Es klingt derzeit schwer vorstellbar, weil schlicht gefühlte Galaxien entfernt. Wenn Jürgen Klopps Vertrag beim FC Liverpool ausläuft, steht wenige Monate später die Weltmeisterschaft in Katar an - sollte an dieser Farce bis dahin tatsächlich festgehalten werden.
Auf den Tag genau neun Monate nach der Vorstellung des Deutschen als neuen Übungsleiter verkündeten die Verantwortlichen der Reds bereits die erste Vertragsverlängerung. Sie hat Dimensionen angenommen, die so überraschend kamen wie einst, als Nuri Sahin den Klopp-BVB verließ und für sechs Jahre bei Real Madrid unterschrieb.
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Zusammen mit seinem Gespann um die beiden Co-Trainer Zeljko Buvac und Peter Krawietz soll Klopp nun bis 2022 in Anfield an der Seitenlinie stehen. Dies ist gerade mit Blick auf Klopps bisherige Verweildauer im englischen Norden ein gigantischer Vertrauensbeweis, er dürfte auch in finanzieller Hinsicht zweifelsfrei lukrativ sein.
Gordon: Trainer der Weltklasse
Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass der Vorstoß vonseiten der Vereinsführung um die Besitzergesellschaft Fenway Sports Group ausging. FSG-Präsident Mike Gordon bezeichnet Klopp in der offiziellen Pressemitteilung zur Vertragsverlängerung als einen Trainer von Weltklasse. "Wenn man auf einen Menschen von Jürgens Qualität zurückgreifen kann, ergibt es vollkommen Sinn, diese Person langfristig zu binden. Dies nicht zu tun wäre unverantwortlich", sagt Gordon.
Es ist der finale Beweis dafür, wie fest Klopp die Zügel bei den Reds bereits in der Hand hält. Der Klub tanzt überspitzt formuliert nach seiner (inhaltlichen) Pfeife, auch wenn die bisherige Entwicklung weder einen Titel, noch die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb einbrachte.
Doch Klopp hat in dieser kurzen Zeit etwas erreicht, das viel wichtiger für diesen Traditionsverein war: Er hat den Ehrgeiz der Spieler, die Hingabe der Liverpooler Menschen (so sie denn zu den Reds halten), sowie den Mythos Anfield Road wieder zum Leben erweckt. "Wir müssen von Zweiflern zu Glaubenden werden", waren im Oktober Klopps erste Worte an die Fans.
Von Zweiflern zu Glaubenden
Dieses Ziel ist längst erreicht. Der verschüttgegangene Glaube an die eigene Identität und Stärke hat die erste Stufe auf dem Weg zu einem neuen Selbstverständnis gezündet, aus welchem heraus ein Klub wie Liverpool eine unheimliche Wucht entwickeln kann. Einen ersten Eindruck davon vermittelten in der vergangenen Saison bereits magische Nächte wie beim irren Sieg gegen Klopps Ex-Klub Dortmund oder die Erfolge gegen Manchester City, Manchester United und Villarreal.
Die Parallelen zu Klopps Anfangszeit beim BVB sind dabei unübersehbar. Auch dort nahm der Trainer die Menschen mit seiner Art des modernen Arbeiterfußballs mit, die 2008 bei seinem Amtsantritt versprochenen und schließlich vielzitierten Vollgasveranstaltungen entfachten bei einem zuvor taumelnden Klub mit großer Vergangenheit neue Begeisterung.
Das Spiel und die Emotion - ohne diese beiden Komponenten ist Klopp nicht vorstellbar, sie sind für ihn untrennbar miteinander vereint. Die Vertragsverlängerung ist ein Zeichen dafür, dass diese ureigene Klopp-Mischung auch die Führungsriege des Klubs erreicht hat. Der kumpelhafte Charismatiker, der intern jedoch für seine Überzeugungen keinem Kampf aus dem Weg geht, scheint nun selbst den letzten Skeptiker um den Finger gewickelt zu haben.
Mythos entfacht Mythos
In England überrascht diese zügige Klopp-Vereinnahmung die wenigsten. Es ähnelt einem Mythos, der einen anderen Mythos entfacht. Spätestens seit Dortmunds Durchmarsch ins Champions-League-Finale 2013 hatten besonders die Fans und Journalisten auf der Insel den 49-Jährigen liebgewonnen und immer mehr zu einem eigenen Mythos stilisiert, den Klopp mit seinen Entertainerfähigkeiten etwa auf internationalen Pressekonferenzen regelmäßig selbst befeuerte.
Das Märchen des malochenden Arbeitervereins, für dessen Trainer eine aus guten Kumpels bestehende und kostengünstig zusammengestellte Mannschaft ihr letztes Hemd gibt und dafür mit höchsten europäischen Weihen belohnt wird, zog gerade die Engländer schon ziemlich früh in den Bann.
Dortmunds Entwicklung unter Klopp wurde bewundert, er selbst ist damals vor allem in den Augen ausländischer Beobachter zu einem Heilsbringer auserkoren worden, der mit seiner Arbeitsweise die Gesetzmäßigkeiten der scheinbar eingefahrenen Fußballwelt außer Kraft setzen kann. Eine solche Art von Trainer, dazu noch erfolgreich, kannte man in der Premier League nicht. Als Klopp in Liverpool vorgestellt wurde, war der Neid vieler Konkurrenten unübersehbar.
Mit Stürmer Sadio Mane, Innenverteidiger Joel Matip und Torhüter Loris Karius hat Klopp erste Bastelarbeiten am Kader vorgenommen. Es gilt als sicher, dass weitere Neuzugänge folgen. Erst Ende August, nach Schließung des Transferfensters, wird man sehen, wie groß der Umbruch im Kader ausgefallen ist. Klopp hat nun erstmals eine ganze Vorbereitung, um mit seinem Team zu trainieren. Englische Wochen im Europacup stehen auch nicht an. Es sollte nicht verwundern, wenn künftig auch Entwicklungsstufe zwei erfolgreich gezündet wird.
Jürgen Klopp im Steckbrief