SPOX: Herr Wagner, seit dem 9. November sind Sie Trainer beim englischen Zweitligisten Huddersfield Town. Wie weit haben Sie sich nach vier Monaten auf der Insel eingewöhnt?
David Wagner: Sportlich bin ich inzwischen angekommen, zumal ich nicht wirklich lange Zeit hatte, um mich hier einzugewöhnen. Wenn man eine Mannschaft mitten in der Saison übernimmt, muss man von 0 auf 100 funktionieren. Es war in den ersten drei Monaten sehr stressig, da ich die Spieler, das Umfeld, die neue Umgebung und vor allem die Fußballkultur erst kennenlernen musste.
SPOX: Wie schwer fiel Ihnen die Umstellung auf den Fußball auf der Insel? Vor allem auch in Sachen Trainingssteuerung.
Wagner: Alleine, dass es hier keine Winterpause gibt und man fast alle drei Tage ein Spiel hat, ist es eine riesige Umstellung. Neu war für mich auch, dass in England alles sehr analytisch ist - egal ob es um Trainingsinhalte oder Gegneranalyse geht. Daran muss man sich erst gewöhnen. Als ich in Huddersfield ankam, hatte der Verein zwei Punkte Vorsprung auf einen Abstiegsplatz, jetzt sind es sieben. Man kann also sagen, dass die ersten Monate bisher durchaus erfolgreich waren und wir uns in die richtige Richtung bewegen, auch wenn noch ein sehr weiter Weg vor uns liegt.
SPOX: Der englische Fußball gilt als sehr physisch. Hatten Sie bisher überhaupt die Gelegenheit, Ihren Trainingsstil den Ansprüchen auf der Insel dementsprechend anzupassen?
Wagner: Zum Glück kam ich zu Beginn der Länderspielpause nach Huddersfield und unser Chairman ermöglichte uns netterweise, dass wir zunächst einmal fünf Tage nach Marbella ins Trainingslager reisen konnten. Dadurch konnte ich die Mannschaft schnell kennenlernen. Das war sehr wichtig, denn die Fußballphilosophie auf der Insel ist tatsächlich eine völlig andere als in Deutschland. Ich versuche nun beide miteinander zu vereinen.
SPOX: Wie genau sieht das denn aus?
Wagner: Dazu müsste ich nun ein wenig ausholen...
SPOX: Nur zu.
Wagner: Der Verein trat im Herbst letzten Jahres an mich heran und fragte mich, ob ich die Idee vom Fußball, den Borussia Dortmund spielt, auch in der Championship implementieren könnte - schnelles Umschaltspiel und aggressives Pressing. Ich fand die Vorstellung wahnsinnig spannend. Huddersfield Town ist zwar ein kleiner Verein, geht aber für englische Verhältnisse ganz neue Wege. Im Sommer installierten sie eine Art Sportdirektor, so einen Posten gab es davor noch gar nicht. Ich bin der erste ausländische Trainer in der über 100-jährigen Geschichte des Vereins und soll sozusagen den "europäischen Fußball" etablieren, wie er hier genannt wird. Huddersfield schafft sich derzeit eine komplett neue Identität, weil man als kleiner Verein in der 2. Liga festgestellt hat, dass man neue Wege gehen muss, um erfolgreicher zu sein als die großen Teams der Liga. Wir sind auf der einen Seite zwar sehr bescheiden und verfolgen als Ziel den Klassenerhalt, auf der anderen Seite sind wir für die Zukunft sehr ambitioniert und wollen für Furore sorgen.
SPOX: Das klingt alles sehr spannend und erinnert stark an die Anfänge des BVB am Ende des letzten Jahrzehnts, aber sind wir doch mal ehrlich: Die Finanzkraft in England hat mit Sicherheit auch eine Rolle gespielt. Sonst hätten Sie einen Verein wie Borussia Dortmund nach viereinhalb meist erfolgreichen Jahren doch gar nicht verlassen, oder?
