Nach der "härtesten Entscheidung" seines Lebens erschien Steven Gerrard am Freitagmorgen wie gewohnt am Trainingszentrum des FC Liverpool. Doch normal war bei den Reds an diesem 2. Januar nichts mehr, denn das lange Zeit Undenkbare ist nun Wirklichkeit: Das Klub-Idol wird die mythische Anfield Road am Saisonende nach 17 Profijahren verlassen. Liverpool verliert nicht nur seinen langjährigen Kapitän, sondern auch die unumstrittene Identifikationsfigur, einen Teil seiner Seele. Eine Legende.
Gerrard geht schweren Herzens. "Auf Wiedersehen zu sagen, wird sehr schwierig werden. Aber ich glaube, es ist das Beste für alle Beteiligten", sagte er. An die Fans gerichtet, die ihn Captain Fantastic rufen, fügte er hinzu: "Es war eine Ehre, Euch auf dem Platz zu vertreten, als Spieler und als Kapitän. Ich habe jede Sekunde davon genossen."
Nach der Ankündigung wurde Gerrard über die sozialen Netzwerke mit Sympathiebekundungen von Fans und Kollegen förmlich überhäuft. So twitterte sein früherer Mitspieler Luis Suárez: "Ich bin stolz, sagen zu können, dass ich mit einer Legende wie dir zusammengespielt habe."
Der Gefeierte selbst ließ am Abend seinen Gefühlen via Instagram freien Lauf: "Es war ein sehr emotionaler Tag für mich. Ich bin mir sicher, dass weitere folgen werden. Ich fühle mich geehrt von Eurer Unterstützung und Euren netten Worten. Der FC Liverpool ist mein Leben. Er war es, und er wird es immer sein."
Gerrards Karriere ist eine der Geschichten, die es im modernen Profifußball eigentlich gar nicht mehr gibt. 17 Profijahre beim gleichen Verein, 695 Spiele, 180 Tore - für seine Treue wurde Gerrard nicht nur von den eigenen Fans verehrt, sondern auch von jenen gegnerischer Klubs zumindest respektiert. Gerrard gehörte beim 18-maligen englischen Meister zum Inventar - wie die Hymne "You'll never walk alone" oder das legendäre Stadion. This is Anfield!
Schicksal verbindet Klub und Spieler
Doch noch viel mehr als das rein Sportliche band ihn das Schicksal schon früh an den Klub. Bei der Stadionkatastrophe von Hillsborough 1989 starb sein erst zehn Jahre alter Cousin Jon-Paul Gilhooley als jüngstes der 96 Opfer. Bei der Schweigeminute zum 25. Jahrestag vergoss Gerrard Tränen der Trauer.
Bereits im Alter von acht Jahren war der kleine Steven in die Jugendabteilung der Reds gewechselt, ein logischer Schritt für den Jungen aus dem Vorort Huyton. "Ich bin in einer Siedlung mit vielen Sozialwohnungen aufgewachsen, viele meiner Freunde sind arbeitslos - ich danke Gott, dass ich ein Ziel vor Augen habe", sagte Gerrard im Alter von 19 in einem seiner ersten Interviews.
Was folgte, war eine beeindruckende Karriere. Er gewann 2001 den UEFA-Cup, zweimal den FA Cup, absolvierte dazu 114 Länderspiele für England. Der Höhepunkt jedoch: Der Sieg 2005 im Finale der Champions League gegen den AC Mailand. Beim "Wunder von Istanbul" holten die Reds einen 0:3-Halbzeitrückstand innerhalb von sechs Minuten auf und siegten im Elfmeterschießen. Gerrard erzielte nicht nur das 1:3, sondern wurde auch zum Spieler des Spiels gewählt.
Traum bleibt unverwirklicht
Nur einen Traum wird Gerrard sich nicht mehr erfüllen: den Gewinn der englischen Meisterschaft. Mit seinem Abschied gibt er dieses Ziel auf - Liverpool liegt derzeit nur auf Platz acht der Premier League, 17 Punkte hinter der Spitze.
Gerrard beweist auch bei seinem Abschied Stil. Er kündigte an, nur zu einem Verein zu wechseln, der nicht gegen Liverpool antreten wird. "Das wäre etwas, was ich niemals in Erwägung ziehen könnte", sagte er. Sehr wahrscheinlich ist daher ein Wechsel in die USA.
Sollte Liverpool nicht ins Endspiel des FA-Cups einziehen, wird die Ära Gerrard am 24. Mai bei Stoke City enden, eine Woche zuvor wäre sein letzter Auftritt an der Anfield Road gegen Crystal Palace. Doch Gerrard will wiederkommen. Es sei sein sehnlicher Wunsch, eines Tages nach Liverpool zurückzukehren: in der Funktion, die am besten für den Verein sei.
Steven Gerrard im Steckbrief