Sebastian Prödl erlebte in Bremen die guten und die schlechten Zeiten. Im Sommer erfüllte er sich einen lang gehegten Traum und wechselte nach England zum FC Watford. Ein Gespräch über sein neues Leben, den Hype um Jürgen Klopp, Teambesprechungen von Thomas Schaaf und den österreichischen Humor.
SPOX: Herr Prödl, Sie haben oft gesagt, es sei ein Traum von Ihnen, einmal in der Premier League zu spielen. Nun kicken Sie seit dem Sommer für den FC Watford. Ist es für Sie die beste Liga der Welt?
Sebastian Prödl: Ja. Die Premier League ist ein Spektakel. Es wird ein schnellerer, aggressiverer und zweikampfbetonterer Fußball gespielt als in Deutschland. Ich will nicht sagen, dass die Bundesliga von der Qualität her schlechter ist, aber es ist ein anderer Fußball, der hier gespielt wird. Wir haben mit Watford eine ganz andere Mannschaft, als sie ein Aufsteiger in der Bundesliga hat. Die Liga ist auf hohem Niveau sehr ausgeglichen. Die Vereine der unteren Tabellenhälfte in England sind denen in Deutschland auf alle Fälle überlegen.
SPOX: Gibt es Dinge, die Sie überrascht haben?
Prödl: Hier in Watford geht es ausschließlich um Fußball. Es gibt im Stadion kein Rahmenprogramm, alles ist sehr traditionell. Die Zuschauer kommen fünf Minuten vor Spielbeginn und gehen fünf Minuten nach Schlusspfiff wieder nach Hause. Da die Liga so teuer verkauft wird, dachte ich zunächst, es würde mehr des üblichen Spektakels geben.
SPOX: Wie unterscheidet sich das Training in England zu dem in Deutschland?
Prödl: Ein großer Unterschied ist, dass wir nur einmal am Tag trainieren. Dafür sind die Einheiten deutlich ausgedehnter. Die Trainingsformen selbst sind aber recht vergleichbar mit denen in Deutschland.
SPOX: Eine Winterpause gibt es auf der Insel nicht. Wie haben Sie die Weihnachtszeit erlebt?
Prödl: Der Fußball hat Weihnachten etwas in die Ecke geschoben. Wir haben zwar einen Baum aufgestellt, aber es war nicht so, wie ich es gewohnt war. Es gab Geschenke, es gab die Weihnachtslieder, aber du bist dadurch, dass du am 24. und 25. trainierst und am 26. spielst, nicht wirklich in besinnlicher Stimmung, sondern in Alltagsstimmung.
SPOX: Kontakt mit Journalisten und Fans gibt es im Alltag eines Profis in England bekanntlich nur wenig.
Prödl: Unter der Woche bist du völlig abgeschottet von der Außenwelt. Vor dem Trainingsgelände gibt es ein Tor. Da kommen keine Journalisten und keine Zuschauer rein, so dass man an Sachen arbeiten kann, die der kommende Gegner nicht wissen darf. In Deutschland ist das oft problematisch: Man kann beispielsweise nicht so gut Freistoßtricks einstudieren, weil alles transparent ist. Je teurer die Liga verkauft wird, desto weniger Zugang haben Journalisten oder Zuschauer.
SPOX: Durch das distanzierte Verhältnis zu den Spielern müssen die englischen Journalisten ihre Seiten anderweitig füllen. Es werden viele Gerüchte gestreut.
Prödl: In Watford werden wir von den Medien ziemlich in Ruhe gelassen, wobei sich das durch die Erfolge der vergangenen Wochen schon etwas geändert hat. Mit der vielzitierten Yellow Press hatte ich noch nichts zu tun und bin darüber auch sehr froh. Diese Erfahrungen möchte man nicht machen. Die Medienwelt in England ist deutlich größer. Da es weniger Zugriff gibt, kocht besonders bei den großen Vereinen die Gerüchteküche permanent.
SPOX: Als Jürgen Klopp im Oktober als neuer Trainer in Liverpool vorgestellt wurde, hatten die Medien genug zu berichten. Wie nehmen Sie den Hype um ihn wahr?
Prödl: Es war ganz wichtig für den englischen Fußball, dass der Schritt gewagt wurde, einen deutschen Trainer zu holen. Man muss ihm noch ein bisschen Zeit geben, aber wenn Klopp gerade im Sommer noch einkaufen kann, dann wird er voll einschlagen. Als ich in Deutschland gespielt habe, war es häufig so, dass die deutschen Spieler und Trainer nicht gerne ins Ausland gegangen sind, weil sie sich zu Hause so wohlgefühlt haben. Deshalb finde ich es gut, dass sich Klopp getraut hat.
SPOX: Auch Sie haben sich getraut und hatten einen tollen Start. In den ersten neun Ligaspielen standen Sie in der Startelf, dann waren Sie raus und feierten erst Ende Dezember wieder ein Comeback.
Prödl: Das konnte ich auch nicht wirklich verstehen, da ich gut gespielt habe. Der Trainer hat es mir so erklärt, dass er alle auf das gleiche Niveau bringen möchte, da wir über die ganze Saison alle Spieler brauchen werden. Danach hatte ich mich verletzt. Nun habe ich jedoch wieder die volle Fitness, starte einen Angriff auf die Startelf und durfte bereits zuletzt im FA Cup und gegen Southampton wieder ran. Zuvor hatten wir zudem einen unglaublichen Run mit vier Siegen in Folge. Daher war es verständlich, dass der Trainer nicht viel an der Formation änderte.
