzt gegen Spitzenreiter Chelsea: Erfolgserlebnisse wie diese geben der Mannschaft in kleinen Schritten das Gefühl zurück, mithalten zu können. Van Persies Tor könnte im Rückblick noch so viel mehr gewesen sein als ein Ausgleichstreffer gegen die Blues.
Immerhin hat es van Gaal geschafft, Wayne Rooney bis zu dessen Verletzung wieder in die Spur zu bringen. Van Persie zeigt aufsteigende Tendenz, alle fünf Angreifer im Kader haben bereits getroffen. Und Marouane Fellaini, unter Moyes nicht selten als Lachnummer erkoren und neben dem erfolglosen Coach Sinnbild der völlig verkorksten letzten Saison, wurde zuletzt zweimal zum Man of the Match gewählt.
Vertrauen in die Jugend ist da
Auf der anderen Seite liegen die Probleme in der Innenverteidigung auf der Hand, zudem kommt quasi jede Woche ein neuer verletzter Spieler hinzu. Und ein begnadeter Spieler wie Juan Mata, dem als Rooney-Ersatz in den letzten Wochen eine tragende Rolle zugetraut wurde, enttäuscht bisher komplett.
Gegen Chelsea hatte United bei Abpfiff drei Teenager auf dem Platz stehen, einer davon war James Wilson. Van Gaal nahm nur einen Wechsel vor, Wilson kam für Mata aufs Feld. 36-Millionen-Neuerwerbung Ander Herrera blieb dafür ebenso auf der Bank wie die Routiniers Michael Carrick und Darren Fletcher.
Keine schlechte Referenz für einen 18-Jährigen, der auf seiner Position die klubinternen Konkurrenten Van Persie, Rooney und Falcao vor sich weiß. Louis van Gaal zumindest ist felsenfest von Wilsons Fähigkeiten überzeugt. Der Trainer hat ihm eine neue Rückennummer verpasst. Die 47 ist Geschichte, Wilson trägt in dieser Saison die 49. Wegen der Ziffer 9 darin. Der klassische Ausweis eines Mittelstürmers.
Der Kader von Manchester United