Das ganze Drama gipfelte in dieser einen Szene. Als Liverpool-Legende Steven Gerrard im April 2014 bei der Heimniederlage gegen den FC Chelsea kurz vor der Halbzeit an der Mittellinie ausrutschte und Demba Ba das 1:0 ermöglichte, platzte der Traum der Reds von der ersten englischen Meisterschaft seit 1990.
Auch wenn noch zweieinhalb Spiele zu absolvieren waren, erholte sich der FC Liverpool von diesem Schock nicht mehr. Die unglückliche Aktion des Skippers wurde zum Sinnbild für die verlorene Titelchance in der Saison 2013/14. Gerrard am Boden, Chelsea in Führung, Manchester City in der Tabelle vorbei, der Titel weg.
Die Fans in Liverpool haben sich mittlerweile über ein Vierteljahrhundert mit der nationalen Durststrecke arrangieren müssen. Immer wieder wurden in dieser Zeit Hoffnungen auf grausame Art und Weise zerstört. Aber dieser eine Moment war auch ein erneuter Wendepunkt in der Geschichte des Klubs.
Entlassung der beste Schritt
Was folgte waren eine desaströse Champions-League-Saison und Platz sechs in der Liga. Der Dreikampf um die Meisterschaft in der Saison davor schien offensichtlich nur ein kurzer Ausflug gewesen zu sein.
Der Start in die neue Saison mit elf Punkten aus sieben Spielen hat Trainer Brendan Rodgers jetzt den Job gekostet. 17 Monate nachdem er sich fast in die Erfolgsgeschichte des Klubs eingetragen hätte, ist sein Weg an der Anfield Road beendet worden.
"Wir alle hatten wundervolle Momente mit Brendan Rodgers und sind sicher, dass er eine lange Trainerkarriere haben wird. Auch wenn es eine schwierige Entscheidung war, glauben wir, dass das Beenden unserer Zusammenarbeit der beste Schritt für eine erfolgreiche Zukunft ist", ließen die Klubeigentümer um John W. Henry in einem Statement auf der Vereinshomepage verlauten.
Rodgers verliert seine Spielidee
Acht Spieltage nur hat es gedauert, bis in den Entscheidungsträgern dieser Schluss gereift ist. Nicht der einzige Hinweis darauf, dass schon vor der Saison Zweifel am Coach vorhanden waren. Rodgers hat während seinen drei Jahren in Liverpool seine Linie verloren und zuletzt nicht mehr glaubhaft vermitteln können, welche Idee er mit seinem Fußball verfolgt.
Angetreten war der Nordire mit einer klaren Strategie des Passspiels und Ballbesitzfußballs, mit der er auch bei Swansea City erfolgreich war. Doch davon war am Ende nur noch wenig zu sehen. Liverpools Spiel fehlte der klare Plan, vieles blieb Stückwerk, konstant waren nur die Probleme in der Defensive, die auch schon die Fast-Meistersaison begleiteten.
"Bei den Investitionen hätte ich mir einen dauerhaften Fortschritt bei der Spielidee, dem Spielsystem und der Transferpolitik gewünscht", schrieb Ex-Liverpool-Spieler Jan Molby im Liverpool Echo. "Diesen Eindruck hatte ich die letzten 18 Monate aber selten."
Verfehlte Transferpolitik
Rodgers galt auch als Trainer, der junge Spieler langfristig entwickeln und sie besser machen kann. Auch das blieb er in seinen drei Jahren abgesehen von Raheem Sterling fast gänzlich schuldig. Dagegen hat er sich in diesem Klub mit seiner etwas verzwickten Transferpolitik aufgerieben. Denn in Liverpool entscheidet ein sechsköpfiges Komitee über Verpflichtungen.
Trotzdem ist es Rodgers nicht gelungen, dem Komitee die richtigen Spieler zu präsentieren, die Abgänge der Stars zu kompensieren und das viele Geld vernünftig zu investieren.
31 Spieler hat Liverpool seit 2012 verpflichtet und dabei knapp 400 Millionen Euro ausgegeben, allerdings in erster Linie für Spieler der Kategorie "Mittelklasse" wie Adam Lallana, Dejan Lovren oder Roberto Firmino. Den für 81 Millionen Euro zum FC Barcelona abgewanderten Weltklassestürmer Luis Suarez konnte Rodgers nie ersetzen.
