Totgesagte leben länger

Von Marco Kieferl
Francois Coquelin hat sich seinen Platz im Mittelfeld der Gunners gesichert
© getty

Nach einer schwachen Saison beim SC Freiburg kehrte Francis Coquelin im Sommer zu Arsenal zurück. Die Verletzungsmisere wurde für Arsene Wenger zum Segen. Mit Coquelin läuft der Arsenal-Motor plötzlich auf Hochtouren. Dabei war seine Zeit in London eigentlich schon abgelaufen.

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"Er war zu Beginn der Saison nicht Teil meiner Pläne. Ich sagte ihm, er soll absolut alles geben bis Weihnachten, dann würden wir weitersehen", gab Arsene Wenger jüngst unumwunden zu. Wenn ein Spieler derlei Sätze von seinem Trainer hört, weiß er meist ganz genau, dass seine Zeit beim Verein abgelaufen ist. Erst recht, wenn ihn der Trainer im November zu Charlton Athletic in die Championship ausleiht. Doch bei Francis Coquelin kam es ganz anders.

Heute klingt Wenger ganz anders, wenn er über den 23-Jährigen spricht: "Er ist eine Überraschung für jeden. Die einzige Sache, die ich tue, ist, dass ich zu niemandem Nein sage. Er weiß, dass es jetzt eine Chance für ihn ist."

Als vielversprechendes Talent war Coquelin 2008 aus der Jugend des französischen Zweitligisten Stade Laval zu den Gunners gekommen. Trotz des U19-Weltmeistertitels als unumstrittener Stammspieler der Equipe Tricolore, bei der seit der U17 alle Nachwuchsauswahlen durchlief, kam er in der A-Mannschaft der Londoner nie über sporadische Einsätze hinweg. Ausleihen nach Lorient als Gegenwert für Laurent Koscielny, zum SC Freiburg oder zuletzt Charlton Athletic wurden zum Alltag.

Missverständnis Freiburg

Beim Sportclub sollte in der letzten Saison der Durchbruch gelingen. Christian Streich setzte den Franzosen entgegen seinen Paradepositionen im defensiven Mittelfeld oder den Außenverteidigerposten jedoch überwiegend auf dem offensiven Flügel ein. Eine Position, auf der der ungefährliche Coquelin mit gerade einmal zwei Toren und drei Vorlagen in mittlerweile 118 Partien als Profi nie seine Stärken ausspielen konnte. Ein Bänderriss im Sprunggelenk beendete im Dezember das Intermezzo beim Sportclub nach nur neun Startelfeinsätzen.

In der Folge kam Coquelin nicht mehr richtig auf die Beine - bis ihn Wenger im November nach Charlton auslieh. "Ich habe seit langer Zeit nicht mehr in der Premier League gespielt, aber ich denke, die Leihe zu Charlton hat mir eine Menge geholfen", gab Coquelin Anfang 2015 zu Protokoll: "Ich konnte wieder etwas Spielpraxis sammeln, dafür möchte ich Charlton danken."

Weniger als 14 Tage nach seiner Ausleihe war die Situation im Emirates Stadium schon eine ganz andere. Nach den schweren Verletzungen von Jack Wilshere und Mikel Arteta herrschte Notstand in Arsenals Mittelfeldzentrale. Abou Diaby laborierte ebenfalls an einem Kreuzbandriss, sodass Wenger nur noch auf Mathieu Flamini zurückgreifen konnte und nur weitere zwei Wochen später die Rückholklausel für Coquelin zog.

Rückkehr unerwünscht

Der war zunächst alles andere als begeistert. "Er war nicht froh, als ich ihn zurückgeholt habe", erzählte Wenger: "Er dachte, ich hätte ihn nur als Ersatzspieler eingeplant." Und tatsächlich kam Coquelin in den folgenden drei Partien nur zu handelsüblichen Kurzeinsätzen.

