Die schwere Bürde des Erben

Von Frederick Müller
Gestolpert, aber nicht gefallen: David de Gea gehört mittlerweile zu den besten Torhürtern der Welt
© getty

David de Gea hat einen steinigen Weg hinter sich. Bei Manchester United wäre er beinahe an einem schweren Erbe und der Sehnsucht gescheitert. Heute steht er als einer der besten Torhüter der Welt kurz vor der Rückkehr in seine Heimat. Dort warten die nächsten Fußstapfen auf ihn.

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Den Zuschauern im Old Trafford stockt der Atem. Am 14. Dezember 2014 spielt Johnny Evans im Spiel zwischen Manchester United und dem FC Liverpool in der 51. Spielminute von der linken Außenbahn einen Pass Richtung eigenen Strafraum. Michael Carrick lässt das Zuspiel verträumt verstreichen, Raheem Sterling lauert im Rücken, schnappt sich die Kugel und läuft alleine auf das Tor zu. Zehn Red Devils bleiben wie versteinert stehen, doch einer ist auf dem Posten.

David de Gea kommt nicht einfach blind angerauscht, in der Hoffnung, vor dem schnellen Sterling an den Ball zu kommen. Stattdessen stellt er ihn ruhig und gelassen auf Höhe der 16-Meter-Linie. Er baut sich auf, so als würde er dem Gegner ins Gesicht sagen: Du kommst hier nicht vorbei. Der Angreifer der Reds versucht, den Keeper zu umkurven, doch mit kurzen, schnellen Schritten bleibt der auf der Hut, um den letztlich wackligen Abschluss mit dem rechten Fuß abzuwehren.

Es ist eine von insgesamt sechs herausragenden Paraden in einem Spiel, in dem LFC an einem einzigen Mann scheitert: David de Gea. ManUnited gewinnt mit 3:0 und der Stürmer-Schreck wird zum Man of the Match gekürt. Und es ist jene Parade, die besser als jede andere versinnbildlicht, was ein modernes Torwartspiel ausmacht - und wie es der Madrilene mittlerweile repräsentiert.

Ein schweres Erbe

Denn sein Stand zu Beginn beim englischen Rekordmeister war schwer. 2011 wechselte das damals 20-jährige Torwart-Talent für 20 Millionen Euro von Atletico Madrid nach Manchester. Der frisch gebackene Europa-League-Sieger sollte auf der Insel in die Fußstapfen von Edwin van der Sar treten, der nach sechs Jahren mit vier Meisterschaften, zwei Pokalsiegen und einem Champions-League-Triumph in den Ruhestand ging. Und dieses Erbe hing in im ersten Halbjahr wie ein Damoklesschwert über dem jungen Torhüter.

De Gea überzeugte nicht. Gegnerische Stürmer warteten nur auf die Bälle, die er mit hoher Wahrscheinlichkeit nach vorne abprallen ließ. Gary Neville legte in einer Analyse für Skysports dar, dass nur 56 Prozent der Flanken gesichert wurden, die Strafraumbeherrschung war inkonsequent. Und auch die Körpersprache ließ zu wünschen übrig: De Gea strahlte keine Dominanz aus, wirkte unsicher und eingeschüchtert. Seine 71 Kilo Körpergewicht verteilt auf 1,93 Meter Körpergröße waren alles andere als Angst einflößend in der körperbetonten Premier League, in der Härte und Standfestigkeit mehr gefragt sind als in jeder anderen Liga.

Heimweh und Sprachbarrieren

"Seine ersten sechs Monate waren grauenhaft", offenbarte auch Eric Steele im September 2013. Steele war der erste und bisher einflussreichste Torwarttrainer de Geas in Manchester. Er und Sir Alex Ferguson sind dafür verantwortlich, dass der junge Spanier, und nicht Manuel Neuer, der Nachfolger van der Sars wurde. "Er hatte Probleme mit seinem Lebensstil. Er schlief zu viel, aß zu viele Tacos. Wir mussten ihn zwingen, Proteindrinks zu sich zu nehmen und in den Kraftraum zu gehen. Er hasste es."

Steele sprach zudem von "Zeiten während der ersten Saison, da hat er armselig trainiert". Außerdem sei er zu faul gewesen, Englisch zu lernen. Viele brachten seine schwachen Leistungen auf und neben dem Spielfeld mit dem Heimweh in Verbindung, das ihn sichtlich zu schaffen machte. Er vermisste Familie und Freundin, die in Barcelona lebten.

