Ein Jahr ist es her, da verlor Leicester City am 17. Spieltag bei West Ham United mit 0:2. Andy Carroll und Stewart Downing sorgten dafür, dass die Foxes Weihnachten auf dem letzten Tabellenplatz verbringen mussten. Mit gerade mal zehn Pünktchen und einem Torverhältnis von 15:29 galt der Verein als sicherer Absteiger.
Am Ende schaffte der Aufsteiger jedoch den Klassenerhalt und schloss die Saison auf dem 14. Platz solide ab. 364 Tage nach der Niederlage in East London stand wieder der 17. Spieltag vor der Tür. Leicester war beim FC Everton zu Gast und holte sich mit einem 3:2 drei Punkte - und durfte Weihnachten diesmal auf der anderen Seite der Tabelle feiern.
Die Gründe dafür, dass es diese Saison so viel besser läuft, tragen viele Namen: Im Sommer übernahm Claudio Ranieri das Traineramt. Der Italiener impfte den Foxes eine attraktive Spielweise ein. Mit dem 64-jährigen Globetrotter auf der Kommandobrücke holte Leicester nicht nur die meisten Punkte (38), sondern erzielte auch die meisten Tore (37).
Der beste Angriff der Liga
Kein Wunder also, dass vor allem das Offensiv-Duo Jamie Vardy und Riyad Mahrez als Grund für die starke erste Saisonhälfte genannt wird. Vardy jagte Wochen lang den Rekord von Ruud van Nistelrooy und verewigte sich schließlich in den Geschichtsbüchern der Premier League: Ausgerechnet gegen van Nistelrooys Ex-Klub Manchester United traf der englische Nationalspieler im elften Premier-League-Spiel in Folge.
Nicht weniger beeindruckt Vardys kongenialer Sturmpartner Mahrez: Der Algerier steuerte starke 13 Tore und sechs Vorlagen in 17 Spielen bei und begeistert mit seinen Dribblings. Nur Vardy, ein Spiel mehr, war besser: Der Engländer bringt es auf 15 Tore und fünf Vorlagen. Damit ballerte das Duo unglaubliche 28 Tore - nur fünf der restlichen 19 PL-Vereine schossen insgesamt mehr.
Zwei untypische Helden
Dabei sind Vardy und Mahrez nicht die typischen "Helden", die für teures Geld geholt werden, um einen Verein vor dem Abstieg zu retten. Vielmehr sind sie das genaue Gegenteil dieser Spielergattung. Denn beide waren schon in der Vorsaison Bestandteil des Teams. Und beide waren spottbillig: Toptorjäger Vardy wurde im Sommer 2012 für etwas mehr als eine Millionen Euro geholt, Mahrez kostete bei seinem Wechsel im Januar 2014 sogar nur eine halbe Million.
Bevor Mahrez, der im WM-Achtelfinale 2014 gegen Deutschland nicht eingesetzt wurde, seine Zelte in England aufschlug, schnürte er seine Schuhe für Le Havre. In der zweiten französischen Liga erzielte der talentierte Angreifer in 60 Spielen immerhin sechs Tore und gab zwölf Vorlagen, ehe Leicester den damals 22-Jährigen verpflichtete.
Mahrez sollte den Foxes beim Aufstieg aus der Championship helfen - mit Erfolg. Drei Tore konnte der Algerier erzielen, fünf weitere bereite er vor. Es folgte die harte erste Saison in der Premier League, in der Mahrez mit vier Toren und drei Vorlagen am Klassenerhalt Anteil hatte.
Das verrückte zweite Jahr
"Das zweite Jahr ist immer das schwerste" besagt eine alte Fußballweisheit. Doch in Leicester erscheint das zweite Jahr in der Premier League nun wie ein Kinderspiel. Mahrez und Vardy tanzen sich förmlich durch die gegnerischen Abwehrreihen, im Schnitt sind beide pro Spiel an je einem Tor beteiligt. Manchmal sind es auch mehr, wie beim 3:0 gegen Swansea, als Mahrez sein Team mit einem Hattrick an die Tabellenspitze schoss.
"Es war ein perfekter Tag. Wir haben gewonnen, sind an der Spitze der Liga und ich habe einen Hattrick zum Sieg meiner Mannschaft erzielt. Deshalb bin ich glücklich", strahlte der Wüstenfuchs nach dem Spiel.
Einen weiteren perfekten Tag hatte Mahrez gegen Chelsea. Nach einer halben Stunde schnibbelte er eine Flanke perfekt in die Schnittstelle der Blues-Defensive und Vardy hatte kein Problem mehr, zum 1:0 zu verwerten. Kurz nach der Pause stoppte sich der Algerier am langen Pfosten einen Flankenwechsel, dribbelte Azpilicueta zwei Knoten in die Beine und zirkelte das Leder mit viel Gefühl ins Kreuzeck - Traumtor, 2:0, Sack zu!