Seit dem 19. Spieltag jedoch gehört er zum Stammpersonal der Gunners und verpasste seitdem gerade einmal zwei Minuten. Der Erfolg spricht für sich: Seitdem Coquelin den alleinigen Part im defensiven Mittelfeld gibt, hat Arsenal zehn von zwölf Premier-League-Partien gewonnen und genauso viele Punkte geholt wie in den 18 Spielen zuvor.

Mit Coquelin kassiert man im Schnitt 0,75 Gegentore pro Partie, ohne ihn waren es 1,2 Gegentreffer pro Spiel. "Ich will nicht eingebildet klingen, aber ich hatte immer Vertrauen in mich. Ich wusste, dass ich gut bin und Wenger hat mir die Chance gegeben, das zu zeigen", zeigt sich der Held der Stunde im rot-weißen Trikot selbstbewusst.

Bester Abräumer der Premier League?

Statistisch gesehen hat sich Coquelin in nur 15 Einsätzen 2014/2015 zum überlegenen Premier-League-Leader in den Kategorien abgefangene Bälle und erfolgreiche Tacklings aufgeschwungen. Grandiose 64,7 Prozent seiner Duelle entscheidet der 23-Jährige laut OPTA derzeit für sich, in der Luft sind es trotz seiner nur 1,78 Meter sogar 67 Prozent. Nicht wenige sehen in ihm derzeit einen der besten Abräumer der Premier League.

Auch Aaron Ramsey stimmte umgehend in die Lobesarien mit ein. "Er spielt überragend derzeit. Durch seine Aggressivität gibt er dem Gegner nicht viel Zeit den Ball zu kontrollieren, deshalb gewinnt er so viele Tacklings", schwärmt der Waliser geradezu: " Es ist wirklich angenehm, einen Mittelfeldspieler hinter sich zu wissen, der defensiver denkt. Er gewinnt den Ball und hält unser Spiel so am Laufen."

Der Hype mag nach gerade einmal 12 Startelfeinsätzen und dem Ausscheiden in der Königsklasse etwas verfrüht sein, von der Hand zu weisen sind derlei Fabelwerte aber nicht.

Motoröl und Mittelfeldkrieger

Hinter den Offensivkünstlern ist Coquelin derzeit das Öl für Arsenals Mittelfeldmotor. Er erledigt die Drecksarbeit, damit Cazorla und Co. glänzen können. Als wilden, "tigerhaften" defensiven Mittelfeldspieler mit guter Beschleunigung und enormer Ruhe am Ball beschreibt ihn die offizielle Homepage von Arsenal.

Gunners-Legende Robert Pires geht sogar noch einen Schritt weiter: "Er ist eher ein Spieler wie Patrick Vieira oder Ray Parlour. Er ist defensiver als die anderen Mittelfeldspieler, ein richtiger Krieger. Er bringt mehr Aggressivität auf diese Position und das ist enorm wichtig."

Defense wins Championships

Coquelin hat das längst begriffen: "Ich bin hart im Zweikampf und habe einen guten Schuss. Aber meine Offensivfähigkeiten werden nicht wirklich gebraucht, wenn man hinter Spielern wie Sanchez, Cazorla, Özil, Giroud, Walcott oder Welbeck spielt. Ich bin da, um den Jungs die Arbeit zu erleichtern."

Sein Trainer lobt ihn dafür: "Er hat sehr gut begriffen, worin er wirklich gut ist: Das ist das Verteidigen im Mittelfeld. Er schwankte lange zwischen der Spielmacherrolle und dem klassischen Box-to-Box-Player, aber er ist keines von beidem. Er ist ein zurückgezogener Mittelfeldspieler, der seine Stärken im Ballgewinn hat."

Beinahe zwangsläufig wurde kürzlich sein im Sommer auslaufender Vertrag bis 2019 verlängert. Totgesagte leben länger - oder wie Arsene Wenger sagen würde: "Es ist ein langer und schwieriger Weg vom Talent zum gestandenen Profi, aber er ist auf dem besten Weg."

Francis Coquelin im Steckbrief

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