Im Frühjahr 2012 verlor dann auch Coach Ferguson die Geduld. Nach Patzern im letzten Gruppenspiel der Champions League gegen den FC Basel und in der vierten Runde des FA Cups gegen Liverpool, die jeweils zum Turnieraus führten, sowie folgenschweren Fehlern in der Liga gegen Blackburn, erhielt Kontrahent Anders Lindegaard den Vorzug. Das Damoklesschwert schien von seinem Faden gerissen zu sein.

Des einen Leid ist des anderen Freud

Doch das Schicksal eines Fußballprofis kann sich bekanntlich schnell ändern. Nach nur vier Spielen verletzte sich Lindegaard am Knöchel, sodass de Gea gegen Chelsea wieder im Kasten stand. In einem epischen Spiel holte Manchester einen 0:3-Rückstand auf. Am Ende war es der Schlussmann, der in der 92. Spielminute einen Freistoß von Juan Mata mit einer spektakulären Flugeinlage aus dem Winkel kratzte und die erfolgreiche Aufholjagd sicherte. Es sollte der Wendepunkt seiner Karriere sein.

Auf einmal war der Spanier da. Er packte die zweite Chance beim Schopf und gab das Gehäuse im Old Trafford nicht mehr her. Zwar reichte es aufgrund des schlechteren Torverhältnisses gegenüber dem Stadtrivalen Manchester City nicht mehr für die Meisterschaft, doch den Triumph holte er nach.

Im folgenden Jahr dominierten die Red Devils die Liga, sicherten sich die Meisterschaft mit elf Punkten Vorsprung und de Gea wurde von den Spielern zum besten Torhüter der Saison gekürt. "Mit der Meisterschaft fühlte ich mich endgültig als Teil dieses Klubs. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen, mit dem Klub Geschichte zu schreiben", sagte der Premier-League-Sieger nach seiner bis dato erfolgreichsten Saison. "Es war hart am Anfang. Aber zwei Jahre sind im Fußball eine sehr lange Zeit und jetzt fühle ich mich total wohl und bin angekommen."

Der Fels in der Brandung

Die zwei Jahre nach der Meisterschaft lief beim zweimaligen Champions-League-Sieger nicht viel zusammen. Der Start in die Post-Ferguson-Ära endete mit der schwächsten Ligaplatzierung seit 1990. Louis van Gaal ist aktuell weiter damit beschäftigt, das Durcheinander, das durch das Missverständnis mit David Moyes verursacht wurde, aufzuräumen und führte Manchester in der Folgesaison zumindest wieder zurück in die Königklasse.

Die Entwicklung des U21-Europameisters 2013 wurde dadurch nicht beeinflusst. Als erster Torhüter überhaupt wurde er von den eigenen Fans zum besten Spieler des Jahres gewählt. Regelmäßig ist er der Fels einer wackligen und immer wieder neu formierten Elf, die sich nur langsam der Stärke nähert, die man von Manchester United gewohnt ist. Vereins-Ikone Roy Keane meinte passend dazu: "De Gea ist vermutlich zurzeit der beste Torhüter der Welt. Aber es ist nicht gut für United, dass er Woche für Woche zum Spieler des Spiels gewählt wird."

Die letzte Schwäche: Heimweh

Sein Jugendcoach bei Atletico Madrid, Angel Mejias, beschrieb bereits 2010 die Qualitäten, die ihn aktuell auszeichnen: "Dieser Junge ist kalt wie ein Wolf. Er hat Gelassenheit, Nerven und Selbstbewusstsein. Der Druck, den andere vielleicht spüren, macht ihm nichts aus". Steele ist derselben Meinung: "Eine seiner größten Stärken ist seine Ruhe".

Und mit den Jahren hat er es geschafft, seine größte Stärke immer besser einzusetzen. Der Goalie dominiert seinen Strafraum mit seiner Ruhe und Gelassenheit. Er schätzt die Situationen richtig ein, kontrolliert seinen Gegner und bringt sonst kaltschnäuzige Stürmer ins Schwitzen und so speziell im Eins-gegen-eins zur Verzweiflung. Ganz nebenbei pflückt der Hüne mittlerweile über 90 Prozent der Flanken, die in seinen Strafraum segeln, vom Himmel.

Aus seinen Schwächen wurden Stärken. Doch sein Heimweh ist geblieben. Seit Monaten sickert durch, dass eine Rückkehr nach Spanien zu Real Madrid bevorsteht. Bei den Königlichen soll er Iker Casillas ersetzen und damit in die aktuell einzigen Fußstapfen treten, die vermutlich noch größer sind, als die, die van der Sar damals bei United hinterlassen hat. Aber darin ist der 24-Jährige mittlerweile erprobt. In Manchester hat er bewiesen, dass er einen großen Torhüter ersetzen kann und ist selbst zu einem gereift.

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