SPOX: Vor Ihrem Wechsel nach Watford spielten Sie sieben Jahre lang bei Werder Bremen. Wie nah ist Ihnen der Abschied gegangen?
Prödl: Der Schritt war nicht einfach, das bekannte Umfeld zu verlassen. Doch die Entscheidung, etwas Neues zu machen, war von viel Euphorie geprägt und hat mir richtig gut getan. Ich habe den Wechsel noch einmal gebraucht in meiner Karriere. Ich bin froh, dass ich noch einmal eine neue Sichtweise auf den Fußball bekommen habe. Aber auch auf das Leben selbst, auf die eigene Selbstständigkeit, die neue Sprache, die neue Stadt, die neue Kultur. Ich bin durch den Wechsel noch einmal gereift - sowohl fußballerisch als auch hinsichtlich meiner Persönlichkeit und meinem Auftreten.
SPOX: Welchen Ihrer ehemaligen Bremer Teamkollegen würden Sie als Freund fürs Leben bezeichnen?
Prödl: Vor allem Peter Niemeyer und Martin Harnik, aber auch Clemens Fritz oder Per Mertesacker. Auch abseits des Sports habe ich dort gute Freunde gefunden. Das ist eigentlich unüblich, denn als Fußballer ist man Wanderer. Bremen ist mir schon sehr ans Herz gewachsen.
SPOX: Als Sie zu Werder wechselten, spielte der Klub in der Champions League. Als Sie im Sommer gingen, überstand Bremen gerade so den Abstiegskampf.
Prödl: Durch den sportlichen Misserfolg fehlen die entsprechenden Einnahmen. Werder muss jetzt besonders kreativ sein und Spieler holen, die große Vereine nicht haben wollen. Aus diesen müssen teure Spieler werden, um sie später für gutes Geld zu verkaufen. Erst dann wird es mit dem Verein wieder bergauf gehen. In den nächsten Jahren wird es weiterhin um die unteren Tabellenplätze gehen. Der Verein durchlebt ein Tief, aber ich bin mir sicher, dass er nie vor wirklich gravierende Probleme gestellt wird.
SPOX: Thomas Schaaf hat Sie nach Bremen geholt und lange gefördert. Wie haben Sie ihn erlebt?
Prödl: Unter Schaaf hatten wir die beste Zeit. Er wollte immer schönen Fußball spielen lassen, ein Spektakel bieten. Bei Teambesprechungen hat er sich nie großartig um den Gegner gekümmert, sondern sich immer nur auf die eigenen Stärken konzentriert. Es war imponierend, mit welcher Überzeugung er trainieren ließ. Selbst im Abstiegskampf hatte man das Gefühl, jeden Gegner schlagen zu können.
SPOX: Mit der österreichischen Nationalmannschaft haben Sie sich für die EM in Frankreich qualifiziert. Wie haben Sie das entscheidende Qualifikationsspiel in Stockholm, als Schweden mit 4:1 geschlagen wurde, erlebt?
Prödl: Das war eine Gala, eine Sahnevorstellung von uns. Der Abend war gigantisch, phänomenal, Fußballvergnügen pur. Jeder war bei über 100 Prozent. Wir hätten das Spiel sogar noch höher gewinnen können. Wenn ich die Bilder heute sehe, bekomme ich immer noch eine Gänsehaut.
SPOX: Wie haben Sie sich gefühlt, als der Schlusspfiff ertönte?
Prödl: Stolz! Die Stimmung der Zuschauer und später auch in der Kabine war überwältigend. Der Glaube war nicht nur in der Mannschaft, sondern auch im Land sehr groß. Wir waren danach noch in Stockholm auf einen Drink. Die Stadt war rot-weiß-rot.
SPOX: Österreich hat nun bei der Auslosung mit Portugal, Island und Ungarn eine machbare Gruppe erwischt. Da ist das Achtelfinale locker drin, oder?
Prödl: Seitdem ich Fußball spiele, benutze ich das Wort "locker" nicht mehr. Ich bin mit Werder mehrmals im Pokal gegen Drittligisten ausgeschieden. Wir haben uns sicherlich über die Auslosung gefreut, aber ich glaube, auch in Portugal, Island und Ungarn wurde gejubelt, dass Österreich aus Topf zwei gezogen wurde. Das beruht also auf Gegenseitigkeit.
SPOX: Sie duellieren sich mit Martin Hinteregger um den zweiten Innenverteidiger-Posten neben Aleksandar Dragovic. Wie sehen Sie Ihre Chancen?
Prödl: Die Entscheidung wird wohl erst kurz vor der EM, nach dem Trainingslager und den Testspielen fallen. Ich bin selbstbewusst genug zu sagen, dass meine Chancen nicht schlecht stehen.
SPOX: Im Oktober holte Sie Ihre Vergangenheit in Deutschland noch einmal ein, als Sie für die Aussage "München ist wie ein Zahnarztbesuch. Muss jeder mal hin. Kann ziemlich wehtun. Kann aber auch glimpflich ausgehen" den Preis zum Fußballspruch des Jahres 2015 gewonnen haben.
Prödl: Ich war überrascht. Ich dachte, die Jury würde sich für irgendeinen Deutschen wie Thomas Müller oder Jürgen Klopp entscheiden. Aber auch österreichischer Humor ist gut. (lacht) Ich habe mich darüber sehr gefreut, in meiner Karriere auch mal einen Kulturpreis gewonnen zu haben.
Sebastian Prödl im Steckbrief