Klopp und Liverpool? Das passt!
Sein Nachfolger wird einen ziemlich heterogenen Kader vorfinden, der auf gewissen Positionen vierfach, auf anderen hingegen gar nicht besetzt ist und in seiner Qualität trotz der enormen Investitionen nicht internationale Spitzenklasse verkörpert.
In England sind sich die Medien sicher, dass sich Jürgen Klopp auf die Herausforderung FC Liverpool einlassen wird.
In der Tat wirkt der zweimalige Meistertrainer mit seiner Emotionalität und Leidenschaft wie gemacht für die Anfield Road. Man kann sich gut vorstellen, wie Klopp im Trainingsanzug mit Kappe vor der legendären Tribüne The Kop steht und sich auf die Brust klopft, so wie es die Dortmund-Fans auf der Südtribüne kennen. Außerdem hat er in Dortmund bewiesen, dass er eine Mannschaft und einzelne Spieler entwickeln kann.
Der neben Klopp gehandelte Carlo Ancelotti ist als dreimaliger Champions-League-Sieger wohl im Moment eine Nummer zu groß für die Reds und soll laut ESPN nicht am Trainerjob in Liverpool interessiert sein.
FSG und Klopp? Das passt auch!
Das scheint bei Klopp anders. Während sein Berater beispielsweise Offerten von Olympique Marseille noch umgehend dementierte, ist es jetzt ruhig. Englische Medien berichten von guten Gesprächen zwischen beiden Parteien und von einem möglichen Vollzug am Donnerstag oder Freitag.
Auch der ehemalige Liverpool-Stürmer Michael Owen würde bei der Frage Klopp oder Ancelotti für den deutschen Trainer stimmen: "Ein junger und möglicherweise hungriger Trainer passt in dieser komplizierten Lage besser zu Liverpool."
Und er passt vermutlich auch besser zur übergeordneten Strategie der Inhaber der Fenway Sports Group (FSG), die vorsieht, in junge Spieler zu investieren und diese weiterzuentwickeln. Was die FSG und der FC Liverpool jetzt brauchen, ist ein Projektleiter, der dieses Vorhaben mit einer Idee auf dem Platz verknüpft. Klopp hat in Dortmund bewiesen, dass er genau das kann.
Das ominöse Transfer-Komitee
Als größte Hürde wirkt noch das Transfer-Komitee. Zwar erscheint der Gedanke dahinter sinnvoll, das klassische englische Manager-Modell aufzubrechen und die Aufgaben auf mehrere Köpfe zu verteilen. Das dürfte auch Klopp so sehen, der sich sicher nicht auch noch als Sportdirektor um Spielertransfers und Verträge kümmern will.
Außerdem ist diese Arbeitsteilung in den meisten europäischen Spitzenklubs üblich. Aber die Runde aus sechs Mann könnte zu groß sein. Neben dem Trainer sitzen der Chefscout (Barry Hunter), Geschäftsführer (Ian Ayre), der Technische Direktor (Michael Edwards), der oberste Personalplaner (Dave Fallows) und der FSG-Präsident (Mike Gordon) in diesem Ausschuss.
Auch in Mainz und Dortmund hat Klopp mit den Verantwortlichen Christian Heidel, Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke zusammengearbeitet und Transfers nur nach Absprache getätigt. Es überrascht also nicht, wenn Klopp das Thema, wie die Times berichtet, in den Gesprächen auf die Agenda gehoben haben soll. Ob er wirklich das letzte Wort bei allen Transfers verlangt haben will, sei dahingestellt.
Dem FC Liverpool steht mit dem neuen Trainer, egal ob er jetzt Klopp heißt oder nicht, eine weitere Phase der sportlichen Identitätsfindung bevor. Die Reds haben den Anschluss an die Big Four aus Manchester und London verloren. Es braucht eine klare Idee und einen Mann, der die langfristige Umsetzung begleitet. Damit am Ende die erste Meisterschaft seit 1990 steht.
FC Liverpool: Termine, Ergebnisse, Kader