Wagner: Bis auf die familiäre Situation sprach eigentlich alles für den Wechsel nach England. Derzeit herrscht auf der Insel eine Goldgräberstimmung, jeder möchte hier trainieren oder spielen. Das Gesamtpaket hat dann letzten Endes gepasst. Ich hatte während meiner Zeit als Verantwortlicher der U23 des BVB immer mal wieder Angebote aus höheren Ligen oder dem Ausland. Diese schlug ich aber immer aus, weil mir die Ligazugehörigkeit nicht wichtig war. Mein primäres Augenmerk lag eher auf meiner allgemeinen Jobzufriedenheit - und die war in Dortmund ganz, ganz lange Zeit gegeben. Als allerdings das Angebot aus Huddersfield kam, habe ich mich mit Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke zusammengesetzt und wir fanden relativ schnell eine Lösung. Dafür bin ich beiden auch noch sehr dankbar.
SPOX: Der Zeitpunkt ihres Abgangs überrascht dennoch. Gab es nicht im Sommer schon die Überlegung, den Verein zu verlassen? Zumal ihr guter Freund Jürgen Klopp den BVB ebenfalls im Sommer verließ...
Wagner: Dass wir gute Freunde sind, spielte dabei keine Rolle, ein Abschied im Sommer stand nie zur Debatte. Mein Entschluss, Dortmund zu verlassen, hatte ausschließlich mit der sportlichen Entwicklung beim BVB zu tun. Nach dem Abstieg aus der 3. Liga fokussierte sich der Klub - aus nachvollziehbaren Gründen - immer mehr auf die U19. Dementsprechend hatte ich das Gefühl, etwas Neues machen zu müssen.
SPOX: Inwiefern haben die unterschiedlichen Spielphilosophien von Klopp und Thomas Tuchel bei Ihrem Abschied eine Rolle gespielt?
Wagner: Tuchel und ich waren einmal gemeinsam zu Mittag essen, alles Weitere lief über Co-Trainer Arno Michels. Meine Arbeit war nicht abhängig vom Cheftrainer Thomas Tuchel, genauso wie sie nicht abhängig war vom Cheftrainer Jürgen Klopp. Ich habe immer zum Wohle des Vereins gehandelt, versucht, so erfolgreich wie möglich zu sein und meine Vorstellungen vom Fußball umzusetzen. Von Seiten des Profi-Trainerstabs wurde mir da nie reingeredet.
SPOX: Nun liegt Huddersfield nicht weit entfernt von Liverpool. Haben Sie Jürgen Klopp schon einmal besucht oder ein Spiel der Reds an der Anfield Road besucht?
Wagner: Wir haben uns bisher zwei Mal gesehen und telefonieren unter der Woche regelmäßig. Jürgen holt sich von mir Feedback über die Championship und umgekehrt gibt er mir Infos über den einen oder anderen talentierten Jugendspieler aus Liverpool.
SPOX: War es denn nie eine Option, gemeinsam mit Klopp nach Liverpool zu gehen?
Wagner: Das stand für mich nie zur Debatte. Wir waren mit der U23 abgestiegen und ich wollte die Geschichte nicht mit einem negativen Touch beenden. Zumal ich auch selbst noch das Feuer hatte, die Scharte auszuwetzen. In den darauffolgenden Monaten hat sich aber einiges geändert, dann kam das Angebot aus Huddersfield und so sitze ich nun hier in England. (lacht)
SPOX: Anfangs sagten Sie, dass Sie sportlich angekommen seien. Gab es in der bisherigen Zeit etwas, was Sie am meisten überrascht hat? Sowohl sportlich, als auch privat.
Wagner: Sportlich überraschte mich die Trainingsplanung. Wenn samstags gespielt wird, dann ist sonntags und mittwochs frei. Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag wird dann einmal um 11 Uhr trainiert, das war es dann. Zwei Mal Training am Tag oder gar eine Übungseinheit zur Anstoßzeit - das kannte man hier gar nicht, das haben wir gleich zu Beginn eingeführt. Zudem hat mich überrascht, wie hart die englischen Spieler tatsächlich sind. Selbst im Training bleibt keiner liegen und jammert - das gilt als Schwäche. Ich hätte nicht gedacht, dass die Fußballkultur bei nur 500 Kilometern Luftlinie zwischen Leeds und Düsseldorf derart unterschiedlich sein kann.
SPOX: Und wie sieht's privat aus?
Wagner: Ganz ehrlich? Ich hätte nicht gedacht, dass das Wetter noch schlechter ist, als ich es mir vorgestellt habe. (lacht)
David Wagner im Steckbrief