Doch diese beiden perfekten Tage waren bei weitem keine Einzelfälle, vielmehr spielt Leicester ein perfektes Jahr. In der Jahrestabelle liegen die Foxes auf dem dritten Platz (66 Punkte), nur Manchester City (71) und der FC Arsenal (78) holten 2015 mehr Punkte.
Vergleiche mit Neymar
Dass es so gut läuft, liegt vor allem an dem neuen System von Ranieri, bei dem Mahrez seine Stärken perfekt ausspielen kann. Der Algerier ist schnell und technisch unglaublich begabt. Vor allem wenn der 24-Jährige über die rechte Außenbahn kommt, ist er brandgefährlich. Aufgrund seiner frechen, mutigen Dribblings wurden schon Vergleiche mit Neymar laut.
Und er kennt selbst noch einen weiteren Faktor: "Fußball lebt vom Selbstvertrauen. Wenn man anfängt zu treffen, bekommt man mehr Selbstvertrauen. Das hat mir geholfen." Selbstvertrauen tankt der Tabellenführer nahezu jedes Wochenende.
Vor der Niederlage am Boxing Day in Liverpool (0:1) hatte die Ranieri-Truppe erst ein Spiel in der Liga verloren (2:5 gegen Arsenal) - eine Konstanz, die sämtliche Experten dazu verleitet, sich mit Lob zu überschlagen oder den Foxes sogar Titelchancen zuzurechnen. Und das, obwohl die vernichtende Prognose vor der Saison noch einstimmig lautete: Abstieg!
"Eine Erfrischung für den modernen Fußball"
Auch Evertons Coach Roberto Martinez musste nach der Niederlage das kleine englische Fußball-Wunder anerkennen: "Sie sind eine Erfrischung für den modernen Fußball. Wir alle wissen, dass die Finanzen eine Menge diktieren, aber Leicester auf Platz eins zu sehen, ist eine Inspiration."
Chelseas Ex-Coach Jose Mourinho sagte vor dem Spiel gegen seine Blues sogar, dass Leicester "Meister werden kann". Die Ranieri-Truppe unterstrich diese Darstellung und gewann 2:1 gegen den Vorjahresmeister. Zuvor hatte Louis van Gaal die selben Worte gesprochen - sein Team trotzte dem Tabellenführer immerhin ein 1:1 ab.
Dass dies nicht von irgendwoher rührt, zeigt der Blick auf die Tabelle: Zwei Punkte beträgt der Vorsprung von Leicester City auf die zweitplatzierten Gunners, drei auf den Tabellendritten Manchester City.
Im eigenen Stall hält man sich dennoch zurück. "Ich glaube nicht, dass wir die Premier League gewinnen können", bremste Mahrez die Euphorie und verwies bei BBC World Service auf das nächste Ziel: "Erst einmal brauchen wir 40 Punkte und dann schauen wir, was passiert." Zwei Punkte fehlen dafür nur noch. Ein Sieg und Leicester hätte genauso viele Punkte geholt, wie in der gesamten letzten Saison.
"Wäre dumm, im Januar zu wechseln"
Trotzdem: Vardy, Mahrez und Co. wollen natürlich so lange wie möglich auf der Erfolgswelle weiterschwimmen: "Wenn du einen Lauf hast und hungrig bist, dann willst du mehr."
Der Lauf des algerischen Nationalspielers, der für die Wüstenfüchse bisher 22 Spiele (4 Tore) absolviert hat, darunter auch eins bei der WM 2014 in Brasilien, weckt bereits Begehrlichkeiten. Manchester United und Tottenham Hotspur sollen angeblich bereit sein, bis zu 40 Millionen Euro für den Angreifer zu bezahlen. Auch aus Frankreich kommen immer neue Spekulationen um eine Rückkehr.
Diese kommt aber wohl nicht in Frage: "Momentan kann ich mir eine Rückkehr nach Frankreich nicht vorstellen. Es wird zwar in den Medien darüber spekuliert, aber ich fühle mich in Leicester sehr wohl." Überhaupt nimmt Mahrez die Gerüchte gelassen und stellt klar: "Ich denke nicht, dass ich im Januar gehe. Es ist immer schön, wenn Vereine Interesse an dir zeigen, aber es wäre dumm, im Januar zu gehen, vor allem wenn wir Tabellenerster sind."
Wechsel im Sommer?
Doch nicht nur Mahrez soll im East Midland gehalten werden, schließlich will Leicester City noch lange für Furore sorgen: "Niemand kann Vardy oder Mahrez im Januar kaufen. Die Spieler haben keinen Preis", erklärte der Italiener und führt fort: "Wenn ich einen Preis nenne, wird jemand diesen aufrufen. Deshalb werde ich das nicht machen. Niemand kann sie kaufen."
Ein kleines Hintertürchen lässt sich Riyad Mahrez allerdings offen: "Ich bin hier als Spieler gewachsen und dem Klub dankbar. Es ist das Beste für mich, bis zum Saisonende hierzubleiben."
Was er Sommer vorhat, verrät er nicht. Klar ist jedenfalls: Wenn er weiter so spielt wie bislang, dann stehen ihm alle Türen offen.
Riyad Mahrez im Steckbrief